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18.01.2021

16:12

Corona-Wiederaufbaufonds

Die EU will Milliarden Euro verteilen – aber bei Italien und Spanien hakt es

Von: Thomas Hanke, Gerd Höhler, Sandra Louven, Hans-Peter Siebenhaar, Christian Wermke

Die beiden größten Profiteure des gigantischen EU-Rettungsfonds sind nicht in der Lage, konkrete Investitionsprojekte zu präsentieren. Paris und Athen haben dagegen bereits Konzepte vorgelegt.

Um Geld aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu erhalten, müssen die Länder allerdings konkrete Projektpläne einreichen. Reuters

Sitz der EU-Kommission in Brüssel

Um Geld aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu erhalten, müssen die Länder allerdings konkrete Projektpläne einreichen.

Brüssel, Madrid, Rom, Athen, Paris Italiens derzeitiges Dilemma hat der römische Dichter Horaz schon vor mehr als 2000 Jahren beschrieben: „Wo sich das Geld mehrt, folgt die Sorge nach.“ Rund 209 Milliarden Euro bekommt Italien aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU – mehr als jedes andere Land. Und doch hat der Streit, wie genau die Gelder verwendet werden, vergangene Woche die Koalition zerrissen und die Regierung in die Krise gestürzt.

Der Wiederaufbaufonds – Gesamtvolumen 750 Milliarden Euro – galt als Zäsur in der europäischen Integration. Die EU-Kommission darf sich erstmals in großem Stil selbst verschulden und zahlt die Gelder teilweise als Transfers aus.

Dagegen gab es heftigen Widerstand einzelner nordeuropäischer Länder, die befürchteten, dass die Gelder in den Krisenländern versickern. Besonders die Staaten Südeuropas mit ihrer großen Tourismusbranche, aber auch Frankreich, leiden besonders unter den ökonomischen Folgen des Pandemie.

Um das Geld zu erhalten, müssen die Länder allerdings konkrete Projektpläne einreichen. Doch just die beiden größten Profiteure – Spanien und Italien – kommen damit nicht voran. Während Frankreich und Griechenland bereits detaillierte Projekte aufgelistet haben, beschränken sich Roms und Madrids Entwürfe auf allgemeine Ankündigungen.

Dabei läuft die Zeit davon. Bis Ende April müssen die Staaten ihre Pläne bei der EU-Kommission einreichen, die dann zwei Monate Zeit hat, sie zu prüfen. Danach muss der Europäische Rat sie mit qualifizierter Mehrheit genehmigen. Die Mittel aus dem Fonds müssen für Investitionen, aber auch für Reformen ausgegeben werden.

Zweimal im Jahr können die Länder die Auszahlung beantragen. Bevor das Geld tatsächlich fließt, prüft die Kommission, ob die gesteckten Ziele eingehalten wurden. Die Kontrolle dabei ist schärfer als bei allen bisherigen Hilfspaketen.

Höhere Hilfen

Zehn Mitgliedstaaten haben bereits vorläufige Pläne nach Brüssel geschickt. Das Ziel: sich schon im Vorfeld auf die wichtigsten Punkte zu einigen, um die Genehmigung der finalen Pläne zu beschleunigen. Bislang ist das noch nicht möglich, weil der Wiederaufbaufonds noch vom EU-Parlament und anschließend von den Parlamenten der Mitgliedstaaten abgesegnet werden muss.

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Die EU hat jüngst die geplanten Hilfen für die jeweiligen Länder erhöht. Aus dem Anhang zu einem Dokument des Europäischen Rates vom 21. Dezember, das dem Handelsblatt vorliegt, geht hervor, dass alle großen EU-Länder nach jetzigem Stand mehr Geld erhalten sollen als im vergangenen Juli veranschlagt. Demnach sollen die EU-Mitglieder aus dem Recovery and Resilience Fund rund 338 Milliarden Euro bekommen – das sind 25 Milliarden Euro mehr als noch im Juli veranschlagt.

Regierungskreise in Madrid bestätigten, dass Spanien zehn Milliarden Euro mehr an nicht rückzahlbaren Transfers erhalten soll als ursprünglich erwartet – nach jetzigem Stand 69,5 Milliarden Euro. Die Summen, die im Sommer nach den Verhandlungen über die EU-Fonds für jedes Land genannt wurden, waren nicht final, sondern Richtwerte. Die EU hat sie nun den aktuellen Konjunkturprognosen angepasst.

Italien: In die Regierungskrise geschlittert

Einen Tag bevor Italiens Ex-Premier Matteo Renzi sein Land mit dem Abzug von zwei Ministerinnen ins Chaos stürzte, stimmte seine Partei Italia Viva im Parlament noch für den zweiten Entwurf des Wiederaufbauplans.

