Das Ansehen der Kanzlerin und des deutschen Gesundheitssystems steigt weltweit. In der Coronakrise verschärft sich aber ein Kritikpunkt: die europäische Solidarität.
Berlin
Deutschland wird im Ausland häufig als Musterbeispiel im Kampf gegen Covid-19 genannt.
Bild: Reuters
Düsseldorf Die „New York Times“ schlägt Angela Merkel in einem Kommentar gleich für das Amt der US-Vize-Präsidentin vor. Das Politik- und Gesellschaftsmagazin „The Atlantic“ lobt die deutsche Kanzlerin als überlegte politische und wissenschaftliche Führerin. In Japan und Großbritannien wird das deutsche Beispiel dieser Tage immer wieder herangezogen, um auf die Fehler im eigenen Land aufmerksam zu machen.
Corona-Zeiten sind Zeiten des Ländervergleichs. Und in diesen Vergleichen schneidet Deutschland mit seiner relativ niedrigen Zahl an Corona-Todesfällen, trotz aller Fehler und Unstimmigkeiten im Kleinen, weltweit gut ab. Und Angela Merkel avanciert zu einer Art Heilsbringerin der Coronakrise. „Wenn man über irgendein Land in Europa sagen kann, dass es bisher eine gute Coronakrise hatte, dann ist es Deutschland“, urteilt das britische Magazin „The Economist“. Die Erfolge bei der Krisenbekämpfung seien unbestreitbar.
Die Erfolgsfaktoren, die im Ausland ausgemacht werden: Die Bundeskanzlerin mit ihrer wissenschaftlichen Akribie und empathischen Führungsstärke. Das leistungsfähige deutsche Gesundheitssystem und die im internationalen Vergleich hohe Intensität an Corona-Tests. Auch das soziale System und das Kurzarbeitergeld sind für viele zum Vorbild geworden.
Die breite industrielle Unternehmensbasis wird als Stärke des Landes wahrgenommen. Auch der Föderalismus ist zumindest aus dem Ausland betrachtet eine Stärke des Landes, weil die dezentralen Strukturen zu schnellem Handeln geführt hätten. Einziger Kritikpunkt, vor allem in Südeuropa: Deutschland fehle es an europäischer Solidarität.
Unaufgeregt, analytisch und trotzdem nicht emotionslos bereite die Kanzlerin die Deutschen auf die Gefahren vor, lobt „The Atlantic“. Mit einer „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ habe sie das ganze Land hinter sich und die internen Gegner zum Verstummen gebracht.
Selbst Trump, der US-Präsident Donald Trump, der ihr vor drei Jahren nicht einmal die Hand reichen wollte, ist bemerkenswert stumm geworden, wenn es um Deutschland-Kritik geht. Merkel wende sich „mit dem Gehirn einer Naturwissenschaftlerin und dem Herzen einer Pastorentochter“ an die Bevölkerung, kommentiert Politikprofessor Timothy Garton Ash im britischen „Guardian“.
In Japan gilt Merkels Führungsstil zudem als empathisch im Gegensatz zu dem von Ministerpräsident Shinzo Abe, dessen Popularität sinkt. Die Kanzlerin halte nicht nur gute Reden, sondern habe auch Ergebnisse geliefert, so Yukio Noguchi, Berater am Forschungszentrum für Unternehmensfinanzierung der Waseda-Universität, in einer Kolumne der Wirtschaftspublikation „Money Gendai“.
Abe dagegen habe als Teil seines Rettungspakets gerade einmal jedem Haushalt zwei Schutzmasken versprochen, eine Aktion, über die sich selbst ultrakonservative Gesinnungsgenossen aufgeregt haben. Er stehe den Ängsten der Menschen völlig gleichgültig gegenüberzustehen – besonders im Vergleich mit Merkel, so Noguchi. Am 12. April stellte er gar ein Video online, mit dem Titel: „Ich entspanne mich zu Hause mit meinem Hund.“
Japanische Medien loben zudem die Flexibilität der Unternehmen und Verwaltung, schnell auf Home-Office-Arbeit auszuweichen. In Japan gelingt es vielen Unternehmen nicht wirklich, in großem Maßstab auf Telearbeit umzustellen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Stoische Ruhe als Markenzeichen.
