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24.05.2023

10:37

Euro-7-Norm

Strengere EU-Abgasregeln drohen zu scheitern

Von: Lazar Backovic, Daniel Delhaes, Moritz Koch

Mehrere EU-Staaten wollen verhindern, dass die Grenzwerte für Autoabgase weiter gesenkt werden. Sie fürchten Wettbewerbsnachteile für die Industrie.

Acht EU-Länder stellen sich gegen neue Abgasvorgaben. Imago

Autoverkehr in Dortmund

Acht EU-Länder stellen sich gegen neue Abgasvorgaben.

Düsseldorf, Berlin, Brüssel Die Bestrebung der EU-Kommission, die Abgasnormen für Autos zu verschärfen, droht am Widerstand der Mitgliedstaaten zu scheitern. Im Europäischen Rat, der die Interessen der nationalen Regierungen vertritt, hat sich eine Sperrminorität gegen die sogenannte Euro-7-Norm formiert. In einem gemeinsamen Positionspapier stellen Italien, Frankreich und sechs weitere EU-Länder klar, dass sie „jedwede neue Abgasvorgaben (inklusive neuer Testverfahren oder Grenzwerte) für Autos und Kleinlaster“ ablehnen. 

Die Länder verfügen über genug Stimmen im Rat, um die Annahme des Gesetzes zu verhindern. Damit wird die Neuregelung in ihrer jetzigen Form aller Voraussicht nach nicht in Kraft treten – selbst wenn sich im EU-Parlament, das ebenfalls noch zustimmen muss, eine Mehrheit finden sollte. 

Die deutsche Autoindustrie zeigte sich erleichtert, hatte sie das Vorhaben doch politisch bekämpft. „Wichtig sind jetzt entsprechende Nachbesserungen der Vorschläge, um zeitnah eine vernünftige Lösung zu finden“, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, dem Handelsblatt.

„Die deutsche Autoindustrie setzt sich in diesem Kontext für eine wirksame und umsetzbare Gesetzgebung ein, die den Unternehmen zugleich die notwendige Planungssicherheit gibt.“ Der aktuelle Entwurf sei „in Teilen realitätsfremd“. Es müsse das Ziel sein, „eine substantielle Verbesserung der Luftqualität mit Machbarkeit, Augenmaß und einem ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnis zu verbinden“.

Erst am Dienstag hatte der Verband der europäischen Automobilhersteller Acea eine Studie veröffentlicht, wonach die Kosten für die Hersteller durch Euro 7 um das Vier- bis Zehnfache höher liegen als von der EU-Kommission angesetzt.

Euro-7-Norm: Preisaufschläge für Kunden deutlich höher

Konkret könnten Autos und Transporter mit Verbrennungsmotor demnach für Hersteller rund 2000 Euro pro Fahrzeug teurer werden. Bei Diesel-Lkw und Bussen wären es gut 12.000 Euro. Die Schätzungen spiegeln reine Produktionskosten wider, die Preisaufschläge für die Kunden wären dem Industrieverband zufolge deutlich höher. Zum Vergleich: Die EU-Kommission geht in ihrer Folgenabschätzung von Mehrkosten in Höhe von wenigen Hundert Euro für Pkw und Vans aus, bei Lkw und Bussen sind es etwa 2800 Euro mehr.

Europas Automobilindustrie sei bestrebt, die Emissionen „zum Wohle des Klimas, der Umwelt und der Gesundheit weiter zu reduzieren“, sagte Acea-Generaldirektorin Sigrid de Vries. „Allerdings ist der Euro-7-Vorschlag einfach nicht der richtige Weg, dies zu erreichen, da er extrem geringe Auswirkungen auf die Umwelt und extrem hohe Kosten hätte.“

Bereits im Februar hatte Renault-Chef Luca de Meo vor heftigen Folgen durch Euro 7 gewarnt. Allein bei Renault würde der Vorschlag der EU-Kommission wohl zur „Schließung von mindestens vier Werken innerhalb eines kurzen Zeitraums führen“, polterte de Meo in einem offenen Brief. Vor allem die harten Testbedingungen sind der Autoindustrie ein Dorn im Auge.

Man könne keine Gesellschaft akzeptieren, in der die Belastung durch Luftverschmutzung jährlich für mehr als 300.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich ist, so Vestager. Reuters

Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager

Man könne keine Gesellschaft akzeptieren, in der die Belastung durch Luftverschmutzung jährlich für mehr als 300.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich ist, so Vestager.

Große Autokonzerne wie Volkswagen oder Stellantis kritisieren zudem das Timing des Kommissionsvorschlags. Nach dem Willen Brüssels soll die Abgasnorm bereits im Sommer 2025 in Kraft treten. Bei einem Start von Euro 7 zu diesem Zeitpunkt „droht ein Produktionsstopp für viele Modelle von vielen Monaten“, heißt es in einem Positionspapier von VW. „Marken, Werke und Arbeitnehmer in ganz Europa wären betroffen.“

Der Wolfsburger Autobauer ist deshalb dagegen, die Norm vor Herbst 2027 für alle Fahrzeugtypen einzuführen. Bei neuen Fahrzeugtypen wäre eine Einführung frühestens nach Herbst 2026 realistisch, heißt es.

Euro-7-Norm: Ampelkoalition nicht einig

In Berlin ist die Bundesregierung in der Euro-7-Frage gespalten: Während die Grünen die Verschärfung der Abgasnormen unterstützten, gab sich die FDP skeptisch. Die EU-Kommission hatte ihren Vorschlag im vergangenen Herbst präsentiert. Erklärtes Ziel war es, die Luftqualität in Europas Städten zu verbessern. „Wir können keine Gesellschaft akzeptieren, in der die Belastung durch Luftverschmutzung allein in den 27 EU-Staaten jährlich für mehr als 300.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich ist“, sagte Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager damals. 

Inzwischen aber wächst auch die Kritik im Europäischen Parlament. So sagte der zuständige Berichterstatter der EVP, Jens Gieseke, in der Debatte würden die Positionen immer weiter auseinanderdriften. „Auf der einen Seite die Gruppe von acht Staaten um Frankreich und Italien, die wesentliche Teile des Kommissionsvorschlags für strengere Abgasnormen ablehnt, auf der anderen Seite die Grünen und Sozialdemokraten im Parlament, die eine Verschärfung fordern.“

Dies erschwere Verhandlungen. „Statt eines politischen sehe ich hier eher die Gefahr eines faktischen Moratoriums. Klar ist: Der aktuelle Vorschlag ist in seiner jetzigen Form nicht umsetzbar.“

Die Euro-7-Norm sollte nicht nur die Grenzwerte für den erlaubten Ausstoß von schädlichen Gasen wie Stickstoffoxiden senken. Auch der Abrieb von Bremsen und Reifen, der größten Emissionsquelle bei Elektroautos, sollte reguliert werden.

Frankreich, Italien und die anderen EU-Staaten führen in ihrem Positionspapier an, dass die Erfüllung der Abgasauflagen Investitionen binden würde, die für den klimaneutralen Umbau des Verkehrssektors nötig seien. Um die Auflagen zu erfüllen, wären die Autohersteller gezwungen, in Geld in eine Verbrenner-Technologie zu lenken, obwohl diese in Europa kaum noch eine Zukunft hat. 

Zustimmungsfähig sind aus Sicht der Reformgegner allein die Vorschriften für Bremsen und Reifen. Denn diese bleiben auch nach 2035 relevant, wenn in der EU fast nur noch Elektroautos zugelassen werden sollen.

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