Wladimir Putin
Der russische Präsident nutzt die unterschiedliche nationalen Interessen der EU-Staaten.
Bild: Reuters
Die EU würde gerne eine gemeinsame Außenpolitik definieren. Doch Russland hat es geschafft, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen.
Brüssel/Straßburg Als der niederländische Geheimdienst im Oktober vier russische Agenten auffliegen lässt, zeigt sich die EU ungewohnt geschlossen. Aus den EU-Institutionen wie aus den Hauptstädten kommen wütende Statements. Russland hatte versucht, in die Computersysteme der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) einzudringen, die in den Haag ihren Sitz hat. Aus Brüsseler Sicht ist das ein Torpedieren von Friedensbemühungen. Man ist fassungslos.
Der Tag markiert einen von vielen Tiefpunkten in den Beziehungen Europas zu Russland. In den Niederlanden ist gar von einem neuen Kalten Krieg die Rede. Aber immerhin: Es ist auch ein Moment der Ehrlichkeit, an dem die Politiker offiziell sagen: Es war Russland. Und zwischen den Zeilen: Russland manipuliert. Russland spielt uns aus. Russland wird immer gefährlicher. Bei vielen anderen Provokationen zuvor war das nicht der Fall.
Zwar bemüht sich die EU-Kommission um eine klare Linie gegenüber Russland und eine einheitliche Strategie– die EU-Mitgliedstaaten stehen Russland aber vollkommen gespalten gegenüber. Und in der gemeinsamen Außenpolitik der EU gilt das Einstimmigkeitsprinzip. In Russland-Fragen hat die Union darum kaum etwas zu melden.
Dass die EU nach außen nicht einheitlich auftritt, ermunterte Putin zu seinem Verhalten, ist sich Othmar Karas (EVP), Vorsitzender der Russland-Delegation im Europaparlament, sicher. Bei seiner Expansionspolitik hat Putin den Schwachpunkt Europas ausgenutzt.
Europas Staaten haben in der jüngeren Geschichte ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Russland gemacht. Die baltischen Staaten und Polen haben Angst vor dem Riesenreich vor ihrer Tür: In der russischen Exklave Kaliningrad, mitten in Europa, soll das größte Waffenarsenal der Welt stationiert sein. In einigen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts herrscht die Politik: Bloß weg von Russland.
Bei der Geschwindigkeit dieser Rakete könne sie nicht mehr von Abwehrsystemen abgefangen werden, erklärte der russische Vizeregierungschef Borissow.
Auch die Außen- und Verteidigungspolitik Finnlands ist von der Beziehung zu Moskau dominiert. Das Land, das eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, ist zwar kein Nato-Mitglied, hält sich jedoch offen, dem Bündnis – falls nötig – sofort beizutreten.
Andere EU-Staaten pflegen dagegen ein geradezu herzliches Verhältnis mit dem Kreml. Für einen Eklat sorgte der Besuch Putins auf der Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl im August 2018. Österreich, generell als russlandfreundlich geltend, hatte einen Monat zuvor die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft übernommen. Das ist mit einer hohen Gestaltungsmacht innerhalb der EU verbunden.
Österreich sieht sich selbst als neutrales Land – „als Brückenbauer zwischen Ost und West“. Kritiker sehen das anders: „Österreich ist für Putin eine Art Trojanisches Pferd innerhalb der EU“, sagte der österreichische Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott im Sommer.
Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ist ein Putin-Freund, ebenso gilt Griechenland als Fürsprecher Moskaus – nicht zuletzt aufgrund finanzieller Gefälligkeiten. Auch Bulgarien scheint die guten Beziehungen zu Russland über das Schicksal der Krim zu stellen.
Als „besonders“ gilt zudem das Verhältnis zwischen Rom und Moskau. Der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi verstand sich mit Putin blendend, auch Matteo Salvini, jetziger Vizepremier und Innenminister Italiens, soll sich in Moskauer Kreisen äußerst wohl fühlen. 2014 hatte der Lega-Politiker dem Kreml versprochen, sich für die Anerkennung einer russischen Krim einzusetzen.
