Der neue Ton aus Washington euphorisiert die Europäer. Doch die Konflikte bleiben – was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?
Containerverladung
Experten erwarten kurzfristig kein transatlantisches Handelsabkommen.
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Vier Jahre Donald Trump – das waren vier Jahre außenpolitischer Ausnahmezustand. Aggressive Konfrontation, ständige Alleingänge, willkürliche Entscheidungen waren die Kennzeichen der Politik Trumps. Mit Joe Biden kehren jetzt die Berechenbarkeit und der Wille zur Kooperation zurück ins Weiße Haus – und damit die Hoffnung auf eine transatlantische Annäherung. Doch in vielen Politikbereichen liegen die Positionen zwischen Europäern und Amerikanern weit auseinander.
Allein die Tatsache, dass die ständige Bedrohung durch Strafzölle mit dem Regierungswechsel in Washington entfällt, ist eine Entlastung für Europa. Kaum war Trump im Januar 2017 ins Weiße Haus eingezogen, verhängte er Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte – auch gegen Europa. Dann presste er seinen Nachbarländern Kanada und Mexiko Handelszugeständnisse ab. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit drohte der Präsident mit Zöllen — bis zuletzt standen Strafzölle in Höhe von 25 Prozent auf europäische Autoimporte im Raum, was insbesondere für Deutschland eine ökonomische Bedrohung dargestellt hätte.
Das ist jetzt Geschichte. Doch wird es ein Zurück in die handelspolitische Zeit vor Trump geben? Wird Biden den multilateralen Ansatz verfolgen? Und wird es womöglich einen neuen Ansatz für ein transatlantisches Freihandelsabkommen geben?
Experten sind skeptisch: „Es wird sehr lange Zeit dauern, bis wir wieder über ein transatlantisches Abkommen sprechen“, sagt die frühere EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Biden-Regierung habe deutlich gemacht, dass das nicht ihre Priorität sei. Allenfalls könnten beide Seiten versuchen, über eine eng begrenzte Vereinbarung Vertrauen aufzubauen.
Biden, so wendet Ifo-Chef Clemens Fuest ein, sei „nicht mit einer Freihandelsagenda angetreten“. Im Gegenteil, so Fuest, unterstütze Biden den „Buy American Act“, der US-Firmen bei Staatsaufträgen bevorteilt. „Gerade Deutschland hätte eigentlich hohes Interesse an einer Liberalisierung des Handels mit den USA, aber die Hindernisse sind groß.“
Tatsächlich geht es auch Biden darum, die heimischen Arbeitsplätze zu schützen – und das trotz der aggressiven Zollpolitik Trumps immer noch riesige US-Handelsbilanzdefizit abzubauen. Im Jahr 2020 lag es bei 672 Milliarden Dollar.
Das ist nicht unbedingt eine Lage, in der ein amerikanischer Präsident sich für den Freihandel starkmacht – erst recht nicht einer der Demokratischen Partei, die ohnehin eine eher protektionistische Tradition pflegt.
Deshalb glaubt auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, nicht an eine neue Chance für TTIP. Hinzu kämen verhandlungstaktische Hindernisse, die „auch gegen ein reines Industrieabkommen sprechen, wie es Juncker und Trump eigentlich 2018 im Rosengarten des Weißen Hauses verabredet hatten“, so Hüther.
Der US-Senat, der von ländlich geprägten Staaten dominiert wird, beharrt darauf, den Agrarhandel einzubeziehen. Das wiederum weckt vor allem in Frankreich, aber auch in Irland und Polen Widerstände. Um diese Widerstände überwinden zu können, müssten die USA als Gegenleistung ihren Markt für öffentliche Beschaffungen weiter öffnen. Doch dem stehen die „Buy American“-Regeln entgegen.
