Die Unterhändler der USA und des Irans könnten sich schon bald über ein neues Atomabkommen einigen – und an den Energiemärkten endlich für Entspannung sorgen.
Ebrahim Raisi
Der iranische Präsident hat der US-Regierung Zugeständnisse abgerungen.
Bild: AP
Tel Aviv, Zürich Wohl noch nie in den seit 2021 laufenden Verhandlungen schien ein Deal greifbarer: Die USA und der Iran könnten schon bald ein neues Abkommen über das Atomprogramm der Islamischen Republik beschließen. Die Europäische Union, die bei den Verhandlungen in Wien vermittelt, hat kürzlich eine finale Vertragsversion ausgearbeitet. Beide Konfliktparteien signalisierten zuletzt, dass eine Einigung in wenigen Wochen möglich erscheint.
Ein neuer Iran-Deal hätte weitreichende geopolitische und wirtschaftliche Konsequenzen: Ein Ende der US-Sanktionen, die den Iran infolge des gescheiterten Atomdeals seit 2018 lähmen, könnte die Regionalmacht stärken. Für die USA ist das mit Risiken verbunden, machte der Iran zuletzt doch auch als Drohnenlieferant für Russland von sich reden.
Der Ölpreis fiel zuletzt deutlich unter die Marke von 100 Dollar pro Barrel – auch weil Händler ein zusätzliches Ölangebot aus dem Iran einpreisen. Der Iran ist der drittgrößte Ölproduzent der Exportallianz Opec. Die US-Sanktionen verbannen bislang jedoch das iranische Öl weitgehend vom Weltmarkt.
Die USA waren 2017 unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump einseitig aus dem von der Vorgängerregierung ausgehandelten Deal ausgestiegen. Der Vertrag, den neben dem Iran auch die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, darunter Russland und China, sowie die EU und Deutschland unterzeichnet haben, sollte der Urananreicherung des Irans enge Grenzen setzen.
Die Unterzeichnerstaaten wollten so sicherstellen, dass der Iran keine Atomwaffen bauen kann. Der Iran sah sich seinerseits nach dem Ausstieg der USA nicht mehr an das Abkommen gebunden und trieb die Urananreicherung weiter voran.
Inzwischen seien jedoch beide Seiten an einem Kompromiss interessiert, sagt David Menashri, einer der führenden Iran-Experten der Universität Tel Aviv. Dem US-Präsidenten Joe Biden könnte eine Neuauflage des Deals mehr Luft im Kampf gegen hohe Spritpreise verschaffen. Die Iraner erhofften sich wiederum einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Doch Menashri warnt vor zu viel Optimismus: „Täglich machen die Unterhändler einen Schritt vorwärts und dann wieder zwei zurück.“ Auch Helima Croft, Opec-Expertin der Investmentbank RBC Capital Markets, mahnt zur Vorsicht: Der oberste Führer des Irans, Ali Chamenei, bleibe „ein Skeptiker gegenüber dem Abkommen und ist der letzte Entscheider“. Zudem hatte der Iran bereits in der Vergangenheit – entgegen seinen Zusagen – die Nuklearaktivitäten ausgebaut.
Iranische Zentrifugen zur Urananreicherung
Einer Atom-Deal mit dem Iran dürfte für Entlastung an den Energiemärkten sorgen.
Bild: via REUTERS
Laut bisher vorliegenden Informationen verbietet der Deal dem Iran, Uran mit einer Reinheit von 60 Prozent herzustellen. Stattdessen soll die maximale Reinheit auf 20 Prozent begrenzt werden. Für die Herstellung von Atomwaffen wäre eine Anreicherung auf 90 Prozent nötig.
Teheran verlangt im Gegenzug eine verbindliche Zusage der USA, dass das Abkommen nicht kündbar ist. Damit will das Regime in Teheran verhindern, dass sich eine künftige US-Regierung erneut einseitig vom Abkommen zurückziehen könnte. Jeder künftige Präsident wäre also verpflichtet, sich an die Vereinbarungen zu halten. Dieser Forderung könne Biden nicht zustimmen, sagt ein amerikanischer Diplomat.
Weitere Treffen, um die verbliebene Kluft zwischen den USA und Iran zu überbrücken, stünden derzeit nicht zur Diskussion, zitiert die Zeitung „Al Monitor“ eine EU-Quelle: „Es wird keine neue Verhandlungsrunde geben.“ Beim nächsten Treffen der Chefdiplomaten der vermittelnden Staaten in Wien werde das Abkommen verabschiedet – falls es zustande kommt.
Wirtschaftlich steht sowohl für die Energiemärkte als auch für Iran viel auf dem Spiel. Opec-Expertin Croft von RBC Capital Markets schätzt, dass in relativ kurzer Zeit ein bis zwei Millionen Barrel Rohöl pro Tag zusätzlich auf den Markt kommen könnten. Das entspricht ein bis zwei Prozent der weltweiten Ölnachfrage. Voraussetzung sei, dass der Iran die Verstöße gegen das ursprünglich 2015 geschlossene Abkommen rückgängig macht und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) überprüft, ob der Iran seine Verpflichtungen erfüllt hat.
Zudem müsste das Land seine hochangereicherten Uran-Bestände entsorgen und die Arbeit an alternativen Wegen zur Plutoniumproduktion einstellen. „Wir gehen davon aus, dass es mehrere Monate dauern wird, bis alle wichtigen Energiesanktionen aufgehoben sind“, sagt Croft.
Finanzanalyst Maciej Wojtal von Amtelon Capital, der sich auf die iranische Wirtschaft spezialisiert hat, erwartet im Fall eines Deals einen Investitionsboom im Iran. Einheimische Unternehmen würden die Vorteile einer leichter zugänglichen Finanzierung nutzen, dazu kämen ausländische Direkt- und Portfolioinvestitionen. Deutlich höhere Öleinnahmen würden das Haushaltsdefizit beseitigen und die Leistungsbilanz des Landes verbessern, was wiederum die Währung stabilisieren würde.
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Sollte das Atomabkommen nicht zustande kommen, so Wojtal, drohten dem Iran eine Wirtschaftskrise. Die iranische Währung dürfte abstürzen, was die Inflation in die Höhe triebe. Langfristig führte das Fehlen der erforderlichen Investitionen in die Gas-, Öl- und Strominfrastruktur zu Energieengpässen und zu einer Rezession führen. „Das Land würde wahrscheinlich auch mit sozialen Unruhen konfrontiert werden, da die schwache Währung und die hohe Inflation die Realeinkommen der Haushalte beeinträchtigen“, warnt Wojtal.
Auch wenn derzeit unsicher ist, ob ein Abkommen unterschrieben wird: Beamte in Teheran lobten bereits das Verhandlungsgeschick der Iraner. So hätten sie den USA eine Reihe von Zugeständnissen abgerungen und zugestimmt, dass die vom Iran entwickelten modernen Zentrifugen entgegen der ursprünglichen Vereinbarung nicht zerstört, sondern unter Aufsicht der IAEO gelagert werden. Das würde es dem Iran ermöglichen, die Anreicherung in großem Umfang wieder aufzunehmen, sollte das Abkommen später scheitern.
In Washington werden dagegen die Erfolge der US-Unterhändler gepriesen. Die Annäherung sei vor allem durch Konzessionen Teherans möglich geworden. So verzichte der Iran darauf, dass die iranischen Revolutionsgarden von der Liste ausländischer Terrororganisationen gestrichen werden. Politisch ist Deutungshoheit wichtig – für den Ölmarkt zählen jedoch nur Ergebnisse.
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