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04.04.2022

14:04

Globale Lieferketten

Ministerium für geopolitische Risiken – Was die Welt von Japan lernen kann

Von: Martin Kölling

Der Ukrainekrieg schürt den Konflikt des Westens mit China und Russland. Japan hat den Schutz der eigenen Wirtschaft deshalb zur nationalen Aufgabe erklärt.

Japan will seine Märkte abhärten gegen die Risiken geopolitischer Verwerfungen. dpa

Finanzdistrikt in Tokio

Japan will seine Märkte abhärten gegen die Risiken geopolitischer Verwerfungen.

Tokyo Die Manager der japanischen Chipindustrie nahmen die Neuigkeit kürzlich mit Freude zur Kenntnis: Die Regierungen der USA und Japans planen ein gemeinsames Liefernetz für Halbleiter, noch in diesem Jahr wird Washington dazu ein Indo-Pacific Economic Framework gründen – eine Initiative, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern.

Die Zusammenarbeit mit der Schutzmacht USA ist das jüngste Beispiel für Japans Plan, die eigene wirtschaftliche Stabilität in Zeiten geopolitischer Verwerfungen zu stärken. Es ist eine Strategie, die durch den Ukrainekrieg in dramatischer Weise an Aktualität gewonnen hat.

Das Konzept der „wirtschaftlichen Sicherheit“ gründet auf der Prämisse, dass wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und nationale Sicherheit in der neuen Ära des Großmachtkonflikts zwischen China und den USA untrennbar miteinander verbunden sind.

„Japan entwickelt sich zum Vorbild“, sagt Akira Igata, Direktor des „Center for Rule-making Strategies“ an der Tama-Universität nahe Tokio. Auch andere Länder dächten spätestens nach Ausbruch des Ukrainekriegs darüber nach, wie sie ihre Wirtschaft schützen können.

Der Forscher, der die Regierung und Unternehmen in Fragen wirtschaftlicher Sicherheit berät, nennt das Beispiel Südkorea. Das Land habe bereits damit begonnen, Teile von Japans Strategie zu übernehmen.

Bekenntnis zum Freihandel, Streben nach Sicherheit

Auch in Deutschland sind die Lieferketten zum Politikum geworden. Ein entsprechendes Gesetz, das 2023 in Kraft treten soll, verpflichtet Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards. Demgegenüber verfolgt Japan allerdings einen umfassenderen Ansatz – es geht um das Streben nach militärischer und wirtschaftlicher Sicherheit genauso wie um die Förderung des Freihandels und multilateraler Netzwerke.

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Bereits 2019 hatte Japans Regierung im Nationalen Sicherheitssekretariat eine spezielle Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit eingerichtet, bestehend aus Fachleuten aus verschiedenen Ministerien. Mit der Coronapandemie folgten Subventionsprogramme für japanische Unternehmen, die Produktionsstätten aus China in andere Länder verlagern wollten. Hilfen gab es zugleich für die Ansiedlung von Chip- und Akkufabriken in Japan.

Erste Erfolge gibt es bereits: Der weltgrößte Auftragsfertiger von Chips, Taiwans TSMC, baut sein erstes größeres Werk außerhalb des Großraums China in Japan. Und der japanische Technikkonzern Panasonic will in seinem Heimatland ein neues Werk errichten, in dem Akkus für den Autohersteller Tesla produziert werden.

Ministerpräsident Fumio Kishida trieb die Strategie weiter: Er installierte nach seinem Amtsantritt im Herbst 2021 das weltweit erste Ministerium für wirtschaftliche Sicherheit und richtete Stabsstellen in anderen Ministerien ein, vom Polizei- bis hin zum Wirtschaftsministerium.

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Die erste Aufgabe des 47-jährigen Amtsinhabers Takayuki Kobayashi ist es, ein umfassendes „Gesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit“ zu entwerfen. Derzeit wird es im Parlament diskutiert. Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz spielen Menschenrechte und Umweltschutz dabei keine Rolle; es besteht aus vier Pfeilern, die Unternehmen und sogar Lokalregierungen mit einbeziehen:

  • Die Stärkung der Lieferketten zielt auf eine stabile Versorgung mit strategischen Gütern wie Halbleitern oder Arzneien ab.
  • Bei kritischen Infrastrukturen wie der Energie- und Wasserversorgung, dem Transport- und Finanzwesen, der Telekommunikation und der Post kann der Staat künftig die Einführung von bestimmter Hardware oder Software verbieten.
  • Die öffentlich-private Zusammenarbeit bei der Entwicklung wichtiger Spitzentechnologien soll gestärkt und die Weitergabe von Schlüsseltechnologien hart bestraft werden.
  • Japan wird geheime Patente für militärisch wichtige Technologien einrichten, ein Schritt, der in anderen Ländern oft schon üblich ist.