„Damit erscheint weder ein Industrieabkommen wirklich realistisch und noch viel weniger eine Neuauflage von TTIP, weil dieser Deal – Agrar gegen öffentlich Beschaffung – auch ein Kernelement von TTIP war“, erläutert Hüther. Auch Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft, ist skeptisch: „Weder in den USA noch in der EU gibt es viel Appetit, dort weiterzumachen, wo TTIP gescheitert ist. Beim Datenschutz oder bei Lebensmittelstandards liegen die Positionen einfach zu weit auseinander.“
Daniel Andrich, Vorsitzender der American Chamber of Germany, schätzt die Lage etwas optimistischer ein: Einige „Quick Wins“, also schnelle Fortschritte, seien möglich, die man vor einem größeren Abkommen erzielen könnte. „Dazu gehört, die Strafzölle auf Stahl und Aluminium sowie die EU-Vergeltungszölle zu streichen.“ Alle seien sich einig, dass sie „nicht sonderlich hilfreich waren“. Der Streit um Airbus und Boeing vor der Welthandelsorganisation WTO sei da schon schwieriger zu lösen, meint Andrich.
Chinas Präsident Xi Jinping
Europas Abhängigkeiten von China sind Washington nicht geheuer.
Bild: imago images/Xinhua
Zum vielleicht größten Streitthema zwischen Europa und der neuen ‧US-Regierung dürfte das Verhältnis zu China werden. Die USA sollten eine „aggressive Haltung“ gegenüber der Bedrohung durch China einnehmen, sagte Bidens gerade vom Senat bestätigte Geheimdienstdirektorin Avril Haines.
Während der neue US-Präsident also die harte Linie seines Vorgängers gegen Peking in der Sache fortsetzen will, möchte man sich in Brüssel und Berlin nicht in einen neuen kalten Technologiekrieg zwischen den beiden Supermächten hineinziehen lassen.
„Ich halte es nicht für eine gute Idee, die transatlantische Zusammenarbeit vor allem als Koalition gegen China zu verstehen“, warnte Ökonom Felbermayr.
Die globalen Probleme ließen sich nicht ohne China lösen. Und ein rein defensives Bündnis würde vor allem in Europa auf Widerstand stoßen, wo die großen Vorteile der tiefen Integration mit China auf dem Spiel stünden. „Es braucht eine zukunftsorientierte Agenda, die stärker an breit wahrgenommene globale Herausforderungen andockt“, forderte er.
Auch Malmström rät zu einem gemeinsamen Vorgehen: Wenn die USA, Europa und andere Länder dieselben Forderungen an China stellen, dann können wir uns durchsetzen“, sagt die Schwedin, die für die Spitze der Industrieländerorganisation OECD kandidiert.
Die EU fährt deshalb seit einiger Zeit eine zweigleisige China-Politik. Einerseits möchte sie mit den USA eine transatlantische Strategie gegen den „systemischen Rivalen“ des Westens schmieden. Andererseits hat sie sich, auch auf Druck deutscher Wirtschaftsinteressen, noch kurz vor dem Jahreswechsel auf ein Investitionsabkommen mit Peking verständigt, obwohl Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan für Absprachen geworben hatte.
Huawei-Logo
Kanzlerin Angela Merkel hält nichts davon, den chinesischen Tech-Konzern vom deutschen 5G-Netz auszuschließen - doch die USA werden darauf beharren.
Bild: Reuters
Europas Abhängigkeiten von China sind Washington nicht geheuer, gerade im Bereich der Technologie. Die Bundesregierung steht damit auch in der Huawei-Frage unter Druck. Kanzlerin Angela Merkel hält nichts davon, den Techkonzern vom deutschen 5G-Netz auszuschließen – doch die USA werden weiter darauf beharren. Denkbar ist, dass die Kanzlerin einlenkt, zumal es auch in ihrer eigenen Partei und beim Koalitionspartner SPD Widerstand gegen Huawei gibt.
