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20.11.2022

09:06

COP27

UN-Klimakonferenz: Ärmere Länder erhalten Ausgleich für Klima-Schäden

Von: Silke Kersting

Seit Jahrzehnten fordern arme Staaten Geld für Klimaschäden. Nun hat die Weltgemeinschaft einen Topf beschlossen. Außenministerin Baerbock lobt ein „neues Kapitel in der Klimapolitik“.

In ihrer Abschlusserklärung bekräftigten die rund 200 Staaten ihre frühere Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen. IMAGO/photothek

UN-Klimakonferenz in Scharm-el-Sheikh

In ihrer Abschlusserklärung bekräftigten die rund 200 Staaten ihre frühere Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen.

Scharm el-Scheich Es ist ein Durchbruch nach jahrzehntelangen Debatten: Die Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich hat sich erstmals auf einen gemeinsamen Geldtopf zum Ausgleich von Klimaschäden in ärmeren Ländern geeinigt.

In ihrer Abschlusserklärung bekräftigten die knapp 200 Staaten am frühen Sonntagmorgen außerdem ihre frühere Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen. Ein Abschied von Öl und Gas wird nicht erwähnt. Damit bleibt die Erklärung hinter den Forderungen vieler Staaten, Klimaaktivisten und Experten zurück, die ein Ende der Abhängigkeit von schmutzigen Energieträgern als zwingend betrachten.

„Dass aufgrund der Blockade von einigen großen Emittenten und ölproduzierenden Staaten überfällige Schritte zur Minderung und zum Ausstieg aus fossilen Energien verhindert wurden, ist mehr als frustrierend“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die am vergangenen Mittwoch nach Ägypten gereist war, zum Abschluss der Konferenz. „Die Welt verliert dadurch kostbare Zeit, Richtung 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“

Eine Erderwärmung um 1,5 Grad im vorindustriellen Vergleich gilt als gerade noch erträglich, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Die Weltgemeinschaft hatte sich 2015 beim Pariser Klimaabkommen auf einen Wert „unter zwei Grad“ geeinigt, später aber noch einmal nachjustiert.

Bis heute hat sich Welt bereits um gut 1,1 Grad erwärmt, Deutschland noch stärker. Ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke erhöht nach Warnungen der Wissenschaft deutlich das Risiko, sogenannte Kippelemente im Klimasystem und damit unkontrollierbare Kettenreaktionen auszulösen.

Der neue Ausgleichsfonds soll nun unabwendbare Folgen der Erderhitzung abfedern – etwa immer häufigere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, aber auch der steigende Meeresspiegel und Wüstenbildung. Die Frage hatte sich als größter Streitpunkt durch die zweiwöchige Konferenz in Scharm el-Scheich gezogen.

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In dem Beschluss werden keine Summen für den neuen Fonds genannt und auch nicht, wer genau einzahlen soll. Dies soll später geklärt werden. Begünstigt werden sollen Entwicklungsländer, die besonders gefährdet sind.

In der Abschlusserklärung werden die Staaten außerdem aufgefordert, ihre größtenteils unzulänglichen Klimaschutzpläne bis spätestens zur nächsten Klimakonferenz nachzubessern. Diese findet Ende 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Die Nachbesserungen bleiben freiwillig, eine Verpflichtung gibt es nicht.

Die Konferenz, zu der etwa 34.000 Teilnehmer ans Rote Meer gereist sind, war am Freitagabend in die Verlängerung gegangen. In der Nacht zum Samstag war nach schleppenden und teils chaotischen Abläufen in Verhandlungskreisen Beunruhigung ausgebrochen. Nach zähen Beratungen folgte am frühen Sonntagmorgen schließlich der Durchbruch.

China und andere setzten die USA unter Druck

Die USA hatten den neuen Ausgleichsfonds zunächst blockiert, während die als G77 bekannte Gruppe aus mehr als 130 Entwicklungsländern zusammen mit China Druck aufbaute. Die Europäische Union schwenkte nach anfänglicher Zurückhaltung schließlich um.

