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10.05.2022

07:58

Erweiterungspolitik

Serbien: Was tun mit einem Beitrittskandidaten, der die EU ablehnt?

Von: Eva Fischer

Eigentlich sollte Serbien in wenigen Jahren EU-Mitglied werden. Doch die Außenpolitik des Landes wird für Brüssel zunehmend zu einem Sicherheitsproblem.

Sowohl innen- als auch außenpolitisch entfernt sich Beitrittskandidat Serbien immer weiter von der EU. Bloomberg

Aleksandar Vucic im serbischen Präsidentenpalast

Sowohl innen- als auch außenpolitisch entfernt sich Beitrittskandidat Serbien immer weiter von der EU.

Brüssel Es sind Bilder, die dafür gesorgt haben dürften, dass in Brüssel wieder viele Politiker die Hände vor das Gesicht geschlagen haben: Anfang Mai präsentierte Serbien stolz seine neueste Militär-Shoppingausbeute. Ausgerechnet ein Luftabwehrsystem aus China, das auf russischer Technik basiert.

Serbien, das die Verteidigungsallianz Nato ablehnt, aber von sechs Mitgliedstaaten und einem potenziellen zukünftigen Nato-Land umgeben ist, rüstet kräftig auf.

Außerdem versucht es, sich bei seinen internationalen Beziehungen nicht auf einen festen Partner festzulegen. So setzt Belgrad einerseits auf Loyalität zu Russland, denn die Serben bezeichnen die Russen als ihr orthodoxes Brudervolk. Das Land betont außerdem seine „eiserne“ Freundschaft mit China, das ihm ökonomisch kräftig unter die Arme greift und in der Coronakrise öffentlichkeitswirksam medizinische Güter schickte. Andererseits betont der serbische Präsident Aleksandar Vucic in Gesprächen mit westlichen Politikern und Medien immer wieder, Mitglied der Europäischen Union sein zu wollen, obwohl das seine Politik nicht widerspiegelt und er immer wieder gegen Brüssel schimpft.

2009 stellte Belgrad den Antrag auf EU-Beitritt, seit 2014 wird verhandelt. Eigentlich sollte Serbien in wenigen Jahren in den Kreis der Mitgliedstaaten aufgenommen werden, doch sowohl innen- als auch außenpolitisch entfernt sich Serbien immer weiter von der EU. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren zunehmend EU-skeptisch geworden: Nur 21 Prozent der Serben haben eine positive Meinung von dem Staatenverbund, wie eine im März durchgeführte Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos ergab. Ein neuer Tiefstand.

Serbische Außenpolitik steht nicht im Einklang mit jener der EU

Innenpolitisch hapert es an der Rechtsstaatlichkeit, dafür nötige Reformen verabschiedet die Regierung nicht. Korruption ist ein Problem, außerdem mangelnde Pressefreiheit und die Unterdrückung von Minderheiten. Kritiker sagen Vucic autokratische Tendenzen nach, es gibt Vorwürfe der Wahlmanipulation.

Außenpolitisch orientiert sich das Leben in Richtung Osten. Vucic zögerte tagelang, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine klar zu verurteilen. Den westlichen Sanktionen gegen Russland hat sich Serbien trotz Druck aus Brüssel und Washington nicht angeschlossen.

Das HQ-22 wird in China entwickelt. AP

Das HQ-22-Raketenabwehrsystem bei einer Truppenübung in Serbien

Das HQ-22 wird in China entwickelt.

Schon Ende vergangenen Jahres bemängelte der Fortschrittsbericht der EU-Kommission, dass die serbische Außenpolitik nicht im Einklang mit jener der EU stehe – für Brüssel ein geostrategisches und sicherheitspolitisches Problem, das nach der russischen Invasion noch größer geworden ist. Man erwarte, dass sich Serbien als Beitrittskandidat den EU-Positionen gegenüber Russland anpasse, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission dem Handelsblatt.

Die serbische Nähe zu Russland ist nicht uneigennützig. Zusammen mit China blockiert Russland im Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovos in die Vereinten Nationen. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovos nicht an und beansprucht ihn für sich. Um EU-Mitglied zu werden, müsste Serbien den Kosovo aber aufgeben – wozu Belgrad nicht bereit ist.

