PremiumAuf die neue Gas-Umlage müssen die Bürger auch noch Steuern zahlen. Doch es gibt alternative Mittel zur Entlastung: Ampelpolitiker machen bereits Vorschläge.
Christian Lindner
Der Bundesfinanzminister erhält keine Ausnahme aus Brüssel.
Bild: IMAGO/photothek
Brüssel, Berlin Die EU-Kommission wird den Plänen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) wohl eine Abfuhr erteilen. Lindner will auf die neue Gasumlage keine Mehrwertsteuer erheben. Das untersagt aber eine EU-Richtlinie.
Ein Sprecher der Kommission sagte am Dienstag, man sei sich der Schwierigkeiten in den Mitgliedstaaten zwar bewusst und teile den Wunsch der Bundesregierung, dass die Gasumlage keine unbeabsichtigten Folgen haben solle. Die Richtlinie sehe aber keine Möglichkeit vor, die Abgabe von der Mehrwertsteuerpflicht auszunehmen.
Nach jetzigem Stand würde auf die Gasumlage Mehrwertsteuer von 19 Prozent fällig. Das würde bedeuten, dass eine typische Familie mit 18.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch an Gas nicht nur 435 Euro Umlage zahlen muss, sondern zusätzlich rund 83 Euro Mehrwertsteuer. Ein Single käme etwa auf 23 Euro Mehrwertsteuer pro Jahr.
Allerdings gibt es Alternativen. Man sei nun in engem Kontakt mit der deutschen Bundesregierung, um Maßnahmen zu finden, „die den gleichen Effekt auf die Endverbraucher haben“, sagte der Kommissionssprecher.
Auch das Bundesfinanzministerium erklärte auf Handelsblatt-Anfrage: „Der Staat soll durch die Umsatzsteuer auf die Gasumlage keine Mehreinnahmen erzielen.“ Dabei seien verschiedene Möglichkeiten denkbar, die europarechtlich geprüft werden müssten.
Und Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch kündigte an: „Es ist das Interesse sowohl der gesamten Bundesregierung als auch der Kommission, dass Menschen nicht unbeabsichtigt höher als unbedingt nötig belastet werden.“
Von den Ampel-Koalitionären kommen bereits konkrete Vorschläge:
1. Mehrwertsteuer auf Umlage absenken anstatt streichen: Die besagte EU-Richtlinie verbietet zwar eine kurzfristige Befreiung von der Mehrwertsteuer. Sie sieht stets einen Mindestsatz von fünf Prozent vor. Die Senkung auf diesen Satz ist aber durchaus möglich. Dafür braucht es nicht einmal die Zustimmung aus Brüssel.
„Das Mindestmaß von fünf Prozent sollte genutzt werden“, sagte Dieter Janecek, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen. Dem pflichtet auch SPD-Wirtschaftspolitiker Falko Mohrs bei. „Jetzt muss die Steuer zumindest auf fünf Prozent runter“, sagte er. „Wir müssen alles tun, um die Umlage möglichst gering zu halten.“
2. Mehrwertsteuer auf Gas generell senken: In der Ampel gibt es allerdings Stimmen, die das nicht für ausreichend halten. „Es geht um Entlastungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Alle Instrumente, die dazu beitragen können, gehören auf den Tisch“, sagte Hannes Walter (SPD), Vize-Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. Er hält auch eine Senkung der Mehrwertsteuer insgesamt für denkbar. Vor allem für Gas, aber auch für Strom.
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Unterstützung für ein solches Vorgehen kommt aus der Opposition. Unionsfraktionsvize Jens Spahn fordert, eine solche Mehrwertsteuer-Absenkung zeitnah umzusetzen. „Diese Entlastung ist für kleine und mittlere Einkommen dringend nötig“, so Spahn.
Es dürfte jedoch schwierig werden, dafür eine Mehrheit in der Ampel zu finden. Allgemeine Steuersenkungen für Energie fordert die Union schon seit Monaten. Gerade die Grünen halten das aber für ein falsches Signal. „Eine allgemeine Mehrwertsteuersenkung auf Gas ist kostspielig und nicht zielgenau“, kritisiert Janecek.
3. Energiesteuer auf Gas senken: Eine andere Stellschraube wäre die Energiesteuer. Die Mehrwertsteuer würde nur rund 0,45 Cent pro Kilowattstunde Gas ausmachen, erklärt der Steuerrechtsexperte Joachim Englisch von der Universität Münster. Wenn der Bundestag Gas zum Heizen zeitweise von der Energiesteuer befreien würde, sei die Einsparung mit 0,55 Cent pro Kilowattstunde noch höher. „In der EU-Richtlinie zur Energiesteuer sind solche Ausnahmen explizit vorgesehen“, sagt Englisch.
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Es gibt bereits eine Blaupause für eine solche Maßnahme: den Tankrabatt. Seit Juni, befristet für drei Monate, hat die Bundesregierung die Energiesteuer auf Benzin und Diesel gesenkt. Die Erfahrungen aus dem Tankrabatt führt SPD-Politiker Mohrs allerdings als Grund an, nicht noch einmal so vorzugehen. Er fürchtet, dass die Steuersenkung nicht an die Bürger weitergegeben werden könnte: „Da kommen nur die gleichen Ärgernisse wie beim Tankrabatt.“
Für die Bundesregierung wäre der Weg über die Energiesteuerbefreiung zudem teurer. Denn diese kommt ganz dem Bund zugute, während die Mehrwertsteuer zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird.
Für die Bundesregierung ist die Nachricht aus Brüssel ein klarer Rückschlag. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Steuerbefreiung der Gasumlage noch am Dienstagvormittag als „extrem wichtig“ bezeichnet.
Zuvor hatte sich Lindner in einem Brief an EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni gewendet und zwei Vorschläge gemacht: Erstens wollte er die Mehrwertsteuerrichtlinie ändern lassen, um die Ausnahme möglich zu machen. Das hätte aber ein Gesetzgebungsverfahren notwendig gemacht und damit viel Zeit in Anspruch genommen. Und offiziell vorgeschlagen werden müsste die Änderung von der EU-Kommission, die dazu allerdings wenig Motivation zeigt. Die Richtlinie sei gerade erst geändert worden, sagte der Sprecher.
Alternativ wollte Lindner eine Ausnahme von der besagten Richtlinie beantragen. Diese sieht Ausnahmen allerdings nur vor, „um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern“. Die Bundesregierung begründet ihre Anfrage aber mit der Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die hohen Energiepreise.
„Es gibt keine Möglichkeit, diese Art von Abgabe auszunehmen“, sagte der Kommissionssprecher. „Auch bei großzügiger Auslegung lässt sich mit diesem Artikel keine Ausnahme begründen“, bestätigt auch Steuerrechtler Englisch von der Universität Münster. „Rechtlich betrachtet geht da gar nichts“, fasst er Lindners Pläne zusammen.
Andere Länder haben weniger Skrupel, gegen die EU-Regeln zu verstoßen. So wird in Tschechien seit 1. Januar 2022 keine Mehrwertsteuer auf Gas und Strom mehr erhoben, obwohl das klar europarechtswidrig ist. Tschechien lässt es einfach auf ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission ankommen.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand, dass die zusätzliche Belastung für eine typische Familie durch die Mehrwertsteuer bei 93 Euro liegen würde. Tatsächlich sind es 83 Euro. Wir haben die Zahl im Text korrigiert.
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