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25.05.2021

04:00

Digital Markets Act

Berlin und Brüssel rangeln um Aufsicht über die Digitalriesen

Von: Till Hoppe

PremiumDie Tech-Konzerne gehören an die kurze Leine – darin sind sich EU-Kommission und Bundesregierung einig. Doch es gibt Streit darüber, wer die Regeln durchsetzen soll. Experten warnen vor Chaos.

In der EU herrscht Uneinigkeit über die Regulierung der Konzerne. Reuters

Tech-Unternehmen

In der EU herrscht Uneinigkeit über die Regulierung der Konzerne.

Berlin Es vergeht kaum noch eine Woche, ohne dass irgendwo auf der Welt ein neues Kartellverfahren gegen einen der großen Digitalkonzerne eröffnet würde. Die Wettbewerbshüter haben Google, Amazon, Facebook, Apple (GAFA) und Co. längst ins Visier genommen – ohne die rasante Expansion der Unternehmen bremsen zu können.

Die EU-Kommission hatte daher im Dezember ein neues Regelwerk vorgeschlagen, das den Tech-Konzernen strikte Verhaltensvorgaben auferlegen soll: den Digital Markets Act (DMA). Man werde die Branche künftig ähnlich anpacken wie den Banken- oder Telekomsektor, sagte Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Kartellrecht und Regulierung müssten „Hand in Hand arbeiten“.

Nun aber gibt es nach Handelsblatt-Informationen Streit darüber, wer die neuen Regeln durchsetzen soll, die derzeit in Brüssel beraten werden. Nicht nur zwischen EU-Kommission und Mitgliedstaaten gibt es Meinungsverschiedenheiten, wer die großen Plattformen künftig beaufsichtigen soll. Auch Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden rangeln um Zuständigkeiten.

Die Kommission will selbst entscheiden, welche Unternehmen sie als zu regulierende „Gatekeeper“ einstuft, wann sie Untersuchungen gegen diese einleitet und welche Verhaltensmaßgaben sie den Firmen auferlegt. Dafür will die Brüsseler Behörde 80 Stellen schaffen. Die Behörden in den Mitgliedstaaten sollen lediglich eine beratende Rolle erhalten.

Damit aber sind Deutschland und andere Mitgliedstaaten nicht einverstanden. „Allein wird die Kommission die Regeln nicht wirksam durchsetzen können“, heißt es in Kreisen der Bundesregierung. Nötig sei daher eine enge Kooperation von Kommission und nationalen Aufsichtsbehörden bei der Umsetzung des DMA.

„Durchsetzung der Regeln ist die Achillesferse“

Die entsprechende Forderung will Berlin in einem gemeinsamen Brief mit den Regierungen in Paris und Den Haag in Brüssel hinterlegen. Die Partner hoffen darauf, dass sich noch weitere Mitgliedstaaten der Initiative anschließen. Am Donnerstag diskutieren die zuständigen Minister beim EU-Wettbewerbsrat über den DMA.

Auch Rupprecht Podszun, Professor für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, hält es für „zwingend notwendig“, dass die Kommission die nationalen Behörden mit einbezieht: „Sonst wird die Kommission von der Arbeitslast überwältigt“, warnt er.

Sobald der DMA in Kraft trete, komme eine Welle von Verfahren auf die Kommission zu, so der Experte, „und die großen Plattformen werden sich in jedem einzelnen mit den besten Anwälten verteidigen“. Mit den vorgesehenen 80 Stellen allein lasse sich das nicht bewältigen, argumentiert Podszun. Und warnt: „Die Durchsetzung der Regeln ist die Achillesferse des DMA.“

Vestager und Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatten den Digital Markets Act vorgelegt, um den Wettbewerb auf den digitalen Märkten zu stärken. Nach ihrer Ansicht haben die großen Anbieter von Online-Marktplätzen, Suchdiensten, Anzeigenvermarktung oder sozialen Netzwerken eine derart starke Rolle, dass sie von Konkurrenten kaum noch ernsthaft gefährdet werden können.

Die Gatekeeper-Plattformen sollen deshalb auf eine Reihe von Verhaltensregeln verpflichtet werden – etwa die eigenen Angebote nicht zu bevorzugen. Verstoßen die Konzerne mehrfach dagegen, drohen ihnen Geldbußen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes oder die Abspaltung von Geschäftsteilen. „Wir werden verhindern, dass die Plattformen den neuen Regeln entkommen“, warnte Breton.