Sicherlich ist das nicht ausreichend, aber es ist eine dringend notwendiges Signal, um verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock

UN-Generalsekretär António Guterres nannte den neuen Fonds für Klimaschäden einen wichtigen Schritt in Richtung Gerechtigkeit. „Sicherlich ist das nicht ausreichend, aber es ist eine dringend notwendiges Signal, um verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.“ Außenministerin Baerbock erklärte: „Damit schlagen wir ein neues Kapitel in der Klimapolitik auf.“

Umstritten bei dem Thema ist unter anderem die Rolle Chinas. Das Land, das beim Ausstoß klimaschädlicher Emissionen den ersten Platz belegt, will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden. So wurde es vor 30 Jahren im Kyoto-Protokoll festgelegt. Westliche Staaten wollen das Land wegen seiner Wirtschaftskraft und der Rolle als größter Verursacher von Treibhausgasen aber nicht länger als Empfängerland einstufen. Chinas Unterhändler Xie Zhenhua sagte, Entwicklungsländer sollten das Geld erhalten, räumte „verletzlichen Staaten“ aber Vorrang ein.

Die Außenministerin am Sonntagmorgen nach der Abschlusszeremonie beim Weltklimagipfel in Scharm el-Scheich. dpa

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock

Die Außenministerin am Sonntagmorgen nach der Abschlusszeremonie beim Weltklimagipfel in Scharm el-Scheich.

Bei der drängenden Eindämmung der Erderwärmung stellen Umweltorganisationen der Konferenz ein ungenügendes Zeugnis aus. Das „deprimierende Ergebnis“ gehe darin nicht über die Klimakonferenz im vergangenen Jahr in Glasgow hinaus, kritisierte Klima-Experte Jan Kowalzig von Oxfam. Es sei nicht einmal gelungen, einen klaren Fokus auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu legen – was insbesondere am Widerstand Saudi-Arabiens gelegen habe.

EU-Vize Timmermans kritisiert die Abschlusserklärung

Baerbock beklagte: „Wir Europäer haben uns in der Abschlusserklärung für ein klares Bekenntnis zum weltweiten Ausstieg aus fossilen Energien eingesetzt, dafür gab es viel Unterstützung - aber von einigen wenigen Staaten auch erbitterten Widerstand.“ Auch EU-Vizekommissar Frans Timmermans kritisierte, die Abschlusserklärung sei „nicht genug als Schritt voran für die Menschen und den Planeten“.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch erklärte: „Manche auf dem Weltklimagipfel wollten angesichts geopolitischer Spannungen das Pariser Klimaabkommen versenken.“ Durch den gemeinsamen Einsatz progressiver Länder und der Zivilgesellschaft habe das „im Wesentlichen“ abgewendet werden können, sagte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

Die ägyptische Präsidentschaft kritisierte Bals hart. „Sie trat intransparent auf, schränkte die Zivilgesellschaft ein und fand keine Balance.“ Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Staaten das Runterfahren aller fossilen Energien gefordert hatte, finde sich das nicht im Abschlusstext.

Abschwächungen des Textes, die nur wenige Länder um Saudi-Arabien herum forderten, seien hingegen den Staaten in „Friss-oder-Stirb-Manier“ vorgelegt. Die Präsidentschaft habe die Interessen Saudi-Arabien und anderer Golfstaaten sowie Chinas begünstigt, so Bals.

Als wichtigen Durchbruch lobte Germanwatch die Einigung auf einen Fonds für Schäden und Verluste. Es sei gut, dass der Internationale Währungsfond aufgefordert worden sei, innovative Instrumente für die Finanzierung dieses Fonds zu entwickeln.

Auch der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, lobte den Beschluss zu Ausgleichszahlungen, mahnte aber an: „Nun müssen die Verursacher der Klimakrise zu ihrer Verantwortung stehen und den neuen Hilfstopf ordentlich befüllen.“ Gerächt habe sich allerdings, dass die Industriestaaten den Entwicklungsländern seit Jahren die zusagten Hilfszahlungen schuldig geblieben sind.

Eigentlich sollten Letztere mit 100 Milliarden US-Dollar jährlich unterstützt werden. Dass dies nicht passiert sei, habe verständliches Misstrauen ausgelöst, so Kaiser. „Hätten insbesondere die USA ihre Rechnung bezahlt, wären die G7 in einer besseren Verhandlungsposition gewesen, auch China und andere Schwellenländer schon jetzt zur Einzahlung in den Fonds zu verpflichten. Am Ende dieser Klimakonferenz klebt somit ein kleines Pflaster auf einer riesigen klaffenden Wunde.“

Mit Agenturmaterial.

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