Heikel wird das Thema Menschenrechte, das US-Außenminister Antony Blinken forcieren will. Das dürfte auch für deutsche Unternehmen, die zum Beispiel in der chinesischen Provinz Xinjiang tätig sind, zu unangenehmen Fragen führen. Dort unterhält die Führung in Peking nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch Zwangsarbeitslager für die uigurische Minderheit. Der EU war es in den Verhandlungen mit Peking nicht gelungen, verbindliche Zusagen für die Einhaltung der Menschenrechte zu erreichen.
In kaum einem Sektor klaffen die transatlantischen Vorstellungen so weit auseinander wie in der Frage, wie die digitale Wirtschaft reguliert werden soll. Die Europäer wollen die übermächtigen amerikanischen Techgiganten enger an die Leine legen, in Washington wurde das bislang als Regulierungswut Brüssels mangels europäischer Innovationen kritisiert.
Auch nach dem Regierungswechsel dürften Konflikte über eine Digitalsteuer, Marktmacht und Datenaustausch erhalten bleiben. Allerdings deutet sich seit einigen Monaten ein transatlantischer Konsens darüber an, dass die Macht der großen Internetplattformen aus dem Silicon Valley begrenzt werden muss. Noch unter der Trump-Regierung leiteten die Wettbewerbshüter der Federal Trade Commission (FTC) Kartellklagen gegen Facebook und Google ein. EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager hat gerade noch einmal ihre Bereitschaft erklärt, in Regulierungsfragen enger mit der neuen Regierung in den USA zusammenzuarbeiten.
Lange hatten sich die Kontrolleure in den USA geweigert, die Techbranche unter die Kartell-Lupe zu nehmen. Solange die Verbraucher und Nutzer mit den oft kostenlosen Angeboten der Internetriesen glücklich seien, funktioniere der Wettbewerb, so das Argument. Inzwischen hat man in den USA aber eingesehen, dass die Macht der Konzerne beschnitten werden muss.
Nicht zuletzt deshalb haben viele US-Bundesstaaten inzwischen ihren Datenschutz verbessert. Ganz vorn liegt dabei Kalifornien, dessen Regeln noch über die Datenschutz-Grundverordnung der EU hinausgehen.
In den USA wird von einem „Techlash“ gesprochen, um die Gegenreaktion gegen die Techkonzerne zu beschreiben. Diese wurde durch die Debatte über den Sturm auf das Kapitol, der zum Teil über soziale Medien organisiert und live übertragen wurde, noch verstärkt. Bidens Demokraten fordern, dass Facebook und Co. die Inhalte auf ihren Plattformen viel stärker regulieren als bislang. In Deutschland hat der Staat zum Beispiel durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den Unternehmen längst Vorgaben gemacht. Verstöße dagegen werden sanktioniert. Die EU will mit dem „Digital Services Act“ noch strengere Regeln erlassen.
Die politischen Unruhen haben in den USA auch die Debatte über eine Abschaffung der Sektion 230 im „Communication Decency Act“ von 1996 befeuert. Enthalten darin ist ein Passus, der die sozialen Medien von einer Haftung für die Inhalte auf ihren Plattformen freispricht. Biden hat angekündigt, diesen Freibrief abzuschaffen.
Die Internetkonzerne trügen die Hauptverantwortung dafür, dass Forderungen nach Korrekturen zu lange ignoriert worden seien, sagte Senator Richard Blumenthal, der eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Techbranche im Kongress spielen wird.
Kein Thema belastet die deutsch-amerikanischen Beziehungen so akut wie der Konflikt um Nord Stream 2. Die Ostseepipeline soll die Kapazität für direkte Gaslieferungen von Russland nach Deutschland verdoppeln. Die Bundesregierung sieht in dem Projekt einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, die Amerikaner hingegen sehen darin den Versuch des Kreml, seine Macht über Europa auszuweiten. Deshalb bekämpfen sie Nord Stream 2 mit Sanktionen – und treffen damit auch europäische Unternehmen, die die
Bauarbeiten an der Nord-Stream-2 Gaspipeline
Nord Stream 2: Die Haltung Berlins ändert sich durch Bidens Amtsantritt nicht.
