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13.03.2023

12:30

Geopolitik

Chinas Führung demonstriert ihre Macht – Das sind die fünf Lehren aus dem Volkskongress

Von: Sabine Gusbeth

In Peking baut Staats- und Parteichef Xi Jinping seinen Einfluss auf das Land weiter aus. Im Wettbewerb mit den USA setzt er auf technologische Souveränität und ein starkes Militär.

Auf der neuntägigen Tagung hatte Xi Jinping seine Macht zementiert, indem er sich eine dritte Amtszeit sicherte. AP

Volkskongress in China

Auf der neuntägigen Tagung hatte Xi Jinping seine Macht zementiert, indem er sich eine dritte Amtszeit sicherte.

Peking Mit rhythmischem Klatschen der 2947 Delegierten endet am Montag der Volkskongress in Peking. Von der ersten Empore erschallt die chinesische Nationalhymne, gespielt von mehr als Hundert Bläsern des Musikkorps der Volksbefreiungsarmee in grünen Uniformen.

Staats- und Parteichef Xi Jinping grüßt noch einmal in den Kongresssaal der Großen Halle des Volkes und verlässt den Raum als Erster. Die Abgeordneten von Chinas Scheinparlament haben in den vergangenen neun Tagen zahlreiche Vorhaben der Parteiführung um Xi abgenickt. Dadurch baut der 69-Jährige seine Macht weiter aus. 

In seiner knapp 15-minütigen Abschlussrede hatte Xi noch mehr Anstrengungen gefordert, um technologische Souveränität zu erlangen sowie die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu stärken. Von seinem Volk erwartet er Pioniergeist und Innovationsstärke, um ein qualitativ hochwertiges Wachstum sicherzustellen. Durch die Modernisierung des Militärs solle eine „Große Mauer aus Stahl“ gebildet werden, sagte Xi. Er betonte die Bedeutung der friedlichen Vereinigung mit Taiwan. Dabei vermied er den Zusatz, dass diese notfalls auch mit militärischer Gewalt erzwungen werde. 

Als erster Staatschef seit Gründung der Volksrepublik tritt Xi eine dritte Amtszeit an. Die Entscheidung dazu fiel einstimmig. Sein Vertrauter Li Qiang, die Nummer zwei in der Parteihierarchie, übernimmt erwartungsgemäß das Amt des Premierministers, trotz dreier Gegenstimmen und acht Enthaltungen. Auch so kann subtil der Abstand zur unangefochtenen Nummer eins dokumentiert werden. Ebenfalls abgesegnet wurde das Wachstumsziel von „rund fünf Prozent“ sowie der Haushaltsplan, der eine Steigerung des Militärbudgets vorsieht. 

Zudem verabschiedete der Volkskongress Xis Pläne zur Einführung einer neuen, mächtigen Finanzaufsichtsbehörde sowie eine weitreichende Umstrukturierung des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie. Der Umbau ist ein deutlicher Hinweis darauf, welche Prioritäten die Parteiführung angesichts der wachsenden wirtschaftlichen und technologischen Rivalität mit den USA und anderen westlichen Staaten setzen will.

China

Präsident Xi: China will eine „große Mauer aus Stahl" werden

China: Präsident Xi: China will eine „große Mauer aus Stahl" werden

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Am letzten Sitzungstag standen insgesamt sieben Abstimmungen auf der Agenda. Die Abgeordneten wurden aufgerufen, ihre Stimmen per Knopfdruck an ihrem Sitzplatz abzugeben. Jeder kann sehen, wie sein Sitznachbar entscheidet. Das Ergebnis wird wenige Sekunden später auf zwei großen blauen Bildschirmen angezeigt.

Die Vorschläge der Parteiführung werden mit überwältigender Mehrheit angenommen. Gegenstimmen oder Enthaltungen gibt es kaum. „Tonguo!“, „Verabschiedet!“, ruft Sitzungsleiter Zhao Leiji nach jeder Abstimmung. Es folgt Applaus. 

