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29.06.2022

13:50

Bundeshaushalt

Lindner plant Neuverschuldung von 17,2 Milliarden Euro

Von: Jan Hildebrand

Nach drei Ausnahmejahren will die Bundesregierung die Schuldenbremse 2023 wieder einhalten. Das Kabinett soll den Etatentwurf am Freitag beschließen.

Für das laufende Jahr ist eine Neuverschuldung von knapp 140 Milliarden Euro vorgesehen. dpa

Bundesfinanzminister Christian Lindner

Für das laufende Jahr ist eine Neuverschuldung von knapp 140 Milliarden Euro vorgesehen.

Berlin Christian Lindner (FDP) ist seinem Ziel, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten, einen wichtigen Schritt nähergekommen. Der Bundesfinanzminister hat die schwierigen Etatverhandlungen mit seinen Ressortkollegen abgeschlossen, am kommenden Freitag soll das Bundeskabinett seinen Haushaltsentwurf für 2023 beschließen. Die Kabinettvorlage, die dem Handelsblatt vorliegt, sieht eine Neuverschuldung von 17,2 Milliarden Euro vor.

Trotz dieser Kreditaufnahme erfüllt der Etatentwurf die Vorgaben zur Schuldenbremse. In der Summe sind auch Kredite enthalten, an den Internationalen Währungsfonds sowie an den Gesundheitsfonds. Diese finanziellen Transaktionen in Höhe von insgesamt 7,3 Milliarden Euro werden bei der Schuldenbremse ausgeklammert.

Somit beträgt die Neuverschuldung im Etat 9,9 Milliarden Euro. Damit schöpft Lindner den Spielraum, den ihm die Schuldenregel aufgrund der derzeit absehbaren Konjunkturlage gibt, vollständig aus. Aber er geht auch nicht darüber hinaus, wie es Teile der SPD und der Grünen gefordert haben. Damit greift 2023 erstmals nach drei Ausnahmejahren wieder die Schuldenbremse.

„Finanzpolitik in der Zeitenwende“, schreib Lindner in der 1504 Seiten umfassenden Kabinettsvorlage. „Mit einer klaren Prioritätensetzung wird die Einhaltung der Regelgrenze der Schuldenregel in allen Jahren sichergestellt und so die Tragfähigkeit der Finanzen und somit die fiskalische Resilienz gestärkt“, heißt es in dem Papier.

Allerdings beruht der Etat auf der Frühjahrsprognose aus dem April sowie der Steuerschätzung aus dem Mai. Mittlerweile rechnen Ökonomen mit einer schlechteren Entwicklung der Konjunktur. Auch in der Kabinettsvorlage wird betont, dass eine „Zeit besonderer Unwägbarkeiten“ herrsche. Und weiter: „Sowohl der weitere Verlauf der Coronapandemie als auch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind ungewiss.“

Streit über Entlastung der Bürger

Lindner hat deshalb im Haushalt Vorkehrungen getroffen: So enthält der Etat vorsorglich fünf Milliarden Euro „krisenbedingte Mehrausgaben“. Wofür das Geld genau genutzt wird, kann dann später nach Bedarf entschieden werden.

Ähnlich verhält es sich auf der Einnahmenseite: Hier gibt es im Haushalt eine Vorsorge für den Fall, dass die Steuereinnahmen geringer ausfallen, es handelt sich um einen Betrag von insgesamt rund zehn Milliarden Euro. Das Geld könnte helfen, falls sich die Konjunktur und damit die Einnahmen für den Fiskus schlechter entwickeln. Es könnte aber auch für weitere Entlastungen genutzt werden.

So wirbt Lindner innerhalb der Ampelkoalition dafür, die sogenannten kalte Progression auszugleichen. Das sind schleichende Steuererhöhungen, die durch das Zusammenspiel von Inflation, Lohnerhöhung und höheren Steuertarifen entstehen.

Ein vollständiger Ausgleich dürfte allerdings wegen der hohen Preissteigerung für den Fiskus teuer werden. Ökonomen schätzen die Summe auf zwölf Milliarden Euro, wovon der Bund aber nur einen Teil tragen muss, der Rest entfällt auf die Länder.

Noch streitet die Ampelkoalition jedoch darum, wie genau die Bürger weiter entlastet werden sollen. SPD und Grüne sehen den vollständigen Ausgleich der kalten Progression skeptisch und wollen lieber gezielt untere und mittlere Einkommen entlasten. Auch Steuererhöhungen für Besserverdiener halten sie für möglich, was aber die Liberalen ablehnen.

Eine weitere Verschlechterung der Wirtschaftslage oder große Entlastungspakete würden den Finanzminister vor Probleme stellen und die Einhaltung der Schuldenbremse gefährden. Schon jetzt war es für Lindner äußerst schwierig, die Schuldenregel einzuhalten.

Die Opposition übt Kritik am Finanzminister. Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Haase (CDU), spricht von einem „Schönwetterhaushalt“. Einem ehrlichen Realitätscheck halte der Etat nicht stand. „Strukturelle Probleme des Haushalts werden weiter fortgeschrieben und deren Lösung auf den St. Nimmerleinstag geschoben“, sagte Haase.

Beherzter Griff in die Milliardenrücklage

In diesem Jahr betrug die Nettokreditaufnahme noch 138,9 Milliarden Euro. Die Senkung auf 17,2 Milliarden ist also eine drastische Reduzierung. Dazu haben einerseits Ausgabenkürzungen beigetragen.

Im laufenden Jahr gibt der Bund noch 495,8 Milliarden Euro aus. Für 2023 plant Lindner nun mit 445,2 Milliarden Euro. So entfallen viele Kosten im Zusammenhang mit der Coronapandemie, etwa für Tests oder Unternehmenshilfen.

Gleichzeitig fiel die Steuerschätzung im vergangenen Mai besser aus, sodass Lindner mit Mehreinnahmen von rund 34 Milliarden Euro planen kann. Aber auch das reichte nicht aus, um die Schuldenbremse einzuhalten.

Deshalb muss der Finanzminister im kommenden Jahr beherzter in eine bestehende Rücklage greifen: Ursprünglich war geplant, 28 Milliarden Euro aus der Reserve zu nutzen, nun sollen es 40,5 Milliarden Euro werden.

Damit schmilzt die Rücklage jedoch schneller und in den kommenden Jahren wird dann der Spielraum kleiner. Für 2024 sind nur noch 7,7 Milliarden Euro übrig. Grundsätzlich werden die finanziellen Spielräume für die Ampelkoalition enger.

Dazu tragen auch die steigenden Zinsen bei. Für 2023 hat Lindner im Etat 29,6 Milliarden Euro an Zinsausgaben veranschlagt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es nur 3,9 Milliarden Euro.

Der Finanzminister versieht die Kabinettsvorlage deshalb mit einer Mahnung an seine Ministerkollegen für die kommenden Jahre: „Zudem wird gerade für den Fall eines deutlich weiter steigenden Zinsniveaus eine gezielte und konsequente Prioritätensetzung von besonderer Bedeutung sein, um Spielräume für die Verwirklichung weiterer Vorhaben des Koalitionsvertrages zu schaffen.“

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