Bild: Reuters
Hälfte der Investitionssumme von etwa neun Milliarden Dollar tragen. Der Streit ist festgefahren.
Kanzlerin Merkel unterstrich am Donnerstag: Die Haltung Berlins habe sich nicht verändert, weder durch Bidens Amtsantritt noch durch die Verhaftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. In Teilen der Bundesregierung besteht die Hoffnung, dass Biden die Sanktionen lockert. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass man auf Konsultationen mit der neuen Regierung setze.
Ein schnelles Einlenken der USA ist aber nicht zu erwarten. Außenminister Blinken sagte am Dienstag bei seiner Anhörung im US-Kongress, dass er die Pipeline für einen Fehler halte. „Ich bin entschlossen, alles zu tun, um die Fertigstellung zu verhindern“, versicherte er dem republikanischen Senator Ted Cruz, einem eingefleischten Nord-‧Stream-Gegner.
Zugleich jedoch vermied Blinken es, sich auf Sanktionen festzulegen. Er müsse erst mit Biden darüber sprechen, sagte er. Möglich, dass die neue US-Regierung zu einem Kompromiss bereit ist. Aber wahrscheinlich nur, wenn Deutschland einen stärkeren Beitrag zur Bündnislast in der Nato und zur Sicherheit der Ukraine übernimmt. Kiew ist bisher auf Einnahmen aus dem landgestützten Gastransit angewiesen, den Moskau mit Nord Stream 2 umgehen kann.
„Unter einer Biden-Harris-Regierung werden die USA an Tag eins in das Pariser Klimaabkommen zurückkehren und den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel anführen“, versprach Biden im Dezember – und hielt Wort. Der Wiedereintritt in das Abkommen war eine seiner ersten Amtshandlungen.
Auch sein Wahlprogramm und seine Personalauswahl zeigen, wie ambitioniert er ist. So will Biden die Grundlagen dafür schaffen, dass die USA bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen auf null senken. Im Dezember nominierte er ein Klima-Team, das durch die Bank Expertise zu erneuerbaren Energien mitbringt. Zudem will Biden zwei Billionen US-Dollar in grüne Infrastruktur investieren.
Windräder in Kalifornien
Bis 2050 wollen die USA ihre CO2-Emissionen auf null senken.
Bild: Bloomberg
Die Energiepolitik-Experten Richard Morningstar und Olga Khakova sind sich sicher, dass Europa vom Klima-Kurswechsel profitieren kann – wenn es sich denn klug anstellt. Europa müsse den Erdgasboom in den USA stärker für sich nutzen und den Partner im Vergleich zu Russland als zuverlässigeren Lieferanten betrachten, fordert das Duo. Grundsätzlich legen die Experten eine bessere Koordination im Einsatz sauberer Energien nahe. „Dadurch können die von der Pandemie geschwächten Industrien sich auf beiden Seiten des Atlantiks schneller erholen und Treibhausgase gesenkt werden.“
Weitere Felder der Kooperation sehen sie in der Batteriezellproduktion oder in der Offshore-Windenergie. Konkret austauschen könnte man sich im transatlantischen Energierat, der 2009 gegründet wurde und unter Trump faktisch stillgelegt wurde.
Und doch: Fortschritte dürften auch nach einem Neustart der Beziehungen nur schwer zu erzielen sein. In der Praxis überwiegen die Differenzen, etwa im Streit um eine CO2-Grenzsteuer auf importierte Waren.
Auch sind Europa und die USA auf dem Markt der erneuerbaren Energien mitunter Konkurrenten. In der Elektromobilität versuchen beide Seiten, sich auf einem harten Markt zu behaupten. Diesen Kampf der Zukunft symbolisiert zum Beispiel die Tesla-Gigafactory in Brandenburg, die ausgerechnet am weltweit führenden Autostandort Deutschland gebaut wird.
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