PremiumDurchsuchungen, Verhaftungen und ein Parteiausschluss – das EU-Parlament steht im Fokus umfangreicher Korruptionsermittlungen belgischer Ermittler. Eine Spur führt nach Katar
Eva Kaili
Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments wurde umgehend aus ihrer Partei ausgeschlossen.
Bild: dpa
Brüssel War diese Rede gekauft – und, wenn ja, wie viel hat sie wohl gekostet? Eine Vizepräsidentin des Europaparlaments, die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili, ergriff am 21. November während einer Debatte über Katar das Wort und schwärmte von Reformen des Landes.
Die Fußballweltmeisterschaft sei der Beweis, wie der Sport eine „historische Transformation“ erreichen könnte, sagte sie. Katar sei zum Vorreiter für Arbeitnehmerrechte geworden und inspiriere „die arabische Welt“.
Am Freitag und am Wochenende sind Kaili und fünf weitere Verdächtige festgenommen worden. Sie stehen im Verdacht, Schmiergeld kassiert zu haben. Experten sprechen vom größten Korruptionsskandal in der jüngeren Geschichte der EU. Nach Angaben der belgischen Staatsanwaltschaft geht es um die versuchte Einflussnahme eines Golfstaats. Nach allem, was bekannt ist, handelt es sich dabei um Katar.
Die Fahnder durchsuchten 16 Büros und Wohnungen in Brüssel. Dabei stellten sie Datenträger, Smartphones sowie etwa 600.000 Euro Bargeld sicher. Am Sonntag erließ die Justiz Haftbefehl gegen vier Verdächtige. „Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt“, erläuterte die zuständige Staatsanwaltschaft. Nach Medienberichten soll auch die 44-jährige Parlamentsvizin dazugehören, ebenso ihr Lebenspartner sowie der Ex-EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri.
Zwei weitere Festgenommene wurden vom Untersuchungsrichter wieder freigelassen. Darunter soll sich der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds, Luca Visentini, befinden. Zudem sei am Samstagabend das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht worden – zu seiner Identität gab es zunächst keine Informationen.
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Die Fäden scheinen bei der gemeinnützigen Organisation Fight Impunity zusammenzulaufen, die eigenen Angaben zufolge für Menschenrechte kämpft. Ihr Präsident ist Panzeri, ein prominenter, früherer EU-Parlamentarier aus Italien.
Allein in Panzeris Brüsseler Wohnung stellten die Ermittler 500.000 Euro sicher. Auch die italienische Justiz wurde inzwischen aktiv: Polizisten nahmen Panzeris Frau und seine Tochter in der Region Bergamo fest.
Die 44-jährige Kaili wurde schon am Freitagabend aus ihrer Partei, der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), ausgeschlossen, wie Parteichef Nikos Androulakis bestätigte. Die Griechin ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 eine von 14 Vize-Präsidentinnen und -Präsidenten des Parlaments, unter anderem zuständig für die Beziehungen zum Nahen Osten. Ihre Karriere begann sie als Nachrichtensprecherin und Journalistin, später arbeitete sie als PR-Beraterin in Griechenland.
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments
„Wir werden alles tun, was wir können, um den Lauf der Gerechtigkeit zu unterstützen.“
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Obwohl die Aufklärung erst am Anfang steht, ist klar: Das Ansehen und die Legitimation des EU-Parlaments drohen schweren Schaden zu nehmen, sollte sich der Korruptionsverdacht bestätigen. Das Parlament gibt sich als moralische Instanz im Institutionengefüge der EU, die Korruptionsvorwürfe sind daher besonders gravierend.
Parlamentspräsidentin Metsola scheint die Gefahr erkannt zu haben: „Unser Parlament steht entschieden gegen Korruption“, versicherte sie und betonte, das Parlament werde uneingeschränkt mit allen zuständigen Strafverfolgungs- und Justizbehörden zusammenarbeiten. „Wir werden alles tun, was wir können, um den Lauf der Gerechtigkeit zu unterstützen“, stellte Metsola klar.