Zudem hängt Serbien zu 90 Prozent vom russischen Gas ab und erhält es von Russland zum Freundschaftspreis: In Rechnung gestellt bekommt es nicht einmal ein Fünftel des Weltmarktpreises. Ein Gasembargo würde den serbischen Wohlstand in Gefahr bringen, zudem läuft der derzeitige Gasvertrag am 31. Mai 2022 aus, und Vucic will weiterhin gute Konditionen haben.

„Ich bin mir der Schwierigkeiten bewusst, die sich angesichts der fast völligen Abhängigkeit Serbiens vom russischen Gas ergeben, aber die EU ist bereit einzugreifen und zu unterstützen“, sagte die Grünen-Außenpolitikerin Viola von Cramon, die der Serbien-Delegation des Europaparlaments angehört. Sie stellte allerdings klar: „Wir müssen uns sicher sein, wer unsere Partner sind und auf wen wir uns in solchen Situationen verlassen können.“ Die Zeit des Gleichgewichts zwischen Moskau und dem Westen sei vorbei, so die EU-Abgeordnete.

Sollte Serbien von seinem prorussischen Kurs nicht abweichen, droht es in puncto EU-Erweiterungspolitik zu einer zweiten Türkei zu werden. Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara werden nicht mehr weitergeführt.

Aus diplomatischen und geostrategischen Gründen will man sie aber offiziell nicht abbrechen. Auch Heranführungshilfen werden weiterhin nach Ankara überwiesen, jedoch rügte der Europäische Rechnungshof diesbezüglich bereits vor einigen Jahren, dass EU-Gelder nicht wirksam eingesetzt würden.

Vucic ist verärgert über Putins Erklärung zur Kosovofrage

„Es ist an der Zeit, dass Serbien uns signalisiert, wo es steht“, fordert die Europaabgeordnete von Cramon. „Wenn diese Antwort bekannt ist, können wir prüfen, ob wir die Heranführungsmittel und andere bilaterale Unterstützung beibehalten können oder ob die EU diese Unterstützung einstellen sollte.“

Die europäischen Gelder sind für Vucic immens wichtig: Vier Milliarden Euro Entwicklungshilfe sind aus Brüssel bereits geflossen, die EU ist damit der wichtigste Geldgeber. Der wichtigste Handelspartner ist sie ohnehin: Nahezu eine Million der sieben Millionen Serben leben vom Geschäft mit der EU. Dementsprechend kann sich Serbien eine Abkehr von der EU nicht leisten, was in Brüssel die Hoffnung nährt, dass sich das Land doch der EU-Außenpolitik anschließt.

Zumal Belgrad derzeit verärgert ist über den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der hatte die Krim mit dem Kosovo verglichen, allerdings mit einer Logik, die nicht mit dem serbischen Anspruch auf das Kosovo zusammenpasst. „Unsere Position hat sich nach der Erklärung Putins zur Kosovofrage zum Schlechteren gewendet“, sagte Vucic diesbezüglich. Derzeit halten rund zwei Drittel der Serben Russland für den wichtigsten Verbündeten.

Beide Präsidenten stehen sich nahe, kürzlich sorgte ein Vergleich Putins der Krim mit dem Kosovo aber für Ärger in Serbien. dpa

Vucic besucht Wladimir Putin

Beide Präsidenten stehen sich nahe, kürzlich sorgte ein Vergleich Putins der Krim mit dem Kosovo aber für Ärger in Serbien.

US-Politiker sprachen bereits nach einem Besuch in Serbien Ende April davon, dass Belgrad in den nächsten zwei Monaten doch noch einen Schwenk in seiner Außenpolitik hinlegen würde.

Tatsächlich hatte Vucic am vergangenen Freitag in einer mehr als anderthalbstündigen Grundsatzrede an das serbische Volk angekündigt, er wolle politisch das tun, was im Interesse des Staates liege. „Serbien wird auf dem europäischen Weg stärker sein“, sagte der serbische Präsident, deswegen werde er „für einen Platz in der europäischen Familie kämpfen“.

Sein Innenminister Aleksandar Vulin betonte am gleichen Tag in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Euractiv allerdings erneut, dass Serbien keine Sanktionen gegen Russland verhängen werde. „Die Länder, die uns bombardiert haben, haben nicht das moralische Recht, uns aufzufordern, sich ihrer Politik anzuschließen“, sagte er. Und weiter: „Wenn die EU-Mitgliedschaft etwas mit dem Motto zu tun hat, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist, dann will Serbien dieses Spiel wirklich nicht spielen.“

Stattdessen geht wohl das serbische Spiel des Sich-nicht-festlegen-Wollens in eine weitere Runde.

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