Der Schanghaier Wirtschaftsexperte Ding ist besorgt über die Auswirkungen der Corona-Krise. Im Interview erklärt er, was die Regierung jetzt tun müsste.
Markt in Wuhan
Besonders die Lokalregierungen in China haben begonnen, kleine Unternehmen zu unterstützen.
Bild: dpa
Peking Eigentlich wollte sich das Handelsblatt mit Ding Yuan in Schanghai treffen, wo er Vizepräsident der China Europe International Business School (Ceibs) ist. Doch Dings Flug wurde wegen des Coronavirus gecancelt. Wie so vieles derzeit in China fand das Gespräch deshalb notgedrungen über Videotelefonie statt.
Herr Ding, in China steht derzeit das Leben in weiten Teilen still. Welchen Effekt hat das auf die chinesische Wirtschaft?
Zuerst wurde die Dienstleistungsbranche von der Krise getroffen. In den zwei Wochen während der Neujahrsferien haben Kinos, Restaurants und Einzelhandel eigentlich ihre Hochsaison. Das gilt nicht nur für China, sondern weltweit, denn die Chinesen reisen und konsumieren dort. Dieser Bereich wurde sehr schnell sehr hart getroffen. Die Produktionsindustrie in China hingegen war darauf vorbereitet, mindestens zwei Wochen zu schließen, weil sie es jedes Jahr während der Neujahrsferien so macht.
Wie sieht es heute aus?
Seit ungefähr dem 5. Februar sehen wir mehr und mehr schlechte Nachrichten für die Lieferkette. Normalerweise wären Lagerbestände und Lieferungen um diese Zeit schon wieder hochgefahren worden. Doch durch die vielen Probleme in China hat sich der Start verschoben. Das führt zu sehr vielen Spannungen in China, aber auch weltweit. In den letzten Jahren sind die Lieferketten immer vernetzter geworden. Gleichzeitig haben alle versucht, ihr Lagerbestände klein zu halten. In normalen Zeiten ist das die beste Strategie. Aber in der extremen Situation, in der wir uns derzeit befinden, verursacht das eine Menge Störungen.
Welche Branchen sind von der Lieferketten-Problematik derzeit besonders betroffen?
Sehr schnell haben wir Auswirkungen auf die Elektroindustrie und die Autoindustrie gesehen. Diese Branchen sind weltweit stark vernetzt. Doch inzwischen hat die Krise auch große Auswirkungen auf Lieferketten, die sich an der inländischen Nachfrage orientieren, wie etwa die Hühnerfleischindustrie. Für mich ist das besorgniserregend. Wenn die Lieferketten betroffen sind, werden wir sehr viel mehr Auswirkungen auf die Realwirtschaft sehen. Die Dienstleistungsindustrie wird sich sehr schnell wieder erholen, aber bei der Produktion wird die Erholung länger dauern.
Wann rechnen Sie mit einer Entspannung der Situation?
Das ist eher eine medizinische Frage. Wir hoffen, dass sich die Situation ab April oder Mai langsam verbessert. Ich denke, dass das eine optimistische Annahme ist, die voraussetzt, dass das Virus abstirbt wie bei anderen Krankheitserregern zuvor und dass die Quarantänemaßnahmen in China wirklich funktionieren. Wenn diese zwei Bedingungen erfüllt sind, werden wir eine langsame Verbesserung ab April und eine normale Situation im Mai sehen. Aber das heißt, dass wir eine Art Sperrperiode für fast zwei Monate sehen werden, was schon jetzt sehr, sehr ernste Folgen hat.
Viele Experten rechnen mit einem massiven Einbruch beim chinesischen Bruttoinlandsprodukt, der auch über das erste Quartal hinaus geht. Wie ist Ihre Einschätzung?
Für mich ist das wirklich Wichtige nicht, auf diese Zahl zu schauen. China hat traditionell eine sehr stark eingreifende Regierung. Wenn die Regierung es wirklich wollen würde, könnte sie das Bruttoinlandsprodukt leicht steigern. Mit einer Liquiditätsflutung, die Li Keqiang (Chinas Premierminister, Anm. der Redaktion) schon mehrfach abgelehnt hat, könnte das Wirtschaftswachstum leicht auf über sechs Prozent angehoben werden. Allerdings ist in der gegenwärtigen Situation das Schwierigste die Balance zu wahren: Zwischen einer Lockerung der Liquidität, um die Unternehmen zu unterstützen, auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Aufbau neuer uneinbringlicher Forderungen für das Bankensystem zu vermeiden.
Sehen Sie die Gefahr einer höheren Arbeitslosigkeit in China in Folge der Krise?
Wenn der Dienstleistungssektor noch härter getroffen wird, dann werden wir mehr sozialen Spannungen und Arbeitslosigkeit sehen. Deshalb hat die Regierung, insbesondere die Lokalregierungen, damit begonnen, kleine Unternehmen zu unterstützen. Seit vergangener Woche gibt es sehr viele kleine Maßnahmen, die diese Unternehmen unterstützen.
Neben einer leichten Lockerung der Geldpolitik hat die Regierung auch Steuererleichterungen und ähnliches erlassen um die Unternehmen zu unterstützen. Sehen Sie, dass diese Maßnahmen funktionieren?
Ich denke, dass das die sinnvollen Maßnahmen sind, die man in solch einer Krise ergreift. In den nächsten Wochen werden wir mehr Differenzierung sehen, was die Quarantänemaßnahmen angeht. Die Provinzen, die nur wenig von der Krankheit betroffen sind, sollten fähig sein, nach und nach die Kontrollen zu lockern, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wir werden in den nächsten ein, zwei Wochen eine graduelle Richtungsänderung sehen: Weg von dem Fokus auf die Verhinderung der Verbreitung des Virus und hin zu einem Fokus auf die Steigerung des Konsums und einer Normalisierung des Arbeitslebens.
Was glauben Sie: Wird sich die Regierung mehr auf monetäre Maßnahmen oder auf fiskalpolitische Maßnahmen konzentrieren?
Aus einem sehr einfachen Grund ist es viel effizienter, fiskalpolitische Maßnahmen einzusetzen als eine geldpolitische Lockerung. Dieser Mechanismus ist immer noch kaputt, oder zumindest ineffizient in China, um Geld in den wichtigsten Teil der Wirtschaft zu bringen. Das liegt an der Struktur und den Anreizen der staatlichen Banken. Das ist ein riesiges Problem, was auch Li Keqiang noch nicht lösen konnte, obwohl er es immer und immer wieder adressiert hat. Also, in diesem Fall ist es wesentlich effizienter, fiskalische Anreize zu setzen, denn die sind stärker mit verschiedenen Steuern verknüpft. Wenn man also daran arbeitet, dann profitieren alle Unternehmen davon, solange sie eine adäquate wirtschaftliche Aktivität haben.
Herr Ding, danke für das Gespräch.
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