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01.03.2022

18:55

Die Lage am Abend

Explosionen in Kiew und Charkiw – Russland bombardiert Städte in Ukraine

Die Hafenstadt Mariupol ist weiter heftig umkämpft. Die Vereinten Nationen rechnen mit bis zu vier Millionen Kriegsflüchtlingen.

Russische Streitkräfte beschießen nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums den Fernsehturm von Kiew. Youtube MEDplus via REUTERS

Fernsehturm in Kiew

Russische Streitkräfte beschießen nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums den Fernsehturm von Kiew.

Kiew, Moskau, Düsseldorf Trotz der internationalen Appelle, die Kampfhandlungen zu beenden, hat Russland seine Angriffe auf die Ukraine verschärft. Aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew wurde am Dienstag von der Agentur Unian ein Raketenangriff auf den Fernsehturm gemeldet. Dabei sollen mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen sein.

Im Zentrum der zweitgrößten Stadt Charkiw gab es eine gewaltige Explosion. Auf Kiew bewegte sich ein riesiger Militärkonvoi von etwa 64 Kilometern Länge zu. Russland bereitet zudem dem ukrainischen Militärgeheimdienst zufolge eine Provokation vor, um eine Beteiligung von belarussischen Truppen in die Kämpfe zu rechtfertigen.

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Nahe der Grenze zur Ukraine seien etwa 300 belarussische Panzer zusammengezogen, teilt der Geheimdienst in sozialen Medien mit. Ein Vertreter des Pentagon sagte am Dienstag in Washington jedoch, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass belarussische Truppen in die Ukraine einmarschierten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und UN-Generalsekretär António Guterres forderten den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut auf, den Krieg sofort zu beenden. Die Vereinten Nationen stellen sich auf die Versorgung von bis zu vier Millionen Flüchtlingen ein.

Die militärische Lage in der Ukraine

Die russischen Angriffe konzentrierten sich am Tag sechs des Einmarsches weiter auf die großen Städte, die nach Darstellung des ukrainischen Außenministeriums jetzt mit Raketen beschossen werden.

Das ukrainische Außenministerium veröffentlichte bei Twitter ein Video, das einen Raketeneinschlag direkt auf dem zentralen Freiheitsplatz in Charkiw zeigt. „Russland führt Krieg unter Verletzung des humanitären Völkerrechts“, twitterte das Außenministerium in Kiew. Moskau weist den Vorwurf zurück.

Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte der Agentur Interfax zufolge mit, die Informationsinfrastruktur des ukrainischen Geheimdienstes in Kiew mit gezielt angreifen zu wollen. So sollten „Informationsangriffe“ gegen Russland zerschlagen werden.

Die Bevölkerung, die in der Nähe der genannten Einrichtungen lebe, wurde aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen. Kurz darauf veröffentlichte die Agentur Unian ein Video, das eine dunkle Rauchwolke direkt neben dem Fernsehturm in Kiew zeigt. Bei diesem Angriff sollen nach Angaben des Zivilschutzes mindestens fünf Menschen gestorben sein. Bürgermeister Vitali Klitschko bezeichnete die Lage als „bedrohlich“.

Die ukrainische Regierung beschuldigt Russland, Zivilisten zu töten und zivile Infrastruktur zu zerstören. Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow sagte der Agentur Ukrinform zufolge, das russische Militär sprenge Umspannwerke.

Vormarsch auf Kiew wird fortgesetzt

Dadurch komme es zu Problemen bei der Strom- und Wasserversorgung. Unabhängig überprüfen lassen sich die Informationen über das Kriegsgeschehen nicht. UN-Angaben zufolge wurden bereits mehr als 100 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt.

Stand: 2.3.2022, 9 Uhr

Militärische Lage in der Ukraine

Stand: 2.3.2022, 9 Uhr

Als sicher gilt, dass die russischen Truppen ihren Vormarsch auf Kiew fortsetzen. Satellitenbilder aus der Nacht zum Dienstag zeigten einen gewaltigen Konvoi aus Panzern und anderen Militärfahrzeugen. US-Verteidigungskreisen zufolge will das russische Militär die Hauptstadt trotz des starken ukrainischen Widerstandes einnehmen.

Die Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine ist weiter heftig umkämpft. Die russischen Separatisten kündigten an, für Einwohner zwei „humanitäre Korridore“ einzurichten. Die Menschen könnten die Stadt bis Mittwoch verlassen, sagte der Sprecher der Aufständischen im Gebiet Donezk der Agentur Interfax zufolge.

Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums sind russische Truppen in die Stadt Cherson im Süden des Landes vorgedrungen. Allerdings sei das Gebäude der Stadtverwaltung noch nicht unter Kontrolle der Angreifer, sagte Ministeriumsberater Wadym Denysenko.

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Die Ukraine wiederum bot russischen Soldaten Straffreiheit und Geld an, wenn sie sich ergeben. Geboten werden jedem Soldaten umgerechnet mehr als 40 000 Euro. Finanziert werde die Aktion von der internationalen IT-Industrie. Ob sich ergebende Russen das Geld tatsächlich erhalten, war zunächst nicht zu überprüfen. Ukrainischen Angaben zufolge sollen bisher mindestens 200 russische Soldaten gefangen genommen worden sein.

Politische Verteidigungs- und Angriffslinien

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski verlangte in einem emotionalen Appell an das Europaparlament die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union. „Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben“, sagte Selenski zu Beginn einer Sondersitzung des Parlaments in einer Videobotschaft.

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Das Europäische Parlament stuft Russland wegen der Invasion als „Schurkenstaat“ ein. Dies geht aus einer Entschließung hervor, die das Parlament in einer Dringlichkeitssitzung verabschieden wollte.

Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte dagegen seine Bedingungen für eine Beendigung der „Militär-Operation“. Die Regierung in Kiew müsse die „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk sowie Russlands Souveränität über die Schwarzmeer-Halbinsel Krim anerkennen, teilte der Kreml mit. Zudem müsse die Ukraine entmilitarisiert und in einen neutralen Status überführt werden, hieß es in der Mitteilung.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf der Ukraine eine Bedrohung der internationalen Sicherheit vor. Die Regierung in Kiew wolle eigene Atomwaffen, sagte Lawrow per Video vor der Ständigen Abrüstungskonferenz in Genf. Auf dem ukrainischen Territorium befänden sich noch sowjetische Nukleartechnologie und die Mittel, so bestückte Waffen abzuschießen, sagte Lawrow der englischen UN-Übersetzung zufolge.

Lawrow verlangte, dass US-Atomwaffen vom Gebiet der Nato-Partner abgezogen werden. Er betonte auch: „Wir glauben weiter, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf.“

Von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hatte es in der vergangenen Woche geheißen, sie sehe keinerlei Belege für die Behauptungen über ein mögliches Atomwaffenprogramm in der Ukraine. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schloss eine Beteiligung des Militärbündnisses am Ukraine-Krieg erneut aus.

Zahl der Geflüchteten steigt

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind nach UN-Angaben bereits 677.000 Menschen in Nachbarländer geflüchtet. Rund die Hälfte sei in Polen angekommen, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, in Genf.

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Rund 90.000 seien in Ungarn und Zehntausende in anderen Nachbarländern wie Moldau, Slowakei und Rumänien. Innerhalb von 24 Stunden sei die Gesamtzahl um 150.000 gestiegen.

Auch in Deutschland treffen immer mehr Menschen aus der Ukraine ein. Bis Dienstagmorgen habe die Bundespolizei die Einreise von 3063 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine festgestellt, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Da an den EU-Binnengrenzen keine Grenzkontrollen stattfänden, könne die Zahl der eingereisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich aber bereits wesentlich höher sein.

Die Vereinten Nationen planen für eine mögliche Versorgung von bis zu vier Millionen Flüchtlingen.

Hilfen für die Ukraine

Die USA planen weitere milliardenschwere Hilfen für die Ukraine. Die Regierung von Präsident Joe Biden beantragte beim Kongress ein Paket mit einem Umfang von 6,4 Milliarden Dollar (5,7 Milliarden Euro), das zusätzlich zur jüngsten militärischen Soforthilfe der US-Regierung mit einem Volumen von 350 Millionen Dollar kommen soll.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte in einer Sondersitzung des EU-Parlaments 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe an. Die Summe soll die bereits angekündigten 500 Millionen Euro der Europäischen Union für Waffenlieferungen an die Ukraine ergänzen.

Die australische Regierung will die Ukraine mit militärischer Ausrüstung und humanitärer Hilfe in Höhe von insgesamt 105 Millionen australischer Dollar (68 Millionen Euro) unterstützen.