Bild: AP
In Kanada loben die Medien Merkels „trademark phlegmatic style“ – „die stoische Ruhe, die ihr Markenzeichen ist“. Der „Globe“ kommentiert: „Ein großer Teil der Deutschen atmete auf, dass Frau Merkel noch in der Verantwortung ist.“
Mit dem „kühlen und urteilsfähigen Auge“ einer Wissenschaftlerin habe die Kanzlerin, die Physik und Quanten-Chemie studiert hat, die Probleme angepackt. Dass sie jetzt davor warnt, zu schnell die Einschränkungen aufzuheben, und ihre Mahnung, langsam und mit Vorsicht vorzugehen, wird in Kanada ebenfalls registriert.
Das dicht bevölkerte Deutschland, umgeben von Ländern mit rasch steigenden Todesraten, hätte eigentlich eine katastrophale Krise erleben müssen, urteilt die „Financial Post“. „Aber die auf Wissenschaft basierende Politik hat geholfen, besser als die meisten durch die Krise zu steuern.“ Die Zeitung würdigt auch die hohe Zahl an Covid-Tests, die in Deutschland vorgenommen werden.
In Italien wurde die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin, in der sie mit drei Sätzen die Verbreitung des Coronavirus erklärte, mit englischen Untertiteln versehen, zum Klick-Favoriten in den sozialen Medien. Im italienischen Sprachschatz gibt es mittlerweile das Verb „merkeln“ und es ist nicht negativ gemeint.
In Österreich lobten die Medien die Rede Merkels im Bundestag in dieser Woche mit ihrer Aussage „Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung“ zur Entscheidung, die Freiheitsrechte in Deutschland einzuschränken.
Kommentatoren vermissen diese Haltung bei der schwarz-grünen Regierung in Österreich unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Während Merkel fast entschuldigend spricht erinnern die Regierungsauftritte in Österreich an Lehrer, die das Volk in den Regeln unterrichten, die es aber nicht zu hinterfragen gilt“, kritisiert die Zeitung „Die Presse“.
Der italienische Kommentator Emiliano Fittipaldi bringt das Standing Deutschlands auf den Punkt: „Beim Umgang mit der Coronakrise haben uns die deutschen Vettern übertrumpft. Sie haben eine bessere Organisation des medizinischen Notstands gezeigt, besitzen eine politische Führungsschicht, die national wie auch regional kompetent ist und haben dazu eine funktionierende Kommandokette“ – alles was Italien fehlt.
Mexiko sieht Deutschland als Musterbeispiel der Pandemiebekämpfung. Der mexikanische Vize-Gesundheitsminister Hugo López-Gatell hebt immer wieder Deutschland und insbesondere das Robert Koch-Institut hervor, wenn er von einer vorbildlichen Bekämpfung des Virus erzählt. Er berichtet sogar in seinen Tweets darüber, dass er sich beim RKI über Schnelltests erkundigt hat und wie man sie in Deutschland macht.
Auch in Großbritannien gilt Deutschland als Corona-Musterschüler, dem die eigene Regierung nacheifern sollte. In Zeitungen und Fernsehsendungen werden die Herangehensweisen der beiden Länder und die Todesstatistiken direkt miteinander verglichen. Das Ergebnis wurmt die Regierung von Premierminister Boris Johnson. Wenn man einen britischen Minister reizen wolle, müsse man nur die Deutschen erwähnen, merkte die „Financial Times“ an.
Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock
Lernen von Deutschland?
Bild: AFP
Johnsons medizinischer Berater Chris Whitty räumt ein, dass man insbesondere beim Massen-Testen von Deutschland lernen könne. Gesundheitsminister Matt Hancock erklärte kürzlich neidisch, dass sein Kollege Jens Spahn hunderte Labore anrufen könne, um Proben untersuchen zu lassen, weil die deutsche Pharmabranche so stark sei.
Umgehend wurde er belehrt, dass auch Deutschlands politisches System überlegen sei. Die Dezentralisierung der Bundesrepublik habe sich in der Krise als Vorteil erwiesen, kommentierte der „Guardian“.
Deutschland hat mehr Tests, mehr Intensivbetten, mehr Beatmungsgeräte - und deutlich weniger Tote. Tony Blairs einstiger Sprecher Alastair Campbell urteilte auf Twitter: „Sie haben uns wieder geschlagen.“
Dass Deutschland nun die Ausgangsbeschränkungen lockert, ruft in Großbritannien jedoch Erstaunen hervor. Die einen sehen es als Beweis dafür, dass Deutschland die Pandemie unter Kontrolle hat. Aufgrund des Testens habe die Bundesregierung „ein besseres Bild davon, was passiert, deshalb können sie jetzt wieder ein bisschen aufmachen“, erklärte BBC-Redakteur Gabriel Gatehouse in der Sendung „Newsnight“.
