Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise Kanadas tritt Finanzminister Bill Morneau zurück. Premierminister Justin Trudeau ernennt seine Stellvertreterin Chrystia Freeland zur Nachfolgerin.
Chrystia Freeland
Sie wäre die erste Finanzministerin Kanadas.
Bild: AP
Ottawa Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste schwerste Wirtschaftskrise in Kanadas Geschichte ist nicht die einzige Herausforderung, vor der Premierminister Justin Trudeau steht. Gerade jetzt muss er auch noch sein Kabinett umbauen. Bill Morneau, seit Herbst 2015 für die Staatsfinanzen zuständig, gab am Montagabend in Ottawa seinen Rücktritt bekannt.
Als Nachfolgerin ernannte Premierminister Justin Trudeau am Dienstag seine Stellvertreterin Chrystia Freeland. Sie wurde in Ottawa bei einer Zeremonie als Ministerin vereidigt. Damit wird das Finanzministerium in Kanada erstmals von einer Frau geführt. „Es war an der Zeit, dass wir diese gläserne Decke durchbrechen“, sagte Freeland. Die Bezeichnung „Gläserne Decke“ (englisch: Glass Ceiling) wird vor allem im englischsprachigen Raum als Metapher für die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben gebraucht, die bis zu einem bestimmten Punkt beruflich oftmals nicht höher aufsteigen können.
Die 52-jährige ehemalige Außenministerin und Ex-Journalistin Freeland war maßgeblich an der Ausarbeitung des neuen Freihandelsabkommens mit den USA und Mexiko beteiligt. Sie gilt als enge Verbündete Trudeaus und wird auch ihren Job als dessen stellvertretende Premierministerin behalten, wie der Regierungschef mitteilte.
Freeland gilt auch als wahrscheinlichste Nachfolgerin von Trudeau innerhalb der Liberalen Partei. Sie hat seit der Wahl im vergangenen Herbst in der Regierung eine Schlüsselrolle inne und wird oft als „Ministerin für alles“ bezeichnet, weil keine wichtigen Entscheidungen ohne ihre Beteiligung fallen. Sie ist denn auch die Hauptakteurin, wenn es um die äußerst schwierigen Beziehungen zu den USA und den neu aufgeflammten Handelskonflikt um Aluminium-Strafzölle geht. Als Finanzministerin muss sie wegen der Coronavirus-Krise mit dem größten Haushaltsdefizit Kanadas seit dem Zweiten Weltkrieg umgehen.
Morneau hatte noch am Montagvormittag den Premierminister getroffen und – wie er es später formulierte – seinen Rücktritt eingereicht. In Ottawa war seit mehreren Tagen über ein frühzeitiges Ende der Amtszeit des Ministers spekuliert worden. Morneau will nach eigener Auskunft vergessen haben, von einer Wohltätigkeitsorganisation übernommene Reisekosten zurückzuzahlen. Auf die Frage, ob Trudeau ihn um den Rücktritt gebeten habe, sagte Morneau allerdings „Nein“.
Er habe dem Premierminister mitgeteilt, dass er bei der nächsten Parlamentswahl nicht mehr kandidieren wolle, sagte Morneau, der 2015 vom Chefposten beim Pensionsfonds Morneau Shepell in Toronto in die Politik gewechselt war. „Es war niemals mein Plan, mich für mehr als zwei Wahlzyklen zu bewerben.“
Der Erholungsprozess nach dem Covid-Absturz werde aber viele Jahre in Anspruch nehmen. „Wir brauchen einen Finanzminister, der langfristig da ist.“ Daher ist es laut Morneau genau der geeignete Zeitpunkt für einen Wechsel im Amt. Und er gab auch schon seine Pläne für seine weitere Karriere bekannt: Der 57-Jährige will sich um das Amt des Generalsekretärs der Industriestaatenorganisation OECD bemühen, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Kanada hatte im Oktober 2019 ein neues Parlament gewählt. Die Liberalen regieren seitdem zwar nur mit einer Minderheitsregierung und sind auf die Unterstützung durch andere Parteien angewiesen. Die unmittelbare Gefahr eines Sturzes und vorgezogener Neuwahlen besteht derzeit aber nicht, auch wenn eine der Oppositionsparteien im Herbst einen Misstrauensantrag im Parlament einbringen will.
Die Position des Finanzministers ist aber seit Längerem geschwächt. Nachdem die Regierung über viele Wochen überzeugend auf die Coronakrise reagiert und politisches Kapital angesammelt hatte, geriet sie durch die Kontroverse um die gemeinnützige „WE Charity“ in Turbulenzen. „WE“ sollte ein fast eine Milliarde Dollar umfassendes Programm zur Unterstützung von Studenten in der Covidkrise managen und dafür mehrere Millionen Dollar Honorar erhalten.
Die „WE Charity“ hat aber nicht nur enge Beziehungen zur Familie Trudeau, sondern auch zu Morneau. Der Ethikbeauftragte des Parlaments ermittelt, ob Trudeau und Morneau gegen das Gesetz zur Verhinderung von Interessenkonflikten verstoßen haben. Die Opposition sieht Morneau als „Opfer“ und „Sündenbock“, der von Trudeaus Ethikproblemen ablenken soll.
Hinzu kommt: Mark Carney, der renommierte frühere Gouverneur der kanadischen Notenbank sowie der Bank of England, soll Trudeau wohl als informeller Berater bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise zur Seite stehen. Nach Einschätzung politischer Beobachter stellte dies Morneaus Autorität bereits infrage.
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