Die Parlamentswahlen könnten Premierminister Kyriakos Mitsotakis das Amt kosten. Der radikal-linke Ex-Premier Alexis Tsipras hofft auf ein Comeback. Das könnte das Reformwunder im Land gefährden.
Kyriakos Mitsotakis
Mitsotakis’ konservative Nea Dimokratia (ND) kontrolliert im gegenwärtigen Parlament 157 der 300 Sitze.
Bild: IMAGO/ANE Edition
Athen Premierminister Kyriakos Mitsotakis war beim Neujahrsempfang der griechischen Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou der gefragteste Gesprächspartner. „Wann wird gewählt?“, lautete die am häufigsten gestellte Frage. „Ab April ist alles möglich“, sagte Mitsotakis. Auf ein konkretes Datum will er sich noch nicht festlegen. Aber der 9. April gilt als wahrscheinlicher Wahltermin. Er könnte das Land verändern.
Einer fehlte beim Festempfang im Präsidentenpalast. Oppositionsführer Alexis Tsipras war mit Frau und Kindern ins ferne Brasilien geflogen, um an der Amtseinführung des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva teilzunehmen.
Lula hatte sich in einer Stichwahl knapp gegen Jair Bolsonaro durchgesetzt. Tsipras hofft, dass ihm ein ähnliches Comeback gelingt: Er möchte Mitsotakis, der ihn 2019 als Premierminister ablöste, wieder aus dem Amt vertreiben.
Mitsotakis’ konservative Nea Dimokratia (ND) kontrolliert im gegenwärtigen Parlament 157 der 300 Sitze. In den jüngsten Meinungsumfragen liegt die ND zwar mit rund 35 Prozent Stimmenanteil etwa acht Prozent vor Tsipras’ Bündnis der radikalen Linken (Syriza).
Aber es ist unwahrscheinlich, dass Mitsotakis seine absolute Mehrheit verteidigen kann. Denn gewählt wird nach einem neuen Verhältniswahlrecht. Danach hat auf Basis der aktuellen Umfragen keine der beiden großen Parteien eine Chance, allein die Regierung zu bilden. Hier sieht Tsipras seine Chance: Er könnte versuchen, eine Koalition gegen die ND als stärkste Kraft zu bilden und so Mitsotakis abzulösen.
Erinnerungen an das Jahr 2015 werden wach. Nach dem Syriza-Wahlsieg führten Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis das griechische Bankensystem binnen sechs Monaten an den Rand des Zusammenbruchs. Einer möglichen Rückkehr der Radikal-Linken an die Macht sehen deshalb viele in griechischen Wirtschafts- und Finanzkreisen mit Sorge entgegen.
Alexis Tsipras
Er könnte versuchen, eine Koalition gegen die ND als stärkste Kraft zu bilden und so Mitsotakis abzulösen.
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Viel steht auf dem Spiel. Wirtschaftlich hat Griechenland in den vergangenen vier Jahren eine erstaunliche Wende geschafft. Der britische „The Economist“ gab dem Land jetzt unter 34 bewerteten Staaten das Prädiktat „Top Performer 2022“ vor Spanien, Japan, Frankreich, Italien und Großbritannien.
Obwohl die Energiekrise die Staatsfinanzen im vergangenen Jahr mit fünf Milliarden Euro belastete, fiel das Defizit im Primärhaushalt mit 1,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) niedriger aus als erwartet. Griechenland hat begonnen, seine Schulden vorzeitig zurückzuzahlen.
Die Schuldenquote sank von 206 Prozent des BIP im Jahr 2020 auf 168 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt auf dem niedrigsten Stand seit zwölf Jahren. Die ausländischen Direktinvestitionen erreichten 2022 einen neuen Rekord. Gegen den internationalen Trend hat der Athener Börsenindex 2022 um vier Prozent zugelegt. In diesem Jahr könnte Griechenland wieder in die Liga der kreditwürdigen Schuldner aufsteigen, der es vor der Schuldenkrise angehörte.
Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, bilanziert: „Kaum ein anderer Spitzenpolitiker in Europa kann eine ähnliche wirtschaftliche Erfolgsbilanz vorweisen wie Mitsotakis.“
Seit seinem Amtsantritt habe die Zahl der Beschäftigten in Griechenland um 7,1 Prozent zugenommen. Trotz des pandemiebedingten Einbruchs habe die griechische Wirtschaftsleistung zudem unter Mitsotakis seit Mitte 2019 um 2,9 Prozent zugelegt, während die deutsche Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum nur um 0,7 Prozent gewachsen sei, rechnet Schmieding vor.
Griechenland sei damit in Europa besonders stark gewachsen und gelte heute als attraktiver Investitionsstandort, sagt der Berenberg-Chefvolkswirt. Auch für sein Krisenmanagement während der Pandemie, für seine besonnene Haltung im Konflikt mit der benachbarten Türkei und für seine Energiepolitik bekam Mitsotakis international viel Lob.
Dennoch ist die Bilanz durchwachsen. Seit Monaten ist der Premier mit Abhörvorwürfen konfrontiert. Der griechische Geheimdienst EYP belauschte wohl die Telefone eines prominenten sozialdemokratischen Oppositionspolitikers und eines Investigativ-Journalisten.
Containerhafen von Piräus
Obwohl die Energiekrise die Staatsfinanzen im vergangenen Jahr mit fünf Milliarden Euro belastete, fiel das Defizit im Primärhaushalt mit 1,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) niedriger aus als erwartet.
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Nach Berichten oppositionsnaher Medien wurden mehr als 100 Journalisten und Politiker belauscht, darunter auch Minister, Regierungsabgeordnete und der griechische Generalstabschef. Mitsotakis spricht von „unglaublichen Lügen“. Er will von den angeblichen Abhörpraktiken nichts gewusst haben.
Entschieden wird die Wahl in der politischen Mitte. Und gerade deren Wähler reagieren Umfragen zufolge besonders empfindlich auf die Abhöraffären. Sorgen muss Mitsotakis auch der zu beobachtende wachsende Zulauf rechtsextremer Parteien bereiten.
Verfehlen die Konservativen die absolute Mehrheit, will Mitsotakis so schnell wie möglich Neuwahlen herbeiführen. Für die würde ein anderes Wahlrecht gelten, das die absolute Mehrheit schon mit rund 38 Prozent der Wählerstimmen ermöglicht.
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Aber Tsipras hat einen anderen Plan: Er will als Chef einer Koalition mit mehreren Splitterparteien an die Macht zurückkehren. Mit von der Partie wäre dann wohl der Ex-Finanzminister Varoufakis, der mit einer eigenen Partei zu den Wahlen antritt. Tsipras könnte auch versuchen, die griechischen Kommunisten ins Boot zu holen.
Bei ihnen begann er in den 1990er-Jahren seine politische Karriere. Dass er bei der Wahl seiner politischen Partner keine Hemmungen hat, bewies Tsipras schon 2015: Damals koalierte der Radikal-Linke mit den rechtpopulistischen Unabhängigen Griechen.
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