Deutschland bemüht sich um einen Mittelweg: Einerseits herrscht die Meinung, dass Frieden und Stabilität nur mit Russland möglich sind und eine Politik gegen Russland Instabilität und Kriegsgefahr zur Folge hätte. Deswegen bemüht sich ein Großteil der Bundesregierung um gute Beziehungen. Dass Russland ein wichtiger Gas-Lieferant für Deutschland ist, dürfte daran einen Anteil haben. Andererseits begegnen die Berliner Außenpolitiker Putin aber auch mit Vorsicht und mit moralischen Argumenten, die als erhobener Zeigefinger wahrgenommen werden können.
Putin nutzt diese ambivalenten Beziehungen zu Russland, um die EU zu spalten. „Die Kompetenzlage in der Energie-, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist innerhalb der Europäischen Union zu stark fragmentiert – und das führt dann auch zu unterschiedlichen Vorgangsweisen zwischen Ost und West in der Beziehung zu Russland“, sagt Karas.
Deswegen fordert er: „Wir müssen bei allen Fragen, die die Autonomie der Außenpolitik Europas betreffen, das Einstimmigkeitsprinzip beseitigen, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern.“
In einer Frage zeigt sich die EU bislang halbwegs geschlossen: „Putin hat die Einigkeit bei der Antwort auf die Annexion der Krim überrascht“, sagt Karas. „Mit diesem Widerstand hat er nicht gerechnet.“ Ohne die Sanktionen aus Europa wäre Putin „meiner Meinung nach bis nach Odessa gegangen und noch weiter“, so Karas.
Russland hat die Krim 2014 annektiert – doch noch immer befinden sich Streitkräfte auf der Halbinsel. Das will der Kreml auch nicht ändern.
Die EU-Kommission versucht, darauf aufzubauen. Fünf Grundsätze für die Beziehungen hat die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini festgelegt. Erstens: Russland muss die Vereinbarungen des Minsker Abkommens im Ukraine-Konflikt erfüllen, damit es eine Änderung im EU-Standpunkt gegenüber Russland geben kann.
Zweitens: Die EU stärkt die Beziehungen zu östlichen Partnern, Nachbarländern und Zentralasien, um größeren geopolitischen Einfluss zu haben. Drittens: Die EU muss widerstandsfähiger werden, beispielsweise in den Bereichen Energieversorgung, hybride Bedrohung oder strategische Kommunikation.
Viertens: Zusammenarbeit mit Russland soll es nur bei ausgewählten Themen geben, die für die EU von Interesse sind. Und fünftens: Notwendige persönliche Kontakte zu Russland sollen gepflegt sowie die Zivilgesellschaft unterstützt werden.
Derzeit heißt das: Regelmäßige bilaterale Gipfeltreffen sind eingestellt, Gespräche über Visafragen und Abkommen liegen auf Eis, Russlands Aufnahme in internationale Organisationen wird boykottiert.
Dabei muss die EU ständig die Härte der Reaktionen anpassen, um Russland zu motivieren, sein Verhalten zu ändern, ohne Putin ganz zu verprellen. Denn neben den politischen Verflechtungen sind beide nach wie vor auch wirtschaftlich stark voneinander abhängig. Trotz der Sanktionen ist die EU Russlands wichtigster Handelspartner, Russland der viertwichtigste Handelspartner der EU.
„Wenn wir sanktionieren, dürfen wir trotzdem nicht aufhören, miteinander zu reden. Der Frieden in Europa hängt ganz eng zusammen mit der Dialogfähigkeit und dem Vertrauen zwischen Russland und der EU“, mahnt Karas.
Wie soll es im kommenden Jahr weitergehen zwischen der EU und Russland? „Die EU folgt weiterhin den fünf Leitprinzipien für ihre Beziehungen zu Russland“, sagt eine Sprecherin dem Handelsblatt. Mit anderen Worten: Weitermachen wie bisher. Ratlosigkeit, Misstrauen und Ambivalenz werden wohl auch 2019 die EU-Russland-Beziehungen prägen.
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