Der Kongress ist eine politische Inszenierung

Pekings Propagandaapparat nennt es „ganzheitlichen Demokratieprozess“. Wer als Journalist teilnehmen darf, muss sich bewusst sein, dass er Teil dieser Inszenierung ist. Während in den vergangenen Tagen nur sehr wenige ausländische Medien zugelassen waren, ist die erste Empore am Abschlusstag gut gefüllt.

Alle Teilnehmer mussten am Vorabend zum PCR-Test und die Nacht in einem Quarantänehotel verbringen. Und das obwohl die Staatsführung Mitte Februar den „großen und entscheidenden Sieg“ über das Virus erklärt hatte. 

Chinas neuer Premierminister Li Qiang wiederholte diese Darstellung bei seiner ersten Pressekonferenz kurz nach Ende des Volkskongresses. Der frühere Parteichef von Shanghai verantwortete den zweimonatigen strikten Lockdown in der Finanzmetropole. 

Es werde für China nicht einfach, wie geplant rund fünf Prozent Wachstum zu erreichen, sagte der neue Regierungschef Li Qiang auf seiner ersten Pressekonferenz. Reuters

Li Qiang

Es werde für China nicht einfach, wie geplant rund fünf Prozent Wachstum zu erreichen, sagte der neue Regierungschef Li Qiang auf seiner ersten Pressekonferenz.

Gegenüber den USA schlug Li vergleichsweise versöhnliche Töne an, anders als vor wenigen Tagen Xi und Außenminister Qin Gang. Zwar wiederholte er indirekt den Vorwurf von Staats- und Parteichef Xi Jinping, dass die USA einen Aufstieg Chinas verhindern wollten: „Einkreisung und Unterdrückung ist im Interesse von niemandem“, sagte er. Doch er betonte, dass die beiden größten Volkswirtschaften eng miteinander verbunden seien, wovon beide profitiert hätten. Eine Abkoppelung diene niemandem. „China und die USA können und müssen zusammenarbeiten“, sagte er. 

>> Lesen Sie hier auch: Xi Jinpings rechte Hand – Wer Chinas neuer Premierminister ist
Doch die wichtigsten Erkenntnisse des diesjährigen Volkskongresses deuten darauf hin, dass sich China auf einen wachsenden wirtschaftlichen und technologischen Konkurrenzkampf mit den USA einstellt, aber auch welche Herausforderungen die Staatsführung im Inland sieht. 

1. Die technologische Souveränität soll gestärkt werden

Gleich zu Beginn seiner Rede zum Abschluss des Volkskongresses betont Staats- und Parteichef Xi die Bedeutung technologischer Souveränität. Die Abgeordneten hatten am Freitag einen umfassenden Umbau des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie beschlossen. Eine neue Kommission, die vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei kontrolliert wird, soll das Ministerium künftig anleiten. 

Technologische Durchbrüche und Innovationen aus der Forschung sollen dadurch künftig schneller in praktische Anwendungen umgesetzt werden. Auf diese Weise will Xi dem Westen im Tech-Bereich stärker Paroli bieten und den Einfluss der Partei in Wissenschaft und Technologie ausweiten.

Höchste Priorität dürfte dabei der Aufbau einer leistungsfähigen Halbleiterindustrie haben. Denn die US-Ausfuhrbeschränkungen für Hightech-Chips sowie Maschinen zu deren Produktion treffen China hart. Die technologische Unabhängigkeit im Bereich Halbleiter ist für Xi deshalb Ultima Ratio. 

2. China rüstet weiter auf

Um die nationale Sicherheit zu stärken, will Xi das Militär schneller modernisieren. Der Haushaltsplan, der am Montag abgesegnet wurde, sieht eine Steigerung der Militärausgaben um 7,2 Prozent auf umgerechnet rund 225 Milliarden Dollar vor.

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China müsse seine Verteidigungstechnologie, -industrie und -wissenschaft „besser nutzen, um seine Armee zu stärken und Kriege zu gewinnen“, hatte Xi Jinping vergangene Woche einem Bericht des Staatssenders CCTV zufolge betont. Xi ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. 

