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27.07.2020

13:10

Gazprom und Rosatom

Russlands neue Energiestrategie: Nord Stream 2 soll Wasserstoff liefern

Von: André Ballin

Auch Russland setzt auf neue Energie: Bis 2024 soll die Wasserstoffproduktion anlaufen. Vorreiter wollen die Staatskonzerne Gazprom und Rosatom werden.

In alten Leitungen könnte Wasserstoff zu 20 Prozent dem Erdgas beigemischt werden, in neuen Pipelines wie Nord Stream könnte der Anteil sogar bis zu 70 Prozent ausmachen, schätzt Gazprom. AP

Pipeline-Arbeiten in Russland

In alten Leitungen könnte Wasserstoff zu 20 Prozent dem Erdgas beigemischt werden, in neuen Pipelines wie Nord Stream könnte der Anteil sogar bis zu 70 Prozent ausmachen, schätzt Gazprom.

Moskau Weil Europa auf Wasserstoff als Energieträger umschwenkt, stellt sich auch Russland neu auf. Dem Land bleibt keine andere Wahl: Als größter Öl- und Gasimporteur des Kontinents will es seine Position auf dem Energiemarkt behalten.

Nun hat das Energieministerium einen Plan für die Entwicklung von russischem Wasserstoff vorgelegt. Bis 2024 soll eine völlig neue Branche entstehen. 

Bis Jahresende soll das Entwicklungskonzept ausgearbeitet sein und sollen Hilfsmaßnahmen für Pilotprojekte verabschiedet werden. Anfang 2021 will die Regierung dann Anreize für Exporteure und Verbraucher im Inland schaffen, damit diese auf Wasserstoff umsteigen.

Auch die Vorreiter für die „grüne Revolution“ sind schon ausgewählt: die beiden Staatskonzerne Gazprom und Rosatom. Sie treten bisher vor allem als Giganten bei der konventionellen Energieversorgung in Erscheinung – auch wenn Moskau Atomenergie als alternativ und umweltfreundlich betrachtet. Als dritter Interessent – jedoch noch ohne konkretes Projekt – gilt der Gazprom-Konkurrent Novatek.

Gazprom soll bereits im kommenden Jahr eine neue Wasserstoffturbine entwickeln und erproben. Aus deutscher Sicht interessant ist in dem Zusammenhang die sich anbahnende Partnerschaft zwischen der Gazprom Energieholding und Siemens. Die für das Gasturbinengeschäft zuständige Siemens-Tochter STGT ist in einem langwierigen und komplizierten Scheidungsprozess mit ihrem russischen Partner Power Machines. Laut Medienberichten steht die Gazprom Energieholding als nächster potenzieller Partner aber schon bereit.

Bis 2024 will Gazprom zudem den Einsatz von Wasserstoff in weiteren Gasanlagen vorantreiben. Dazu zählen unter anderem Gaskraftwerke, aber auch einfache Gasboiler.

Rosatom seinerseits soll als Pilotprojekt bis 2024 ein Versuchsgelände für wasserstoffbetriebene Züge aufbauen. Konkret geht es dabei um den Zugverkehr auf der Fernostinsel Sachalin, wo der russische Atommonopolist zusammen mit der Russischen Eisenbahn AG und dem Maschinenbauer Transmaschholding Züge auf Wasserstoffantrieb umstellen will.

Derzeit wird in Russland „grauer Wasserstoff“ aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Dabei wird jede Menge Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre abgegeben.

Nun will man aber auf saubere Energie setzen: Gazprom zielt auf die Herstellung des sogenannten türkisen Wasserstoffs ab. Dieser wird durch die Wärmespaltung von Methan gewonnen; dem Hauptbestandteil von Erdgas. Durch die Methanpyrolyse entsteht anstelle von CO2 als Abfallprodukt fester Kohlenstoff, also Asche, der als Dünger verwendet werden kann.

Gas-Pipelines für Wasserstofftransport

Laut Juri Melnikow, Senior Analyst für Energiefragen an der Wirtschaftshochschule „Skolkowo“, soll der Wasserstoff in der Nähe der Absatzmärkte produziert werden. Für Gazprom ist dies in erster Linie der europäische Markt. Derzeit sondiert das Unternehmen bereits Projekte innerhalb der EU. Als weitere Möglichkeit gilt der Wasserstofftransport über die Gaspipelines.

Denn bei einem massenhaften Umstieg der Europäer auf Wasserstoff muss Russland anderenfalls eine Stilllegung der Pipelines befürchten. Die derzeit noch im Bau befindliche 8,5 Milliarden Euro teure Nord Stream 2 beispielsweise rentiert sich bei Vollauslastung nach zehn Jahren. Sollte die Wasserstoffproduktion in Europa den Gasimport massiv senken, droht Nord Stream 2 zu einer Investitionsruine zu werden.

Daher erwägt Gazprom, durch die Pipelines zumindest ein mit Wasserstoff verquicktes Gasgemisch zu schicken. In alten Leitungen könnte Wasserstoff zu 20 Prozent dem Erdgas beigemischt werden, in neuen Pipelines wie Nord Stream könnte der Anteil sogar bis zu 70 Prozent ausmachen, schätzt Gazprom.

Den europäischen Markt für Wasserstoff schätzt der Konzern für das Jahr 2050 auf ein Volumen von 153 Milliarden Euro. Die Schätzungen des Energieministeriums haben eine größere Streuung und sehen einen Marktumfang von 32 bis 164 Milliarden Euro voraus.

Dabei könnte Gazprom ein größerer Konkurrent bei der Wasserstoffproduktion im eigenen Land erwachsen. Rosatom setzt bei seiner Produktion auf sogenannten gelben Wasserstoff, der durch die Elektrolyse von Wasser entsteht. Dies gilt als eine der saubersten Methoden. Die Elektrolyse selbst will Rosatom allerdings mit Atomstrom durchführen, was in einigen Ländern Europas, unter anderem auch in Deutschland, auf Skepsis stoßen dürfte.

Trotzdem schätzte Nikolai Ponomarjow-Stepnoi, wissenschaftlicher Berater des Rosatom-Generaldirektors Alexej Lichatschow, dass der Konzern bis 2050 seine Produktion auf 50 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr ausbauen könne.

Über die Investitionskosten für den Aufbau des Sektors hüllen sich bisher alle Seiten in Schweigen. Klar ist allerdings, dass Rosatom bereits Geld vom Staat für erste Versuche bekommen hat. Die Wasserstoffförderung ist Teil des 1,1 Milliarden Euro schweren Programms „Atomwissenschaft, Technik und Technologien“. Die Hälfte der Summe davon stammt aus dem russischen Haushalt. Bei einem großangelegten Aufbau der Wasserstoffproduktion müssten allerdings schnell vielfache Summen aufgerufen werden.

Grundsätzlich sind solche Ausgaben für beide Konzerne aber zu stemmen. Gazprom erwirtschaftete 2019 einen Gewinn von umgerechnet 14,5 Milliarden Euro. Bei Rosatom betrugen im gleichen Zeitraum immerhin die Einnahmen auch 14,5 Milliarden Euro. Zum Gewinn des Staatsunternehmens gibt es keine Angaben.

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