Das Maßnahmenpaket soll Japan vor „economic statecraft“ (wirtschaftlicher Staatsgewalt) schützen, sagt Kazuto Suzuki, Forschungsdirektor der Tokyo Foundation for Policy Research. Als Beispiel nennt er wirtschaftliche Strafen wie Lieferstopps von Schlüsselprodukten.

China und US-Präsident Trump ließen Japan umdenken

Auch der Hauptadressat des Gesetzes ist für Suzuki klar: China. „Auch wenn sich die wirtschaftlichen Beziehungen vertieft haben, so sind die ideologischen, politischen und militärischen Spannungen dennoch gewachsen“, betont Suzuki. China zeige „keine Skrupel, den Handel als Waffe in diplomatischen Auseinandersetzungen einzusetzen“.

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Japan wurde dabei 2010 das erste Opfer wirtschaftlicher Machtspiele seitens Pekings, was auch Japans Vorreiterrolle beim Thema wirtschaftliche Sicherheit erklärt. In einem Territorialkonflikt um von Japan kontrollierte Felseninseln im Ostchinesischen Meer stoppte Peking zuerst den Export von Seltenen Erden, später wurden auch japanische Unternehmen Opfer von Boykotten und Protesten.

„Das war ein Schock“, erinnert sich Kunihiko Miyake, ein ehemaliger Topdiplomat, der jetzt Direktor am Canon-Institut für Globale Strategie ist. Denn China brach damals mit der bis dahin geltenden Regel, bei diplomatischen Krisen die wirtschaftlichen Beziehungen unangetastet zu lassen.

Den letzten Anstoß gab dann der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump im Jahr 2017. Der Republikaner strich nicht nur umgehend die strategisch wichtige transpazifische Freihandelszone TPP, er drohte auch mit Kündigung militärischer Abkommen und schürte internationale Handelskonflikte. Auch Japan nahm Trump mit Strafzöllen auf Stahl und Aluminium und der Androhung von Quoten für Autoimporte ins Visier. „Das war ein Weckruf für die Eliten, das Bündnis mit den USA nicht als gegeben hinzunehmen“, sagt Professor Igata.

Japan reagierte. Erst rettete die Regierung die Rest-TPP mit den verbliebenen zehn Pazifikanrainern, dann setzte es das Freihandelsabkommen mit der EU um. Dieses Jahr trat RCEP in Kraft, mit dem erstmals Japan, Südkorea und China gemeinsam in einem Freihandelsabkommen verbunden werden.

Japan und die EU setzen gemeinsam auf Freihandel  – mit einem entsprechenden Abkommen. dpa

Japans Premierminister Kishida, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen

Japan und die EU setzen gemeinsam auf Freihandel – mit einem entsprechenden Abkommen.

Gleichzeitig forciert Japan mit den USA, Australien und Indien die sogenannte „Quad-Gemeinschaft“, die neben handelspolitischen auch sicherheitspolitische Aspekte verfolgt. Und Anfang dieses Jahres folgte der erste Schritt zu einem Militärbündnis mit Australien. Dies ist der erste Bund Japans über die Allianz mit den USA hinaus.

Einige Konzerne ziehen bereits kräftig dabei mit, die neue japanische Sicherheitsstrategie umzusetzen. Als erstes Unternehmen hat der Technikkonzern Mitsubishi Electric 2020 eine eigene Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit eingerichtet, die direkt dem Konzernchef unterstellt ist. Der Senior Managing Director der Stabsstelle, Halbleiterexperte Takashi Ito, sagte dem Handelsblatt: „Die Absichten der Großmächte sind zu einem neuen Risikofaktor geworden, der über die herkömmlichen Regeln hinausgeht.“

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