Während Ministerpräsident Giuseppe Conte nun am Dienstag um die Mehrheit im Senat bangen muss und selbst Neuwahlen nicht mehr ausgeschlossen sind, ist zumindest das wichtigste politische Projekt der vergangenen Jahrzehnte auf den Weg gebracht. Doch nun beginnen die Diskussionen mit Brüssel sowie die Umsetzung des Plans – beides könnte ins politische Vakuum fallen.

Auch wenn beim neuen Entwurf nach Renzis Drohungen nachgebessert wurde, etwa das Gesundheitssystem nun statt neun fast 20 Milliarden Euro bekommen soll: Noch immer ist Italiens Plan erstaunlich oberflächlich. Klar ist, dass etwa ein Drittel der Gelder in die „grüne Revolution“ fließen soll, rund 45 Milliarden in die Digitalisierung.

Aber: „Es reicht nicht, einen Plan zu haben, man braucht eine Strategie und präzise konkrete Projekte“, sagt der Europarechtler Enzo Moavero, der schon dreimal in der italienischen Regierung saß, zuletzt 2019 als Außenminister.

Spanien und Italien haben bisher keine Investitionspläne vorgelegt. AP

Pedro Sanchez und Giuseppe Conte

Spanien und Italien haben bisher keine Investitionspläne vorgelegt.

Im Kompromiss der EU ist vorgesehen, dass der Europäische Rat bei den Plänen intervenieren kann – und damit die anderen Mitgliedstaaten. „Vor allem können sie im Rat Suspendierungen und Klarstellungen verlangen“, erklärt Milanesi, der an der römischen Universität Luiss lehrt.

Es sei daher denkbar, dass die Kommission mit dem italienischen Plan rigoroser umgehen muss, weil er weniger ausgereift scheine als etwa der französische. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es in Italien nicht einfach ist, Reformen durchzuführen. Und auch Gelder auszugeben war immer schon etwas kompliziert.“

Das zeigt auch ein Blick auf die Summen, die Italien aus dem mehrjährigen EU-Finanzrahmen von 2014 bis 2020 zustehen: Rund 29 Milliarden Euro hat das Land bislang noch nicht ausgegeben, wie die italienische Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ am Montag errechnet hat. Zählt man die von Rom kofinanzierten Projekte noch dazu, sind es weitere neun Milliarden. Die öffentliche Verwaltung bis runter in die Regionen ist das Problem: Sie arbeitet zu langsam und ineffizient.

Spanien: vage Vorschläge

Als der spanische Premier Pedro Sánchez im Juli nach den Verhandlungen über den Wiederaufbaufonds aus Brüssel zurückkehrte, empfing ihn sein Kabinett mit stehendem Applaus. Spanien ist nach Italien das Land, das die meisten Hilfen erhält. Noch im Januar will die Regierung ihren Plan einreichen.

„Wir stehen seit Monaten in sehr engem Kontakt mit Madrid“, heißt es in Brüssel. Das Verhältnis ist gut: Wirtschaftsministerin Nadia Calviño hat vor ihrem Amtsantritt jahrelang in der EU-Kommission gearbeitet, zuletzt als Generaldirektorin für den Haushalt.

Doch den bislang vorliegenden Entwurf „España puede“ („Spanien kann“), den Sánchez im Oktober nach Brüssel geschickt hat, kritisieren spanische Ökonomen als zu vage. „Auf 58 Seiten finden sich nur Grundsatzerklärungen, nichts Konkretes“, sagt etwa Fernando Fernández, von der Business School IE. Als Grund dafür vermutet der Politologe Pablo Simón von der Universität Carlos III das Tauziehen der spanischen Regionen um die Gelder.

Calviño dagegen hat am Montag erklärt, sie sei von der Eurogruppe und dem Ecofin eingeladen worden, über den spanischen Wiederaufbauplan zu berichten. „Wir bewerten die Einladung sehr positiv“, so Calvino. „Spanien ist eines der Länder, die bei diesem neuen Prozess, in dem wir alle gemeinsam lernen, am weitesten voran geschritten sind.“

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Spanien erhält nach den neuen Berechnungen zusammen mit den 11,5 Milliarden Euro aus dem Strukturfonds React-EU insgesamt 81 Milliarden Euro an nicht rückzahlbaren Zuschüssen. Zusammen mit den Krediten hat das Land damit Anrecht auf 150 Milliarden Euro.

Verplant hat Sánchez bislang nur die Zuschüsse: 37 Prozent des Geldes sollen in die grüne Wirtschaft fließen, 33 Prozent in die digitale Transformation, zu der unter anderem die Digitalisierung der Verwaltung gehört. 27 Milliarden Euro aus Brüssel hat Sánchez bereits im Haushalt für 2021 eingeplant. Bis das Geld kommt, nimmt Madrid die Mittel am Markt auf.

