Der neue Finanzminister in London soll dafür sorgen, dass die wirtschaftsliberale Revolution von Liz Truss nicht in einer Schuldenfalle endet. Einen ersten Schritt geht er am Freitag.
London Die Ansage der Chefin kam diese Woche aus New York: Großbritanniens Premierministerin Liz Truss verkündete am Rande der UN-Vollversammlung nichts weniger als eine zweite „Thatcher-Revolution“.
Nach dem Lehrbuch der „Eisernen Lady“ will Truss Steuern senken, Regulierungen lockern und so das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Dass die Rechnung auch aufgeht, dafür soll der neue britische Finanzminister Kwasi Kwarteng sorgen, der am Freitag einen Nachtragshaushalt vorlegen wird.
Da die Premierministerin neben Steuersenkungen im Volumen von mehr als 30 Milliarden Pfund (34,5 Milliarden Euro) auch noch staatliche Energiehilfen für Verbraucher und Unternehmen in Höhe von weiteren 150 Milliarden Pfund angekündigt hat, steht der fast zwei Meter große Schatzkanzler gleich zu Beginn vor einem riesigen Schuldenberg.
Bereits jetzt ist die Staatsverschuldung in Großbritannien höher als die jährliche Wirtschaftsleistung. Das Institute for Fiscal Studies (IFS) warnt in einer neuen Studie, dass Kwartengs Pläne die Staatsfinanzen auf einen „nicht nachhaltigen Pfad“ führten.
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Dennoch will die konservative Regierung in London ihre haushaltspolitische Offensive zunächst auf Pump finanzieren. Truss und Kwarteng hoffen wie einst der frühere US-Präsident Ronald Reagan darauf, dass sich die riesige Finanzlücke durch zusätzliches Wirtschaftswachstum quasi von selbst wieder schließt.
Ein riskanter Plan, hat doch das eher linksliberale Institute for Public Policy Research (IPPR) gerade angezweifelt, dass niedrigere Unternehmensteuern automatisch zu mehr Investitionen und Wachstum führen. Zur Erinnerung: Auch Reagans Rechnung ging am Ende nicht auf, sondern führte zu Rekorddefiziten im Haushalt.
Und Kwarteng dürfte aus seiner Doktorarbeit über Wirtschaftsgesichte an der Eliteuniversität Cambridge genügend weitere Beispiele kennen, wo Regierungen über hohe Schuldenberge gestolpert sind. Um die nervösen Investoren im Ausland zu beruhigen, hat der Schatzkanzler zwar versprochen, dass er „fiskalisch verantwortlich“ vorgehen werde. Das Pfund steht gegenüber dem Dollar dennoch auf dem tiefsten Stand seit fast 40 Jahren.
Not schweißt zusammen. Da hilft es, dass Truss und Kwarteng nicht nur seit Jahren eng befreundet sind, ihre Büros am Regierungssitz in Downing Street direkt nebeneinander liegen und beide auch in der gleichen Straße im Londoner Stadtteil Greenwich wohnen.
Die beiden 47-Jährigen sind auch Geschwister im Geiste und haben zusammen mit marktliberalen Gesinnungsgenossen bereits 2012 mit der Streitschrift „Britannia unchained“ (Großbritannien entfesselt) ein radikales Kursbuch vorgelegt, in dem die Staatsaufgaben klein- und die Marktkräfte ganz großgeschrieben werden.
Kwarteng nennt das, „unverhohlen“ für mehr Wachstum eintreten. Wollen Truss und er mit ihren angebotspolitischen Reformen doch die langfristige Wachstumsrate der britischen Wirtschaft auf 2,5 Prozent nach oben hieven.
Das durchschnittliche Plus lag nach den Zahlen der staatlichen Statistikbehörde ONS in den vergangenen fünf Jahren bei unter einem Prozent. Ökonomen sind deshalb skeptisch, ob das klappen kann.
„Die angebotsseitigen Eingriffe, die wir brauchen, würden normalerweise mehrere Jahre brauchen, um Wirkung zu zeigen“, sagte Jagjit Chada, Direktor der Denkfabrik National Institute of Economic and Social Research (NIESR) in London, „es gibt keinen Zauberstab, mit dem dies während der Legislaturperiode dieses Parlaments geschehen könnte.“
Es sei daher besorgniserregend, dass der Schatzkanzler sich stattdessen dafür entscheide, das Wachstum durch Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben vorübergehend anzukurbeln, was letztendlich nur die Inflation anheizen werde.
Truss und Kwarteng bleiben jedoch auf ihrer Wachstumsmission. Der Finanzminister hat sein Team aufgefordert, sich „ganz auf das Wachstum“ zu konzentrieren. „Das bedeutet, dass wir die Steuern senken, das Geld wieder in die Taschen der Menschen stecken und unsere Unternehmen von belastenden Steuern und unangemessenen Vorschriften befreien müssen“, schreibt er.
Am Freitag will Kwarteng deshalb nicht nur die Beitragserhöhung für die staatliche Sozialversicherung (National Insurance) zurücknehmen, sondern auch die noch von seinem Vorgänger geplante Steigerung der Körperschaftsteuersätze von 19 auf 25 Prozent stornieren. Die Einkommensteuer soll ebenfalls bis zur nächsten Wahl 2024 sinken.
Dass die Steuererleichterungen vor allem den Besserverdienenden und Unternehmen zugutekommen, ficht weder ihn noch Premierministerin Truss an. Wenn man oben streiche, hätten alle etwas davon, so ihre Hoffnung. Streichen wollen beide dem Vernehmen nach deshalb auch den staatlichen Deckel für die Boni der Banker in der Londoner City.
Für Kwarteng ist die Berufung zum Finanzminister so etwas wie ein unverhofftes politisches Comeback. Der Sohn ghanaischer Einwanderer stand unter Ex-Premier Boris Johnson als Wirtschaftsminister bereits auf der Abschussliste.
Er ist der vierte Finanzminister in Folge, der aus dem Kreis einer ethnischen Minderheit kommt. Der Liebhaber lateinischer Gedichte ist wie Johnson auf die Eliteschule Eton gegangen und gilt als überaus intelligent. „Kwarteng ist vielleicht der intellektuell begabteste Schatzkanzler seit Gordon Brown. Auf jeden Fall ist er der seltsamste“, urteilt der „Economist“.
Dass er wie Truss bei aller marktradikalen Rhetorik notfalls bereit ist, die eigenen Prinzipien der Wirklichkeit anzupassen, hat Kwarteng bereits mehrfach bewiesen: Kritik an seinen staatlichen Subventionen als Wirtschaftsminister wies er mit dem Hinweis zurück, dass die wirtschaftliche Realität manchmal im Gegensatz zu dem stehe, „was man in den Lehrbüchern lernt“. Kwarteng nennt das „unerbittlichen Pragmatismus“. Davon wird er in seinem neuen Amt eine Menge brauchen.
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