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02.09.2022

22:17

Energiekrise

Gazprom findet angeblich Ölleck – und stoppt Gaslieferungen über Nord Stream 1

Von: Mathias Brüggmann, Thomas Sigmund

Auch nach den Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 wird kein Gas nach Europa fließen. Siemens Energy widerspricht: Das Leck sei kein Grund für eine Einstellung des Betriebs. 

Der Gashahn bliebt vorerst zu. dpa

Lieferungen aus Russland

Der Gashahn bliebt vorerst zu.

Moskau Durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 wird von diesem Samstag an anders als angekündigt weiter kein Gas fließen. Das teilte der Staatskonzern Gazprom am Freitagabend beim Nachrichtendienst Telegram mit.

Grund sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja. Bis zur Beseitigung bleibe der Gasdurchfluss gestoppt. Es war damit gerechnet worden, dass nach Abschluss der angekündigten dreitägigen Wartungsarbeiten ab Samstagmorgen wieder Gas durch die Leitung fließt.

Gazprom zufolge ist das Leck bei den gemeinsam mit Experten von Siemens Energy erledigten Wartungsarbeiten an der Station festgestellt worden. Das ausgetretene Öl sei an mehreren Stellen gefunden worden. Es sei nicht möglich, den sicheren Betrieb der letzten dort noch verbliebenen Gasturbine zu garantieren. Schon in der Vergangenheit sei es zu solchen Ölaustritten gekommen, hieß es.

Die Vorwürfe, die Gazprom gegen Siemens Energy erhebt, wiegen schwer: Die Pipeline müsse abgeschaltet werden „bis alle Ausrüstungsfehler behoben sind“. Ein Brief über die festgestellten Fehler an der Turbine des Typs Trent 60 mit der Nummer 24 und die Notwendigkeit, diese zu beheben, sei an den Vorstandsvorsitzenden der Siemens Energy AG, Christian Bruch, gesandt worden, so Gazprom.
Siemens Energy reagierte am späten Freitag Abend mit Unverständnis: „Als Hersteller der Turbinen können wir lediglich feststellen, dass ein derartiger Befund keinen technischen Grund für eine Einstellung des Betriebs darstellt“, teilte das Unternehmen mit. „Leckagen beeinträchtigten im Normalfall den Betrieb einer Turbine nicht“. Siemens Energy sei aktuell nicht mit Wartungsarbeiten beauftragt. 

Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, glaubt nicht an das vermeintliche Ölleck. „Das ist ein vorgeschobenes Argument, wie wir es in den letzten Wochen oft gehört haben. Ich glaube weder an den Osterhasen noch daran“, sagte sie am Freitagabend.

Gazproms Behauptungen sind indes mindestens fragwürdig. Denn für die beiden Stränge der Nord Stream 1 Pipeline werden jeweils vier Turbinen eingesetzt. Es sind also nach Ansicht von Energieexperten genug Turbinenkapazitäten zur Strom- und Druckgewinnung vorhanden.

Ähnliche Öllecks seien angeblich auch an drei anderen Turbinen-Verdichterstationen festgestellt worden. Diese seien zwar repariert worden, aber nicht in Betrieb. Warum nicht, gab Gazprom nicht bekannt.

Der Moskauer Gaskonzern konnte auch nicht erklären, warum eine von Siemens Energy in Kanada überholte Turbine von Nord Stream 1 noch immer in Mülheim an der Ruhr steht. Bundeskanzler Olaf Scholz war Anfang August in jenem Siemens Energy Werk und gab in Richtung Russland bekannt: Die Turbine könne jederzeit geliefert werden.

Gazprom hat diese Turbine jedoch bis heute nicht angefordert. Mit deren Ausfall war zuletzt die Reduzierung der Gasliefermenge durch Nord Stream 1 auf 20 Prozent begründet worden.

Nord Stream 1 besteht aus zwei Strängen – selbst wenn eine Turbine ausfallen würde, könnte die andere Leitung weiter genutzt werden. Gazprom könnte zudem jederzeit die volle Menge durch die Ukraine liefern. Dort stehen Transitleitungen in vollem Umfang zur Verfügung.

Grafik

Stattdessen fackelt Gazprom seit Wochen große Mengen Erdgas ab, deren Durchleitung durch die Ostseepipeline geplant waren. Das hatte die norwegische Energieconsultingfirma Rystad Energy anhand von Satellitenbildern festgestellt.

Wirtschaftsministerium: Versorgung ist sicher

Nach der Ankündigung von Gazprom zum verlängerten Lieferstopp hat die Bundesnetzagentur die Bedeutung der deutschen Vorsorgemaßnahmen betont. „Angesichts der russischen Entscheidung, vorerst kein Gas über Nord Stream 1 fließen zu lassen, gewinnen die LNG Terminals, die relevanten Speicherstände und signifikante Einsparnotwendigkeiten an Bedeutung“, twitterte Behördenpräsident Klaus Müller am Freitag. „Gut, dass Deutschland inzwischen besser vorbereitet ist, jetzt kommt es aber auf jede/n an“, so Müller weiter.

Das weitaus meiste Erdgas erhält Deutschland inzwischen aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. So flossen am Donnerstag nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 2900 Gigawattstunden Erdgas aus diesen Ländern nach Deutschland.

Zum Vergleich: Am Montag, dem letzten Tag vor der angekündigten Lieferreduktion, transportierte Nord Stream 1 rund 348 Gigawattstunden russisches Erdgas. Die eingespeicherte Menge betrug zuletzt immer ein Mehrfaches dieser Liefermenge aus Russland. So wurden etwa am Dienstag 965 Gigawattstunden Erdgas in Deutschland eingespeichert.

Die Europäische Kommission warf dem russischen Staatskonzern Gazprom vor, den Gasfluss wegen falscher Vorwände aufzuhalten. „Die Ankündigung von Gazprom von heute Nachmittag, Nord Stream 1 erneut unter falschen Vorwänden stillzulegen, ist ein weiterer Beleg seiner Unzuverlässigkeit als Lieferant“, schrieb ein Sprecher der EU-Kommission am Freitagabend auf Twitter. Es sei auch ein Beweis für den Zynismus Russlands, da es vorziehe, Gas zu verbrennen statt Verträge zu erfüllen.

Das Bundeswirtschaftsministerium betonte am Freitagabend die Sicherheit der Gasversorgung für Deutschland. „Die Lage auf dem Gasmarkt ist angespannt, aber die Versorgungssicherheit ist gewährleistet“, erklärte eine Sprecherin am Freitagabend.

Die jüngsten Meldungen von Gazprom habe man zur Kenntnis genommen, so die Sprecherin. „Wir kommentieren diese in der Sache nicht, aber die Unzuverlässigkeit Russlands haben wir in den vergangenen Wochen bereits gesehen und entsprechend haben wir unsere Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten unbeirrt und konsequent fortgesetzt. Dadurch sind wir jetzt wesentlich besser gerüstet als noch vor einigen Monaten.“

Eigentlich sollten ab Samstag täglich wieder 33 Millionen Kubikmeter Erdgas geliefert werden. dpa

Nord Stream 1

Eigentlich sollten ab Samstag täglich wieder 33 Millionen Kubikmeter Erdgas geliefert werden.

Die Gasspeicher seien zu 84,3 Prozent gefüllt, führte die Sprecherin aus. „Das Oktober-Speicherziel von 85 Prozent dürfte daher schon in den ersten Septembertagen erreicht sein.“ Auch bei der Versorgung über andere Lieferwege als russische Pipelines und neue Anlandekapazitäten für Flüssiggas komme man gut voran.

Mit Agenturmaterial

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