Der Bundeskanzler bei der Sondersitzung am Sonntag. imago images/photothek

Olaf Scholz

Der Bundeskanzler bei der Sondersitzung am Sonntag.

Der russische Angriff hat nach Einschätzung der US-Regierung zu einem Schulterschluss innerhalb der Nato und anderer westlicher Verbündeter geführt. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, nannte Putin „einen der größten Einiger der Nato in der modernen Geschichte“.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock rief zum internationalen Schulterschluss gegen Putin auf. „Wir wollen, dass so viele Staaten wie möglich Farbe bekennen gegen Putins Krieg“, sagte die Grünen-Politikerin im polnischen Lodz.

Bundeskanzler Scholz hat vor einer dramatischen Zuspitzung der Lage in der Ukraine gewarnt und weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt. „Wir werden den Paketen, die wir bisher beschlossen haben, (...) sicher noch weitere hinzufügen“, sagte er am Dienstag nach einem Treffen mit dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel in Berlin.

Die Sanktionen gegen Russland zeigen nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Christian Lindner Wirkung. imago images/photothek

Christian Lindner

Die Sanktionen gegen Russland zeigen nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Christian Lindner Wirkung.

Die bisherigen Sanktionen wirkten aber bereits. Russland werde in seiner wirtschaftlichen Entwicklung erheblich beeinträchtigt. Man habe die Möglichkeit für eine gemeinsame gute Zukunft. Aber der Westen müsse für das Prinzip einstehen, keine militärischen Überfälle zu akzeptieren. Scholz forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, sofort die Kämpfe einzustellen und die russischen Truppen aus der Ukraine abzuziehen.

Lindner: „Der Rubel ist in freiem Fall“

Der Logistikriese Deutsche Post DHL verschickt bis auf Weiteres keine Express-Sendungen und kein Frachtgut mehr nach Russland und Belarus. Grund sei die Sperrung des Luftraums, sagte ein DHL-Sprecher in Bonn.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres betonte, dass die Krise mit Blick auf die Getreidefelder in dem Land schwerwiegende Auswirkungen auf gefährdete Menschen in der ganzen Welt haben könnte. „Das Welternährungsprogramm kauft mehr als die Hälfte seines Weizens aus der Ukraine. Eine Unterbrechung der Ernte könnte die Preise in die Höhe treiben und den weltweiten Hunger verstärken“, sagte Guterres.

Die Sanktionen gegen Russland zeigen nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Christian Lindner Wirkung. „Wir wollen Russland politisch, finanziell und wirtschaftlich isolieren“, sagte der FDP-Vorsitzende am Dienstag in Berlin nach Beratungen der G7-Finanzminister.

Es gehe um die Maximierung des Schadens für die russische Wirtschaft, für Unterstützer des Präsidenten Wladimir Putin und für die dortigen Kapitalmärkte. Die Einschränkungen der Tätigkeiten der russischen Zentralbank überträfen die Erwartungen. „Der Rubel ist in freiem Fall.“ Die Kriegskasse von Putin sei empfindlich getroffen.

IEA will wegen Ukraine-Krieg Rohölreserven freigeben

Die Internationale Energieagentur (IEA) will mit der Freigabe von Rohölreserven die Folgen des Krieges von Russland gegen die Ukraine an den Märkten abmildern. Insgesamt werden die 31 Mitgliedsländer der Agentur 60 Millionen Barrel Rohöl freigeben, wie es in einer am Dienstag in Paris veröffentlichten Mitteilung heißt. So sollen Angebotsengpässe in Folge des Krieges abgemildert werden. Die Ölpreise hatten zuletzt deutlich zugelegt. Die IEA ist ein Interessenverband der Industriestaaten.

Die Minister der IEA-Mitglieder zeigten sich bei einem außerordentlichen Treffen besorgt über die Auswirkungen der „ungeheuerlichen Aktionen“ Russlands auf die Energiesicherheit. Man unterstütze die Sanktionen der internationale Gemeinschaft gegen Russland.

Die IEA-Mitglieder verfügen den Angaben nach über Notfallreserven in Höhe von 1,5 Milliarden Barrel. Freigegeben werden also nur vier Prozent. Die Ölpreise reagierten zunächst kaum auf die Entscheidung.

Es ist erst das vierte Mal, dass Reserven koordiniert freigegeben werden. Zuletzt erfolgte es im Jahr 1991 - während des Krieges im Irak.

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