Andere wundern sich jedoch, warum die sonst so besonnenen Deutschen nun so überstürzt handeln. Deutschland erliege dem „Gewinnerfluch“, kommentierte „Daily Telegraph“-Kolumnist Ambrose Evans-Pritchard. Die niedrigen Todeszahlen sorgten für ein „trügerisches Gefühl der Sicherheit“. Damit wachse jedoch die Gefahr einer zweiten Welle.
In Russland wird die Disziplin der Deutschen bei den Beschränkungen zur Eindämmung des Virus in den Medien als vorbildlich dargestellt. Für einen Wow-Effekt sorgte die erste Öffnung von Geschäften in dieser Woche, als der Berlin-Korrespondent des staatlichen Senders „Rossija-1“ aus einem Schuhgeschäft in die Talk-Show „60 Minuten“ des Duma-Abgeordneten Pjotr Tolstoi zugeschaltet wurde. Er erklärte den Studiogästen, dass Deutschland es sich aufgrund der inzwischen geringen Ansteckungszahlen erlauben könne, die harten Isolationsmaßnahmen Schritt für Schritt wieder zu lockern.
In Frankreich ändert sich das Deutschlandbild in der Covid-19-Krise so stark wie seit langem nicht mehr. Vor der Epidemie galt die Bundesrepublik vielen als ein Land, das zwar wirtschaftlich erfolgreich sei, aber seine hohen Exportüberschüsse auch niedrigen Löhnen und prekären Arbeitsbedingungen sowie einem deutlich schlechteren Sozialschutz als in Frankreich verdanke. Nun vergleichen die Franzosen seit Wochen die Zahlen der Infizierten und der am Coronavirus Verstorbenen und stellen fest, dass es zumindest bislang in der Bundesrepublik deutlich besser aussieht.
„Deutschland kommt deutlich besser mit dem Coronavirus klar als Frankreich“ schreibt Laurent Joffrin, Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung Libération. Die Ursachen dafür würden alte Vorurteile über den Haufen werfen: „In Frankreich verulken oder loben wir häufig die deutsche Disziplin, doch unser Nachbar hat längst nicht so harte Ausgangsbeschränkungen verhängt wie wir ... das vor allem bei unserer Linken wegen seines „Ordoliberalismus“ verschriene Deutschland hat sein Gesundheitssystem besser ausgestattet als wir.“
Der wegen seiner budgetären Strenge verschriene Nachbar habe zudem auf einen Schlag rund eine Billion Euro bereitgestellt, um die Wirtschaft zu stützen. „Unsere vermeintlichen Gewissheiten werden erschüttert“, folgert Joffrin.
Ähnliches kann man im ebenfalls linksliberalen „Le Monde“ oder im konservativen „Le Figaro“ lesen. Es ist nicht so, dass eine besondere Deutschland-Begeisterung ausgebrochen wäre. Doch man schaut sich genau und sehr ausführlich, teils auf mehreren Seiten an, was der Nachbar anders macht. Nicht nur dem deutschen Gesundheitssystem, auch dem Föderalismus, der schnell auf die lokalen Bedingungen eingegangen sei, und der Stärke der deutschen Industrie zollen die Franzosen ihre Anerkennung.
„Kurzarbeitergeld“ und „gesetzliche Krankenversicherung“ werden auch in US-Medien ausführlich besprochen, wo die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von fünf Wochen um 27 Millionen stieg – und viele Menschen im Zuge automatisch ihre Krankenversicherung verloren haben.
Das deutsche Modell wird heute sogar im Silicon Valley als überlegen dargestellt: „Deutschland hat sich irgendwann entschlossen Talente anzuwerben, ihnen Ausbildungen und Jobs gegeben“ sagt Salman Ullah, Mitgründer und Managing Director bei Merus Capital in Palo Alto dem Handelsblatt.
„Das System Kurzarbeit funktioniert, die Menschen haben keine Angst ihre Krankenversicherung zu verlieren, der gesamte Stresslevel in der Bevölkerung ist deutlich geringer als in den USA. Dieser staatliche Unterbau zeigt jetzt in der Krise seine ganze Stärke“, analysiert Ullah, der bereits in fünf deutsche Start Ups investiert hat.