3. Die Finanzindustrie muss mit strikterer Regulierung rechnen

Während die großen Tech-Konzerne des Landes in den vergangenen zwei Jahren durch eine strikte Regulierung auf Parteilinie gebracht wurden, gibt es in der Finanzindustrie kaum Fortschritte. Eine neue, mächtige Finanzaufsichtsbehörde soll Fehlentwicklungen wie Spekulation und Korruption nun Einhalt gebieten. Ein besonderes Augenmerk richtet die Staatsführung dabei Experten zufolge auf die angespannte Finanzlage der Provinzregierungen.

Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking Universität, hält die neue Finanzaufsicht deshalb für ein Indiz für einen „generellen Konflikt zwischen Peking und den lokalen Regierungen über die Kontrolle von Wirtschaft und Finanzen“. Die zentralstaatliche Behörde könnte daher auch dazu dienen, die Kontrolle Pekings in den Regionen weiter auszubauen.

4. Die Regierung verliert gegenüber der Parteiführung an Bedeutung

Die neuen Behörden im Bereich Wissenschaft und Technologie sowie Finanzen passen zum Zentralisierungstrend der vergangenen zehn Jahre unter Xi Jinping. Dadurch verliere Chinas Regierung zunehmend an Bedeutung und werde zu einem administrativen Arm der Partei degradiert, einer Art „Maschinenraum“, sagt Nis Grünberg vom China-Thinktank Merics. Die inhaltliche Arbeit finde so immer mehr in der Parteiführung statt. 

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Dabei hatte die KP in den 1980ern als Lehre aus der verheerenden Alleinherrschaft von Staatsgründer Mao Zedong Regeln eingeführt, um Machtmissbrauch zu vermeiden. Doch unter Xi mache Peking kontinuierlich Rückschritte, betont Carl Minzner von der US-Denkfabrik Center of Foreign Relations. Er lege Priorität auf „Zentralisierung und absolute Kontrolle der Partei über Staat und Gesellschaft“. 

Hinzu kommt, dass mit der nun erfolgten Regierungsumbildung wichtige Positionen mit Vertrauten Xis besetzt sind. Doch indem Xi die volle Kontrolle über Partei und Staat übernimmt, entstehen auch Angriffsflächen. „Xi wird für seine Erfolge gelobt und für seine Misserfolge getadelt werden“, heißt es in einer Analyse der US-Denkfabrik Brookings. Da Xi nun Gefolgsleute um sich geschart habe, die er für äußerst vertrauenswürdig hält, könnte sich jedoch auch deren Spielraum erhöhen, so die Experten. 

5. China unter Xi Jinping bleibt unberechenbar

Die abrupte Abkehr von der Null-Covid-Politik im Dezember, ebenso wie das vorherige beharrliche Festhalten an derselben, haben China in den Augen viele Wirtschaftsvertreter und Politiker unberechenbar gemacht. Dieser Eindruck dürfte sich auf dem Volkskongress einmal mehr bestätigt haben. Am Sonntag wurden überraschend die Minister für Finanzen und Handel sowie der Zentralbankchef im Amt bestätigt, obwohl sie die inoffizielle Altersgrenze erreicht haben. 

Die Entscheidung sollte angesichts der angespannten Wirtschaftslage offenbar Kontinuität signalisieren. Auf viele Beobachter wirkte sie jedoch gegenteilig: China bleibe unberechenbar, weil es keine Regeln mehr gebe. 

Die alte Ära der Technokraten um den bisherigen Premier Li Keqiang gehört mit der nun erfolgten Regierungsumbildung der Vergangenheit an. In einem Video, dass vielfach in den sozialen Medien geteilt wurde, verabschiedete Li sich von Mitarbeitern mit einer Redewendung: Die Menschen handeln, der Himmel sieht zu. Am Samstag, als Xi Jinping einstimmig im Amt bestätigt wurde, fegte ein Sandsturm über Peking und tauchte die Stadt in ein düsteres Gelb.

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