Frankreich will Gaslieferungen für Deutschland an seinen Flüssiggas-Terminals annehmen. Doch das Leitungsnetz zwischen beiden Ländern ist noch nicht für den Transport ausgelegt.
Flüssiggas-Terminal bei Saint-Nazaire
Frankreich hat sich bereit erklärt, Flüssiggas nach Deutschland zu transportieren - sobald die Pipelines entsprechend umgerüstet sind.
Bild: Reuters
Paris Frankreich bietet Deutschland Unterstützung bei der Erdgasversorgung an. Wie das Handelsblatt aus französischen Regierungskreisen erfuhr, werden in Paris derzeit mehrere Optionen geprüft, um die Folgen der reduzierten Lieferungen aus Russland über die Pipeline Nord Stream 1 abzumildern. Denkbar sei, dass Frankreich seine Terminals für Lieferungen von Flüssiggas (LNG) an die Bundesrepublik zur Verfügung stellt.
„Wir wollen unseren europäischen Partnern helfen und sind zu Gaslieferungen an Deutschland bereit, wenn es eine Bitte um Solidarität gibt“, heißt es im Energieministerium in Paris. Man spreche mit der Bundesregierung „über die Möglichkeit, in den kommenden Wochen eine Vereinbarung zu schließen“.
Den drohenden Gasmangel in Deutschland wird das Hilfsangebot aus dem Nachbarland nicht voll ausgleichen können. Dafür sind die möglichen Liefermengen zu gering, und es gibt technische Hürden.
Außerdem macht sich Frankreich mit Blick auf den nächsten Winter selbst Sorgen über die Sicherheit der eigenen Energieversorgung.
Das Land ist aber weniger abhängig von russischem Gas und hat die Speicher bereits gut gefüllt. Aus Daten der Interessenvereinigung Gas Infrastructure Europe (GIE) geht hervor, dass der Füllstand in Frankreich gut 75 Prozent beträgt, in Deutschland dagegen erst 66 Prozent.
Bisher hat Deutschland kein eigenes LNG-Terminal, während die Franzosen bereits über vier dieser Anlagen verfügen. Ein fünftes, schwimmendes Terminal für den Import von Flüssiggas soll im Hafen von Le Havre entstehen. Über diese Infrastruktur, so der Vorschlag aus Paris, könnte die Bundesrepublik ihre Gasnot vorübergehend etwas lindern.
„Frankreich war für Deutschland bislang eher auf der Transitebene relevant“, sagt Niko Bosnjak von Open Grid Europe, einem der führenden europäischen Ferngasnetzbetreiber. Ein Teil der Lieferungen über Nord Stream 1 und andere Leitungen aus Russland strömte durch deutsche Pipelines bis nach Frankreich.
Die Hauptroute verläuft über den Grenzpunkt Obergailbach-Medelsheim im Saarland. Eine zweite, nachrangige Strecke führt über Wallbach an der Grenze zur Schweiz: Auf diesem Weg fließt Gas in erster Linie Richtung Süden nach Italien, es gibt dort aber auch eine Abzweigung nach Frankreich.
Russisches Gas kommt beim westlichen Nachbarn wegen der gedrosselten Lieferungen praktisch nicht mehr an. Das Angebot der Franzosen, Flüssiggas von ihren LNG-Terminals nach Deutschland zu transportieren, würde den Gasfluss umkehren. „Die Station in Obergailbach-Medelsheim ist technisch in beide Richtungen nutzbar, theoretisch ließe sich das machen“, sagt Bosnjak.
Doch es gibt ein Problem: In Frankreich wird das Gas auf der Fernleitungsebene odoriert, das heißt dem Gas werden Geruchsstoffe zugesetzt, damit der Verbraucher riechen kann, wenn es ein Leck gibt. In Deutschland passiert diese Sicherheitsmaßnahme dezentral im Verteilnetz.
Odoriertes Gas ist in Deutschland für die Fernleitungen nicht zugelassen. „Die Odorierung in Frankreich führt dazu, dass im Erdgas etwas mehr Schwefel enthalten ist, was zu einer schnelleren Abnutzung des Netzes und bei großen Verbrauchern führen kann“, erklärt Bosnjak.
Auch Andreas Schröder vom Marktforschungsunternehmen ICIS sagt: „Derzeit kann Frankreich keine Gasmengen direkt nach Deutschland exportieren.“ Allenfalls kleinere Gasmengen könnten vom LNG-Terminal im nordfranzösischen Dunkerque über Belgien nach Deutschland gelangen.
Eine ebenfalls begrenzte Lieferung wäre über den Umweg der Schweiz möglich. An der Grenze der dortigen Pipeline zu Baden-Württemberg steht seit vergangenem Jahr eine De-Odorierungs-Anlage, die das Gas für das deutsche Fernleitungsnetz aufbereiten kann.
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Die französische Regierung ist sich der Einschränkungen bewusst. „Es gibt die Frage der Vereinbarkeit unserer Standards“, heißt es im Energieministerium. Dort macht man zugleich deutlich: „Wir sind bereit, odoriertes Gas nach Deutschland zu exportieren.“ Der einfachste Weg wäre, mit einer Ausnahmeregelung die Lieferungen aus Frankreich im deutschen Netz zuzulassen.
Bosnjak von Open Grid Europe sieht kein grundsätzliches Hindernis dafür: „Wenn die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, könnte man im Ernstfall odoriertes Gas aus Frankreich übernehmen, es würde keine unmittelbaren Auswirkungen haben“, sagt er. „Möglicherweise könnten aber einige Jahre später schneller Verschleißerscheinungen auftreten.“
Der Prozess der De-Odorierung sei „kein Hexenwerk, technisch zwar komplex, für uns aber machbar“, sagt Bosnjak. „Das Problem sind die Mengen. Nötig wären große Anlagen, die aber erst geplant, genehmigt und gebaut werden müssten.“ Der Bau einer De-Odorierungs-Station an der Grenze zum Saarland, so die Schätzung im Energieministerium in Paris, würde mindestens 18 Monate dauern.
Frankreich verfolgt das Ziel, das Gasnetz in Europa nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an die neue geopolitische Realität anzupassen. „Das ganze europäische Netz ist darauf ausgerichtet, russisches Gas bis in die Bretagne fließen zu lassen“, sagt ein Vertreter des Energieministeriums in Paris. Die Leitungen seien von Ost nach West ausgerichtet, die Kapazitäten von West nach Ost dagegen viel begrenzter. „Wir müssen die Stromrichtung des Gases in Europa umkehren.“
Dem Ausbau der Station Obergailbach-Medelsheim kommt bei den französischen Plänen eine entscheidende Bedeutung zu. Paris verfolgt dabei auch wirtschaftliche Interessen und hofft, sich als Drehscheibe für die Gasströme zu positionieren. „Priorität hat in Europa der Ausbau der dekarbonisierten Energien“, heißt es in Regierungskreisen in Paris. Doch die EU-Staaten würden noch einige Zeit auf fossile Energien angewiesen sein. „In den kommenden Monaten und Jahren kann Frankreich mit seinen LNG-Terminals eine Schlüsselrolle dabei spielen, Europa mit Flüssiggas zu versorgen.“
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