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20.03.2023

16:21

Erderwärmung

Bericht des Weltklimarats: Bis 2040 könnte das 1,5-Grad-Ziel überschritten werden

Von: Silke Kersting

PremiumDas Gremium warnt: Es gibt Fortschritte beim Klimaschutz, aber sie sind bei Weitem nicht ausreichend. Die Risiken nehmen zu, ihre Bewältigung wird immer komplexer. 

Die Treibhausgasemissionen weltweit steigen, unter anderem durch den Einsatz von Kohle zur Energieerzeugung. dpa

Braunkohlekraftwerk

Die Treibhausgasemissionen weltweit steigen, unter anderem durch den Einsatz von Kohle zur Energieerzeugung.

Berlin Nicht mutig genug, nicht schnell genug, nicht tiefgreifend genug: Auf diese Formel lässt sich das globale Engagement gegen den Klimaschutz bringen. „Leider haben wir die vergangenen Jahre verpennt“, sagt Matthias Garschagen, Klimaforscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Die Risiken, die mit den Klimaveränderungen einhergingen, seien größer geworden als noch vor einigen Jahren gedacht, sagte der Wissenschaftler, der zum Kernautorenteam des am Montag vorgestellten Berichts des Weltklimarats (IPCC) gehört. Das habe damit zu tun, dass heute besser bekannt sei, „wie sensibel die Systeme reagieren und sich verschiedene Risiken hochschaukeln“, sagte er weiter. „Das Fenster, das Schlimmste abzuwenden, schließt sich rapide.“

Der sogenannte Synthesebericht des sechsten Sachstandsberichts des IPCC fasst den Stand der Wissenschaft der vergangenen Jahre zusammen. Der letzte Synthesebericht war 2018 erschienen. Schon damals wies das Gremium auf die große Herausforderung hin, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen.

Auf diesen Wert hat sich die internationale Staatengemeinschaft geeinigt. Er gilt als Grenze dafür, die Auswirkungen des Klimawandels auf ein gerade noch erträgliches Ausmaß einzudämmen. Die bisherige Erderwärmung beziffern die Wissenschaftler mit 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schon das habe zu häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen geführt, heißt es.

Fünf Jahre später ist die Herausforderung, die Erderwärmung abzubremsen, noch größer geworden. Die Treibhausgasemissionen weltweit steigen. Tempo und Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die aktuellen Pläne der Regierungen seien unzureichend, um den Klimawandel zu bekämpfen, so die aktuelle Bilanz des Gremiums.

Entscheidendes Jahrzehnt hat begonnen

Der Bericht nennt drei wesentliche Punkte:

Erstens: Das entscheidende Jahrzehnt hat begonnen, um den menschgemachten Klimawandel aufzuhalten. Die Entscheidungen in den nächsten Jahren spielten eine ausschlaggebende Rolle für unsere Zukunft und die der kommenden Generationen, mahnen die Wissenschaftler.

Die Planung und Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen sei in allen Sektoren und Regionen vorangeschritten. Regelwerke und Gesetze zur Minderung der Erderwärmung seien seit dem letzten Synthesebericht beständig ausgeweitet worden. Aber die Anstrengungen reichten nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen.

Der Vorsitzende des Weltklimarats, Hoesung Lee, sagte: „Dieser Synthesebericht unterstreicht die Dringlichkeit ehrgeizigerer Maßnahmen.“ Erforderlich sei eine „sofortige Verringerung der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren in diesem Jahrzehnt“.

Grafik

Zweitens: Nach derzeitiger Einschätzung der Wissenschaftler ist es wahrscheinlich, dass die 1,5-Grad-Grenze bereits vor 2040 überschritten wird. Schon allein die prognostizierten CO2-Emissionen aus der bestehenden Infrastruktur für fossile Brennstoffe seien höher, als es eine Erderwärmung von 1,5 Grad erlauben würde.

Das hat Folgen: Nach Ansicht der Forscher wird es immer komplexer, die Risiken durch die zunehmende Erderwärmung zu bewältigen. „Klimatische und nicht klimatische Risiken werden sich zunehmend gegenseitig beeinflussen und zu sich gegenseitig verstärkenden und kaskadenartigen Risiken führen, die komplexer und schwieriger zu beherrschen sind“, heißt es warnend.

Die Grünen nutzen die Gelegenheit, sich für mehr Klimaschutz unter anderem im Gebäudesektor starkzumachen. Die geplanten schärferen Vorgaben für den Einbau neuer Heizungen ab 2024 sorgen weiter für Kritik, vor allem gegenüber der Ökopartei.

„Beim Ersatz fossiler Heizungen und bei gesetzlichen Vorgaben zur Energieeffizienz trennt sich die Spreu vom Weizen“, sagte Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wer hier auf der Bremse steht, hat die Dimension des Problems wohl nicht verstanden.“ Es sei jetzt Zeit, „Klimaschutz-Farbe“ zu bekennen, so Verlinden.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte: Der Bericht mache „mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen“. 1,5 Grad seien „die Schmerzgrenze des Planeten“.

Der Bericht gebe aber auch Hoffnung, so Baerbock. Es sei weiterhin möglich, die 1,5 Grad in Reichweite zu halten, „wenn wir in den nächsten sieben Jahren die globalen Emissionen halbieren“.

Drittens: Bei einer Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze müssen die Staaten später nicht nur eine ausgeglichene Treibhausgasbilanz vorlegen, sondern die Anstrengungen erhöhen, klimaschädliche CO2-Emissionen aus der Atmosphäre zu holen.

Zudem birgt eine Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze Risiken. So heißt es in dem Bericht, dass selbst eine zeitweilige Überschreitung „nachteilige, zum Teil unumkehrbare Auswirkungen und zusätzliche Risiken“ für die Gesellschaft bringe. Er hoffe, „dass der Bericht dazu beiträgt, dass wir mutiger, schneller und tiefgreifender vorankommen“, so Klimaforscher Garschagen.

Jedes Zehntelgrad ist wichtig

Oliver Geden, ebenfalls Mitglied des Kernautorenteams des Berichts, sagte: „Wir müssen anfangen, uns ernsthaft mit einer Welt jenseits von 1,5 Grad Temperaturanstieg zu beschäftigen.“ Er warnte davor, sich davon „paralysieren zu lassen“. Selbst wenn es nicht mehr auf 1,5 Grad herunterginge: „Jedes Zehntelgrad wird wichtig sein, auf welchem Niveau auch immer.“

Die Wissenschaftler kritisieren zudem die zur Verfügung stehenden Finanzmittel. Beschleunigte Klimaschutzmaßnahmen würden nur bei einer „vielfachen Erhöhung der Finanzmittel“ möglich sein, heißt es.

Die Regierungen seien „der Schlüssel“ für sinkende Emissionen. Sie könnten „klare Signale“ an Investoren senden. Aber auch Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden könnten ihren Teil zur notwendigen Transformation der Wirtschaft beitragen.

„Die Investitionslücke ist immens, globale Finanzmittel sind aber ausreichend vorhanden“, sagte Dennis Tänzler, Klimaexperte bei der Berliner Denkfabrik Adelphi. „Diese Blockade muss gelöst werden.“

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