Nicht überall ist das Bild Deutschlands derzeit so positiv: Reißerische anti-deutsche Schlagzeilen und Nazi-Karikaturen gibt es beinahe täglich in den rechten Medien in Italien. Vor allem in der Diskussion um einen Abbau der hohen Schulden Italiens und beim Appell für mehr Haushaltsdisziplin ist Berlin traditionell der Sündenbock.
Bei der Diskussion um die Einführung von Corona-Bonds ist dies wieder der Fall. Die alten Stereotypen vom sparsamen Norden, der auf die Regeln besteht, und dem ausgabenfreudigen Süden, der sich seine Schulden von den anderen Partnern finanzieren lassen will, kommen wieder hoch.
„Es muss sich keiner als Klassenbester aufführen“, sagte Premier Giuseppe Conte mit Blick auf Berlin und kritisierte den deutschen Handelsüberschuss. Über die Hilfsleistungen aus Deutschland wurde hingegen nicht berichtet.
Immerhin wurden sieben Tonnen an Hilfsgütern geliefert und die Luftwaffe flog 43 schwerkranke Corona-Infizierte zur Behandlung nach Deutschland und zahlte die Behandlung. Vor allem die rechtsnationale Lega schürt das Ressentiment. „Wenn es um Deutschland geht, ist das Gedächtnis oft kurz und die Analyse, noch häufiger, grob“, kommentiert „la Repubblica“.
In Griechenland blicken die Medien sehr auf das Thema europäische Krisenfinanzierung. „Die Pandemie lässt die Nord-Süd-Spaltung in Europa wiederaufleben“, kommentiert die Zeitung „Kathimerini“. Vor allem die Weigerung Deutschlands, mit gemeinsam emittierten Euro-Bonds den weniger kreditwürdigen Südstaaten wie Griechenland unter die Arme zu greifen, sorgt für böses Blut – ein Thema, das schon während der griechischen Schuldenkrise Zwietracht zwischen Athen und Berlin stiftete.
Linkspolitiker Alexis Tsipras, der frühere Premier und jetzige Oppositionsführer, fällt zwar in seine alte Rolle zurück und beschuldigt Merkel, in der Corona-Krise ganz Europa ein Sparkorsett verpassen zu wollen. Aber in der griechischen Öffentlichkeit ist das Deutschlandbild inzwischen differenzierter. Wie überhaupt die heftigen politischen Verwerfungen der Krisenjahre angesichts der Corona-Bedrohung einer Besinnung auf das wirklich Wichtige gewichen sind.
Während die Niederlande als größter Bremser bei den Euro- oder Corona-Bonds gesehen werden, kann Merkel Punkte sammeln, wenn sie etwa jetzt in einer Schaltkonferenz der Unionsfraktion den europäischen Partnern Deutschlands Solidarität in der Corona-Krise verspricht. Das fand in den griechischen Gazetten anerkennende Erwähnung.
Der seit vergangenen Juli regierende Premier Kyriakos Mitsotakis hat zudem kein Interesse daran, das Thema der gemeinsamen Schuldenaufnahme zum Knackpunkt zu machen. Die Rolle des Wortführers überlässt Mitsotakis bei dieser Frage sehr gern seinem italienischen Kollegen Giuseppe Conti.
Mitsotakis braucht Merkels Unterstützung im zunehmend spannungsreichen Verhältnis zur Türkei und in der Migrationspolitik. Da konnte Deutschland jetzt mit der Aufnahme von Flüchtlingskindern aus den griechischen Elendslagern Sympathien gewinnen.
Auch in Frankreich wird das Thema differenziert diskutiert. Vor allem die Linke wirft der Bundesrepublik vor, zu zögerlich zu reagieren. Aus Egoismus oder wegen falscher Rücksichtnahme auf die AfD scheue die Bundesregierung vor Eurobonds oder anderen Formen angemessener Solidarität mit stark von der Krise betroffenen Ländern wie Spanien und Italien zurück.
Doch Yves Bertoncini, Präsident der Europäischen Bewegung Frankreich, hält dagegen: In einem mehrseitigen Papier weist er nach, dass Solidarität sich nicht allein an der Zustimmung oder Ablehnung von Eurobonds messen lasse. Deutschand verhalte sich seit Jahrzehnten solidarisch in der EU und habe mehr als hundert Milliarden Euro an Transfers über das EU-Budget finanziert.
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