Die Transparenzregeln des EU-Parlaments sind strenger als die des Bundestags. Dennoch sehen Korruptionsexperten schwere Defizite. „Dies ist zwar der ungeheuerlichste Fall von mutmaßlicher Korruption, den das Europäische Parlament seit vielen Jahren erlebt hat“, sagte Michiel van Hulten, der Direktor des Brüsseler Büros von Transparency International, früher selbst EU-Abgeordneter. Es sei aber nicht der einzige.
„Über viele Jahrzehnte hinweg hat es das Parlament zugelassen, dass eine Kultur der Straffreiheit entstanden ist.“ Es fehle an einer „unabhängigen ethischen Aufsicht“. Dies müsse sich nun ändern. Nötig sei, ein „EU-Ethikgremium mit Untersuchungs- und Durchsetzungsbefugnissen zu schaffen“.
Auch der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke sieht Veränderungsbedarf. „Wir müssen uns dringend in Brüssel zusammensetzen und überprüfen, ob das Lobbyregister und die Transparenzregeln ausreichen, um eine Beeinflussung von Abgeordneten durch Drittstaaten oder Interessengruppen auszuschließen“, forderte er.
EU-Abgeordnete müssen, genau wie Kommissionsmitarbeiter und Vertreter des Europäischen Rats, öffentlich machen, mit welchen Lobbygruppen und Organisationen sie sich getroffen haben. Bei Kontakten zu Drittstaaten bestehen aber Lücken in den Transparenzvorschriften. Das hat sich Kaili anscheinend zunutze gemacht.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat die belgische Polizei seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versucht, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Beträchtliche Geldsummen und Sachgeschenke seien vermutlich an Personen im Parlament verteilt worden, die eine politische oder strategische Position innehätten. Ein Ziel könnte es gewesen sein, Einreiserleichterungen für Katar zu erreichen.
Die EU-Kommission hat im April vorgeschlagen, die Visapflicht für Katar bei kurzfristigen Aufenthalten aufzuheben. Das Parlament sollte kommende Woche darüber abstimmen. Als Konsequenz der Korruptionsaffäre wollen nun mehrere Fraktionen diesen Prozess stoppen.
„Wir werden in der diese Woche anstehenden Plenarabstimmung gegen Visaerleichterungen für Katar stimmen“, sagte Co-Fraktionschefin Terry Reintke. Allein der Verdacht der Korruption und Bestechlichkeit beschädigten Reputation und Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments.
Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange sprach im Deutschlandfunk von einem fundamentalen Schlag gegen das Europaparlament. Alle Entscheidungen der EU in Bezug auf den Golfstaat Katar gehörten nun auf den Prüfstand, verlangte der SPD-Politiker.
Die Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD) sagte in der ARD: „Wir tolerieren keine Korruption. Korruption ist Gift für die Demokratie.“ Eigentlich habe das EU-Parlament strenge Regeln für die Arbeit von Lobbyisten, strengere als die meisten nationalen Parlamente. „Aber wenn wirklich kriminelle Energie im Spiel ist, dann hilft eben auch kein Verhaltenskodex und keine Offenlegungspflicht. Dann kann man nur mit den Mitteln des Strafrechts ran“, sagte Barley.
Die ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen Katar und der EU dürften sich nun weiter verschlechtern. Das Emirat will die WM nutzen, um sein Image aufzubessern – und empört sich über die Vorwürfe der Europäer, Frauen und Minderheiten würden in Katar unterdrückt. Geopolitisch ist der kleine Golfstaat von großer Bedeutung. Die EU hofft, dass katarisches Flüssiggas dabei hilft, Pipelinegas aus Russland zu ersetzen. Zuletzt hatte Katar allerdings einen umfangreichen Gas-Deal mit China vereinbart.
Im Rückblick wirkt es fast, als habe Kaili ihre Probleme vorhergesehen. Sie schien sich von Katarkritikern verfolgt zu fühlen. In ihrer Parlamentsrede vom 21. November klagte Kaili, dass „einige hier“ gegen Katar diskriminierten und „jedem, der mit ihnen redet oder mit ihnen in Kontakt steht, Korruption vorwerfen“.
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