Ex-US-Präsident Obama lobt das neue EU-Gesetz gegen Fake News und Hass im Netz. Europaparlament und Mitgliedstaaten haben die letzten Streitpunkte ausgeräumt.
Soziale Netzwerke
Anstatt weitere Inhalte in sozialen Medien zu verbieten, soll die Funktionsweise der Plattformen durch das EU-Gesetz offengelegt und möglicherweise geändert werden.
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Brüssel Kurz vor Schluss gab es noch Unterstützung aus den USA: Bei einer Rede an der Stanford-Universität lobte der ehemalige US-Präsident Barack Obama am Donnerstag ein neues Gesetz der EU. Der „Digital Services Act“, kurz „DSA“, soll einige bekannte Probleme mit Onlineplattformen lösen. So sollen Nutzer besser vor schädlichen Inhalten und Falschmeldungen geschützt werden.
Während die USA noch darüber nachdenken, wie eine Regulierung ohne staatliche Zensur funktionieren kann, haben die Gesetzgeber der EU in der Nacht zu Samstag final über den Text entscheiden. „Zurzeit arbeitet Europa an einigen der weitreichendsten Gesetzen, um den Missbrauch durch große Technologieunternehmen zu regulieren“, sagte der ehemalige US-Präsident.
Der Ansatz der EU ist tatsächlich neu. Anstatt weitere Inhalte in sozialen Medien zu verbieten, soll die Funktionsweise der Plattformen offengelegt und möglicherweise auch geändert werden: Die Nutzer sollen erfahren, warum sie bestimmte Inhalte angezeigt bekommen.
Sie sollen das Recht haben, diese Personalisierung auszuschalten. Forscher sollen Zugang zu Algorithmen erhalten, um sie besser zu verstehen. Zudem soll die EU bei einem Anfangsverdacht auf schädliche Effekte Zugriff auf diese Algorithmen haben.
Die Grünen-Europaabgeordnete Alexandra Geese sagte: „Wir werden uns mit klaren Regeln gegen das Prinzip Spaltung und das Geschäft mit Krawallnachrichten, gefakten Videos und Hasskommentaren wehren.“ Das Digital-Gesetz solle „das Ende der Algorithmen besiegeln, die angst- und wutgesteuerte Beiträge nach oben spülen“.
Alexandra Geese
„Wir werden uns mit klaren Regeln gegen das Geschäft mit Krawallnachrichten, gefakten Videos und Hasskommentaren wehren“, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Alexandra Geese.
Bild: imago images/Future Image
Der DSA ist damit die europäische Antwort auf das Phänomen, dass sich im Internet Falschmeldungen schneller verbreiten als ihre Richtigstellung und sich der Hass in den Kommentarbereichen aufschaukelt.
Die Plattformen sammeln große Datenmengen über jeden ihrer Nutzer und weisen ihnen Schlagworte zu. Diese Schlagworte bestimmen, welche Inhalte anderer Nutzer ihnen angezeigt werden und welche Werbung ausgespielt wird.
Das kann im Interesse der Nutzer sein, weil sie auf diese Weise verstärkt Inhalte sehen, die sie auch interessieren. Gleichzeitig werden auf diese Weise aber auch mehr emotionalisierende Inhalte angezeigt, die also traurig machen können, wütend oder auch psychische Erkrankungen fördern können.
Bei Instagram sollen beispielsweise junge Frauen wegen zweifelhafter Vorbilder auf der Plattform Essstörungen entwickelt haben. Trotzdem änderte die Firma nichts am Empfehlungsalgorithmus.
Forscher haben beobachtet, dass diese Falschmeldungen oft prominenter angezeigt werden als echte Nachrichten. Das liegt vermutlich daran, dass Fake News mehr Emotionen hervorrufen und darum auch eher zu einer Interaktion des Nutzers führen. Von den so verbreiteten Verschwörungstheorien profitieren zum Beispiel Rechtsextremisten.
Auch die Erstürmung des Kapitols in den USA Anfang 2021 und die Verfolgung der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar werden mit aufgeheizter Stimmung in sozialen Medien in Zusammenhang gebracht. Dass solche Entwicklungen mit dem DSA bekämpft werden sollen, war in der EU unstrittig, seit die Kommission Ende 2020 ihren ersten Entwurf für das Gesetz vorstellte.
Radikale stürmen im Januar 2021 das US-Kapitol
Der DSA soll verhindern, dass sich Falschmeldungen und Hetze im Internet immer schneller verbreiten.
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Der DSA enthält noch weitere Vorschriften, etwa Löschfristen für illegale Inhalte und Vorkehrungen, damit weniger gefälschte Produkte im Netz landen. In Deutschland sind viele solcher Vorschriften allerdings durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) längst in Kraft.
Strittig war zuletzt unter anderem, ob Minderjährigen personalisierte Werbung ausgespielt werden darf. Dies wird nun verboten. Außerdem wurde geklärt, dass die Aufsicht über sehr große Plattformen bei der EU-Kommission liegt und nicht bei den Mitgliedstaaten. Das soll verhindern, dass das Gesetz unterschiedlich scharf ausgelegt wird.
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Der DSA ist das zweite große Digitalgesetz innerhalb weniger Wochen, das die EU beschließt. Ende März hatte sie bereits den Digital Markets Act (DMA) fertiggestellt, der in die Geschäftsmodelle der besonders großen Digitalkonzerne eingreift.
Er soll verhindern, dass Konsumenten und Unternehmen unfair von den marktmächtigen Konzernen behandelt werden. So muss Apple in seinem App Store alternative Bezahlmethoden zulassen und Amazon darf seine eigene Ware nicht gegenüber den Angeboten von kleineren Anbietern bevorzugen.
Die EU setzt mit beiden Gesetzen auf den „Brüssel-Effekt“, hofft also auf Nachahmer in anderen Teilen der Welt. Dann könnten DSA und DMA zur Grundlage von neuen globalen Regeln für das Internet werden.
Darauf setzt nicht nur Barack Obama, sondern auch die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton: „Ich fordere unsere transatlantischen Verbündeten auf, den Digital Services Act über die Ziellinie zu bringen und die globale Demokratie zu stärken, bevor es zu spät ist“, schrieb sie auf Twitter.
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