Eine Ahnung davon, wie die Details seines Wiederaufbaus aussehen könnten, liefern branchenspezifische Entwürfe, die Sánchez’ Regierung derzeit verabschiedet. Der Plan zur Konnektivität und digitalen Infrastruktur etwa legt fest, dass bis zum Jahr 2025 alle Haushalte mit schnellen Glasfaserkabeln versorgt werden sollen.

Die „Roadmap Wasserstoff“ sieht vor, bis 2030 Kapazitäten für die Produktion von vier Gigawatt grüner Wasserkraft zu schaffen. Zudem hat Madrid per Dekret administrative Flaschenhälse bei der öffentlichen Auftragsvergabe eliminiert, damit die EU-Gelder so schnell wie möglich zu ihren Zielen gelangen können.

Ähnlich wie in Italien gibt es aber Streit um das Management der Gelder. Opposition und Experten fordern eine unabhängige Aufsicht, die bislang nicht vorgesehen ist. „Ohne die ist die Gefahr groß, dass die Regierung mit dem Geld Klientelpolitik betreibt“, warnt Politologe Simón.

Frankreich: Steuersenkungen und detaillierte Investitionen

Deutlich reibungsloser haben Frankreich und Griechenland ihre Entwürfe auf den Weg gebracht. Paris hat seinen detaillierten Aufbauplan bereits im September vorgelegt. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Premier Jean Castex waren mehrmals in Brüssel, um den 100 Milliarden Euro umfassenden Entwurf zu begründen. 39,4 Milliarden davon sollen Zuschüsse der EU sein.

Die grobe Aufteilung des Projekts: 30 Milliarden Euro sind für die ökologische Wende vorgesehen, knapp sieben Milliarden davon sollen in die thermische Renovierung von Altbauten fließen, etwas unter fünf Milliarden Euro in den Verkehr, vor allem in die Erneuerung des Eisenbahnnetzes.

34 Milliarden sind für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation reserviert. Den größten Batzen davon nimmt eine Steuersenkung in Anspruch: Um insgesamt 20 Milliarden Euro will die Regierung die Produktionssteuern senken – ertragsunabhängige Abgaben, die von Ökonomen als eine wichtige Ursache für den Niedergang der französischen Industrie angesehen werden. Mit drei Milliarden Euro will Paris die Eigenmittel der kleinen und mittelständischen Unternehmen stärken.

Die Regierung will indes nicht warten, bis die EU-Kommission ihre Zustimmung erteilt hat. Einen Teil der Mittel hat sie bereits in den letzten Nachtragshaushalt 2020 eingestellt.

Griechenland: Aufbauplan vom Nobelpreisträger

Athen erwartet aus dem EU-Aufbaufonds Zuschüsse von 17,8 und Kredite von 12,7 Milliarden Euro. Die Gesamtsumme von 32,1 Milliarden entspricht 19 Prozent des erwarteten Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr. Premierminister Kyriakos Mitsotakis machte das Programm von Anfang an zur Chefsache. Er sieht darin eine Chance, das chronisch krisengeplagte Land für die nächsten Jahrzehnte neu aufzustellen und zu einem attraktiven Investitionsstandort zu machen.

„Das Besondere an unserem Plan ist, dass er auf wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen steht, detailliert ist, stark auf strukturelle Reformen abhebt und ganzheitlich alle Wirtschaftsbereiche einbezieht“, erklärt Alex Patelis, der Chefwirtschaftsberater des Premiers.

Der Regierung kam zugute, dass sie bereits im vergangenen Jahr eine Expertenkommission unter Vorsitz des Ökonomie-Nobelpreisträgers Christopher Pissarides mit der Ausarbeitung eines nationalen Reformplans beauftragt hatte. „Darauf bauen wir auf“, sagt Patelis.
Das Konzept, das die Athener Regierung Mitte Oktober der EU-Kommission vorlegte, ist mit 242 Seiten und weiteren rund 500 Seiten Erläuterungen umfangreich und detailliert.

Ein Schwerpunkt ist die Digitalisierung, wie der Ausbau des Glasfasernetzes, der Übergang zu 5G und die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Der zweite Fokus liegt auf „grünen“ Projekten wie der E-Mobilität, Energiesparmaßnahmen, erneuerbaren Energien und dem Kohleausstieg bis 2028. Weitere Eckpunkte sind eine Justizreform, Programme zur Berufs- und Weiterbildung sowie die engere Verzahnung von Universitäten und Wirtschaft.

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