Deutschland soll EU-Ländern finanzielle Anreize für Gaslieferungen geben, rät der Beirat des Wirtschaftsministeriums – denn die Bundesrepublik wird zum Preistreiber. Auch ein neuer EU-Fonds ist im Gespräch.
Robert Habeck
Die Berater des Wirtschaftsminister fordern mehr Anreize für andere EU-Länder, um Deutschland im Krisenfall zu helfen.
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Berlin, Brüssel Robert Habeck beschwört Einigkeit. „Europa lässt sich nicht spalten“, sagte der Bundeswirtschaftsminister diese Woche beim EU-Energieministertreffen. Doch trotz aller Solidaritätsbekundungen ist klar: Die Gefahr, dass Deutschland in einer Gaskrise allein dasteht, ist real.
„Wir haben zu Beginn der Coronapandemie gesehen, wie schnell es zu Alleingängen in einer Krise kommen kann“, sagt Klaus Schmidt, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium. „Das hat die Krise erheblich verschlimmert, was wir keinesfalls wieder zulassen dürfen.“
Experten sind sich einig: Wenn ein großer Teil der innereuropäischen Gasflüsse versiegt, wären Rationierungen insbesondere in Deutschland wohl nicht mehr abzuwenden. In einem Brief an Habeck warnen die 38 Ökonominnen und Ökonomen des Beirats vor reinen Solidaritätsbekundungen. Deutschland müsse vielmehr für den Rest Europas klare Anreize schaffen, um im Krisenfall tatsächlich Unterstützung zu erhalten.
„Wenn die europäische Kooperation hier funktionieren soll, wird Deutschland auf die anderen europäischen Staaten zugehen und Kompensationszahlungen anbieten müssen“, heißt es in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. Deutschland könnte also andere EU-Staaten bezahlen, um diese davon zu überzeugen, ihr Gas nicht nur bei sich zu behalten.
Vizekanzler Habeck arbeitet seit Wochen mit Hochdruck daran, die europäische Zusammenarbeit für den Fall eines Gasmangels zu sichern. Solidaritätsvereinbarungen mit mehreren Nachbarstaaten sind auf dem Weg. Flüssiggas aus alternativen Herkunftsländern soll über die Niederlande und Frankreich geliefert werden. Den leergelaufenen Speicher im österreichischen Haidach, mit dem vor allem Bayern versorgt werden soll, füllt Berlin jetzt gemeinsam mit Wien.
Trotzdem warnt der Beirat davor, dass das bei einer Zuspitzung der Lage alles nicht viel wert sein könnte. Denn Deutschland hat ein originäres Problem: Die zwar gesunkene, aber vergleichsweise immer noch hohe Abhängigkeit von russischem Gas macht die Bundesrepublik zum Preistreiber. Die ausfallenden Lieferungen aus Russland sorgen vor allem deshalb für höhere Preise, weil deutsche Verbraucher so sehr darauf angewiesen sind. Und Deutschland braucht umso mehr teureres Flüssiggas als Ersatz.
Es sind damit vielfach deutsche Auslöser, die Folgen in Form der hohen Marktpreise spürt aber die ganze EU. Und so bestehe die Gefahr, schreibt der Beirat, dass andere Länder die Lieferungen nach Deutschland unterbinden. Einzelne Länder könnten sich abschotten und den Gaspreis bei sich einfach deckeln. Das würde ihnen durch die Abkopplung leichter fallen, weil sie nicht mehr vom Preistreiber Deutschland beeinflusst würden. Schmidt nennt dieses Szenario „das größte Risiko für eine Gaskrise“, welches unbedingt vermieden werden müsse.
Deshalb müsse die Regierung „jetzt vorbereiten“, heißt es in dem Brief. Um einen Gas-Soli praktisch umzusetzen, schlägt Schmidt mehr Zusammenarbeit beim Einkauf vor: „Es wäre gut, wenn die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränität bei der Gasbeschaffung und -verteilung an Brüssel abgeben.“ Im Zuge dessen könnte auch ein Mechanismus für die Ausgleichsgelder installiert werden.
Noch befindet sich die Diskussion über einen Gas-Soli in einem frühen Stadium. Aus Regierungskreisen hieß es am Mittwoch, das sei in Berlin noch kein Thema. In Brüssel allerdings stieß der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis diese Woche eine ähnlich gelagerte Kompensationsdebatte an.
