Die neue Konjunkturprognose der Industrieländer-Organisation ist noch pessimistischer als vergleichbare Vorhersagen. Der Corona-Shutdown senkt die BIP vieler Länder um bis zu 30 Prozent.
Containerschiff in Newark
Die Erholung von der Coronakrise werde umso leichter, je weniger Handelsbarrieren errichtet würden, so OECD-Chefin Laurence Boone.
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Berlin Der Befund dieser Prognose ist dramatisch: Die Weltwirtschaft ist infolge der Corona-Pandemie und der Shutdowns kollabiert. In vielen Staaten schrumpft das Bruttoinlandsprodukt in diesem Quartal um 20 bis 30 Prozent.
Berechnet auf das Gesamtjahr wird die Weltwirtschaft bis Ende 2020 um sechs Prozent geschrumpft sein – so stark wie nie in Friedenszeiten seit mehr als 100 Jahren.
Die Industrieländer-Organisation OECD ist damit in ihrem neuen Wirtschaftsausblick noch pessimistischer als die Weltbank am vergangenen Montag, die von einem Einbruch der Weltwirtschaft um 5,2 Prozent ausgeht.
„Dieser Schock trifft jeden in jedem Land der Welt“, sagte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone dem Handelsblatt anlässlich der Veröffentlichung der Konjunkturprognose. Deshalb müssten die Regierungen eng kooperieren, um einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. Und nach den breit gestreuten Hilfsprogrammen sei es jetzt an der Zeit für gezieltere Konjunkturhilfen.
Der drastische Einbruch der Weltwirtschaft um sechs Prozent ist sogar noch das bessere der beiden Szenarien der neuen OECD-Prognose. Es setzt voraus, dass es keine zweite Infektionswelle im Herbst geben wird und neue Corona-Ausbrüche lokal sofort begrenzt werden können.
Das zweite Szenario mit zweiter Welle würde die Weltwirtschaft 2020 um 7,6 Prozent schrumpfen lassen. „Das Virus ist nicht ausgerottet, und natürlich gibt es riesige Unsicherheiten, wie die Erholung ausfallen wird. Wir wissen nicht, ob das Virus saisonal ist, und wir wissen nicht, ob die Testkapazitäten ausreichend sein werden“, sagte Boone.
Die Tiefe der Rezession einzelner Länder fällt sehr unterschiedlich aus. Laut Boone hängt sie nicht nur von der Länge des jeweiligen Shutdowns ab, sondern vor allem von der Härte der Maßnahmen und den davon betroffenen Branchen.
Der Bausektor etwa wurde in einigen Staaten geschlossen, in anderen, etwa Deutschland, blieb er aktiv.
Die deutsche Wirtschaftsleistung wird nach der OECD-Prognose 2020 im besseren Szenario um 6,6 Prozent schrumpfen, also in einer ähnlichen Größenordnung, wie es die Bundesregierung (-6,3 Prozent), die Bundesbank (-7 Prozent), das Münchener Ifo-Institut (-6,6 Prozent) und das Institut für Weltwirtschaft (-7,1 Prozent) erwarten. Auch die Wirtschaftsweisen rechnen mit einem Einbruch um sechs bis sieben Prozent.
2021 könnte das deutsche BIP wieder um 5,8 Prozent zulegen. Käme es aber zur zweiten Infektionswelle, erwartet die OECD ein Minus von 8,8 Prozent für Deutschland und 2021 nur eine sehr schwache Erholung von 1,7 Prozent.
Das ist im Vergleich mit anderen großen Industriestaaten noch glimpflich: Für Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien rechnet die OECD mit einem Einbruch von jeweils mehr als elf Prozent im besseren Szenario und mehr als 14 Prozent im schlechteren. Die US-Wirtschaft wird demnach um 7,3 Prozent, mit zweiter Welle um 8,5 Prozent einbrechen.
„In dieser Krise sehen wir keine Lokomotiven-Wirtschaft, die die Welt aus der Rezession ziehen könnte“, sagte Boone. Nach der Finanzkrise 2009 war es China, das mit großen Konjunkturprogrammen die Weltwirtschaft befeuerte. Heute richtet China seine Wirtschaft auf nationale Produktion aus, und Indien habe Probleme im Kampf gegen das Virus.
Umso mehr würde es Europa helfen, wenn die EU-Staaten eng zusammenarbeiten. „Der Europäische Recovery Fund kann den EU-Staaten helfen, die am stärksten von der Pandemie getroffen wurden“, so Boone. Kämen sie schnell aus der Rezession, würde das auch die übrigen EU-Staaten im verflochtenen Binnenmarkt stärken.
Boone erwartet jedenfalls, dass die Wirtschaftsleistung längere Zeit unter dem Stand vor der Coronakrise verharren wird. „Es wird in vielen Branchen Zeit brauchen, zur Normalität zurückzukehren“, sagte sie und nannte als Beispiel den internationalen Passierflugverkehr, der um 98 Prozent eingebrochen war.
In all dem Wirtschaftselend gibt zumindest die Reaktion vieler Regierungen Hoffnung. Riesige Hilfsprogramme für den Schutz der Einkommen von Firmen und Bürgern hätten Schlimmeres verhindert. Die Staaten hätten bei ihrem Vorgehen voneinander gelernt, etwa, indem sie Kurzarbeit einführten, um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden.
„Die staatlichen Hilfen müssen fortgesetzt werden“, sagte Boone. Sie müssten jetzt aber zielgerichteter werden. „Manche Firmen werden schließen müssen, es werden Jobs verloren gehen. Regierungen sollten den Übergang in neu entstehende Jobs und Firmengründungen unterstützen“, sagte sie. Anderenfalls bestehe die Gefahr, zu viel Geld in nicht dauerhaft überlebensfähige Unternehmen zu stecken.
Wenn der Staat sich an Firmen beteilige oder Zuschüsse gebe, müsse er sicherstellen, dass es Restrukturierungspläne gebe und einen Plan für den Ausstieg aus den Hilfen. „Es darf keinen ,free lunch‘ für Aktionäre geben“, forderte Boone. Und alle künftigen Ausgaben müssten nachhaltig sein.
Die Erholung werde umso leichter, je weniger Handelsbarrieren errichtet würden. „Als es zu Beginn der Pandemie Exportkontrollen für medizinische Güter gab, haben diese den Mangel noch verschärft“, sagte sie. Die OECD hoffe daher, dass es wieder mehr internationale Kooperation gebe, auch wenn es darum geht, die Lieferketten zu stabilisieren.
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