Kartellwächter und Regulierer beanspruchen Zuständigkeit

Allerdings ist auch noch nicht geklärt, wer innerhalb der Kommission für die Durchsetzung des DMA zuständig sein wird. Sowohl die Generaldirektion Wettbewerb unter Vestager als auch die Breton unterstehende Generaldirektion Connect hegten Ambitionen, heißt es in Verhandlungskreisen. Denkbar sei auch die Schaffung einer neuen Einheit mit Experten aus unterschiedlichen Abteilungen.

Das Brüsseler Gerangel zwischen Wettbewerbshütern und Regulierern schlägt auch auf die nationale Ebene durch. Das Bundeskartellamt will weiterhin der wichtigste Akteur gegen die großen Tech-Konzerne bleiben. Die Bonner Kartellbehörde hat unter ihrem Präsidenten Andreas Mundt bereits etliche Verfahren gegen Facebook, Amazon und Co. durchgeführt und verweist auf ihre einschlägige Expertise.

Neben Mundt hat aber auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, Ansprüche angemeldet. Die Behörde argumentiert, die Umsetzung des DMA sei im Kern eine Regulierungsaufgabe, und hier habe man Erfahrung etwa bei der Aufsicht über die Telekommunikationsnetze.

Auch in der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Ansichten, welche Seite zum Zuge kommen sollte. Derzeit sieht es so aus, als ob Mundt die Nase vorn hätte: Die Wettbewerbsbehörden auf EU- und auf nationaler Ebene hätten viel Erfahrung mit den Plattformen gesammelt, heißt es in Regierungskreisen. Daher sollten die Generaldirektion Wettbewerb und das Bundeskartellamt bei der Durchsetzung des DMA „eine zentrale Rolle spielen“.

Der Berichterstatter des Europaparlaments, Andreas Schwab, äußert allerdings Bedenken: Die Doppelrolle der Kommission als Reguliererin und Ermittlungsbehörde in Wettbewerbsfragen sei „etwas problematisch“, sagt der CDU-Abgeordnete: „Wir müssen die Gewaltenteilung hier berücksichtigen.“

Fokus auf wenige Digitalriesen

Schwab plädiert überdies dafür, den Kreis der Adressaten des DMA noch stärker einzuschränken: Der Fokus müsse „klar auf den größten Unternehmen der Digitalbranche liegen, weil sie mit ihrer extremen Vormachtstellung die Freiheit des Wettbewerbs faktisch zu sehr einschränken“, sagt er. Deshalb sollten die im Gesetz vorgesehenen Schwellenwerte angehoben werden.

Nach dem Kommissionsvorschlag sollen Unternehmen als Gatekeeper qualifiziert werden, die mindestens 6,5 Milliarden Euro Umsatz in Europa erwirtschaften, eine Marktkapitalisierung von durchschnittlich 65 Milliarden Euro im vergangenen Finanzjahr aufwiesen und mindestens 45 Millionen aktive Nutzer monatlich haben.

Auch die Bundesregierung plädiert dafür, die Vorgaben im Wesentlichen auf die GAFA-Unternehmen zu konzentrieren. Vor allem auf einen Markt beschränkte Unternehmen wie die Buchungsplattformen Booking.com und Airbnb sollten hingegen nicht unter den DMA fallen, heißt es in den Kreisen.

Zudem will die Bundesregierung es der Kommission erleichtern, sogenannte Killerakquisitionen durch die großen Plattformen zu untersagen, bei denen diese aufstrebende Konkurrenten schlucken. „Sie sollte geplante Übernahmen für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären können, wenn eine realistische Aussicht besteht, dass dadurch der Wettbewerb beeinträchtigt wird“, heißt es in den Kreisen.

Der DMA-Entwurf sieht bislang nur vor, dass die großen Plattformen die Kommission über geplante Zukäufe informieren müssen. Berlin will hier nachschärfen: Ziel sei es, die Anforderungen an den Nachweis einer Wettbewerbsbehinderung durch die Fusion zu senken.

Das Europäische Gericht in Luxemburg hatte im vergangenen Jahr recht hohe Anforderungen an die Beweisführung der Wettbewerbshüter formuliert. Wie sehr die vorgeschlagene Neuerung in der Praxis eine Erleichterung bringe, müsse sich aber erst zeigen, sagt Kartellrechtler Podszun.

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