In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug er einen EU-Mechanismus vor, der Unternehmen für die Senkung ihres Gas- und Stromverbrauchs kompensieren soll. Idealerweise solle dieser aus nationalen und europäischen Mitteln finanziert werden.
Der am Dienstag beschlossene EU-Gasnotfallplan reicht aus griechischer Sicht nicht aus. Dieser sieht vor, dass alle Länder ihren Gasverbrauch bis Ende März freiwillig um 15 Prozent senken. Im Notfall soll die EU-Kommission verpflichtende Sparziele vorschlagen.
Mitsotakis schreibt, finanzielle Anreize seien besser geeignet als die Aussicht auf drohende Lieferausfälle, um die Industrie zum Sparen zu bewegen. Konkret schlägt Athen Auktionen auf nationaler Ebene vor, bei denen große Energieverbraucher anbieten, gegen eine Entschädigung eine bestimmte Gas- oder Strommenge einzusparen. Die EU-Kommission soll dann die besten Angebote auswählen. Da die Nachfragereduktion eine dämpfende Wirkung auf die Gaspreise habe, finanziere sich die Idee von selbst, wirbt Mitsotakis.
Der griechische Energieminister Kostas Skrekas trug den Vorschlag am Dienstag auch auf der Sondersitzung der 27 Energieminister in Brüssel vor. Laut griechischen Angaben signalisierten mehrere Staaten Unterstützung – darunter die großen Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.
Beobachter erwarten, dass das Thema nach der Sommerpause weiter nach oben auf der Tagesordnung drängen wird. „Wir brauchen einen europäischen Kompensationsmechanismus“, sagt der Ökonom Simone Tagliapietra vom Institut Bruegel in Brüssel. Nur so könne die EU sicherstellen, dass im Fall eines russischen Lieferstopps das verfügbare Gas innerhalb Europas so verteilt werde, dass in keinem Land eine akute Versorgungskrise entstehe.
Krise in Europa
In Griechenland sind laufen neue Pipelinebauerarbeiten für die Gasversorgung.
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Spanien etwa könne sein günstiges Pipelinegas aus Algerien an Italien abtreten, was ebenfalls durch eine Pipeline mit Algerien verbunden ist, erklärt Tagliapietra. Von dort könne das Gas nach Österreich und Deutschland weitergeleitet werden, wo der Bedarf am größten sei. Spanien könne seinen Eigenbedarf dann leicht mit Flüssiggas (LNG) decken, weil es viele Terminals habe. Da LNG jedoch teurer sei als Pipelinegas, müsse Spanien für den Preisunterschied entschädigt werden.
Nach dem gleichen Prinzip könnten die Anwohner von Europas größtem Gasfeld im niederländischen Groningen entschädigt werden, wenn Den Haag die Produktion wieder hochfahren würde. Das Gasfeld soll eigentlich zum Jahresende stillgelegt werden, weil es zu viele Erdbeben auslöst. Es gebe kein nationales Interesse, die Produktion wieder hochzufahren, aber sehr wohl ein europäisches, sagt Tagliapietra.
Das Gasfeld produzierte einst 50 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, aktuell sind es weniger als fünf Milliarden. Wenn man die Produktion auf 25 Milliarden Kubikmeter erhöhe, wäre dies ein großer Beitrag gegen eine Gasknappheit in Deutschland, sagt Tagliapietra. „Wir können nicht erwarten, dass Länder ihre Gasproduktion erhöhen oder Gas nach Mitteleuropa umleiten, wenn sie selbst nicht von einem möglichen russischen Lieferstopp bedroht sind.“ Deshalb brauche es einen finanziellen Anreiz, um dieses Verhalten sicherzustellen.
Er plädiert dafür, einen EU-Fonds in zweistelliger Milliardenhöhe einzurichten, der von der Kommission verwaltet wird. Für die Finanzierung gebe es drei Optionen: Die Mittel könnten aus dem EU-Haushalt, aus nationalen Haushalten oder aber aus gemeinsamer Schuldenaufnahme kommen. „Es ist eine reale Gefahr, dass Länder in einer Krise ihr Gas nicht teilen“, sagt der Experte. „Wir brauchen eine Versicherung.“
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