Die Chefin der Tories wandelt auf den Spuren der „Eisernen Lady“. Als Nachfolgerin von Boris Johnson muss sie die größte Krise des britischen Königreichs seit 50 Jahren überwinden.
Neue Premierministerin
Liz Truss wird in Downing Street 10 einziehen.
Bild: AP
London Dem Schatten von Margaret Thatcher kann sie nicht mehr entrinnen. Dazu beigetragen, dass die nächste Premierministerin Großbritanniens immer wieder mit der „Eisernen Lady“ verglichen wird, hat Liz Truss aber auch selbst. Und zwar nicht nur, weil sie sich Ende 2012 in Thatcher-Pose in einem britischen Panzer ablichten ließ.
Nein, die Sache fing viel früher an: Als ihre Schulklasse 1983 die damaligen Parlamentswahlen nachspielte, ließ sich die achtjährige Truss als Margaret Thatcher aufstellen – und erhielt null Stimmen, wie die schottische Tageszeitung „The Scotsman“ berichtet.
Wenn Truss am Dienstag von der Queen zur Premierministerin ernannt wird und danach in ihren Amtssitz in 10 Downing Street einzieht, hat sie nicht nur die überwältigende Mehrzahl ihrer Parteimitglieder hinter sich, sondern sie verfügt auch im Unterhaus über eine starke Mehrheit von 71 Sitzen. Das Unterhaus hat insgesamt 650 Sitze.
Diesen Rückhalt wird die 47-jährige Nachfolgerin von Boris Johnson aber auch brauchen, will sie die zahlreichen Krisen des stark angeschlagenen Königreichs politisch überstehen. Truss tritt öffentlich oft ungelenk und spröde auf, ihre Sprache ist einfach und nicht geschliffen. Bei Bürgerversammlungen wich sie kniffligen Fragen nach ihrem Wirtschaftsprogramm oft aus.
Sie sagt selbst von sich, dass sie keine große Rednerin sei. Ihre Kritiker haben sie deshalb lange nicht ernst genommen. Dass sie es bis zur Premierministerin gebracht hat, zeigt jedoch, dass man die resolute Mutter zweier Kinder nicht unterschätzen sollte.
Margaret Thatcher (links) posiert in einem Kampfpanzer in ihrer Zeit als Premierministerin, Liz Truss (rechts) bei einem Manöver in Estland
Truss wird in der britischen Presse bereits mit der „Eisernen Lady“ verglichen. Quelle: dpa/picture alliance, ddp
Truss wurde 1975 in Oxford in ein eher linksliberales Elternhaus hineingeboren. Ihre Eltern, der Vater war Mathematikprofessor, die Mutter Krankenschwester, nahmen ihre Tochter häufig auf Märsche der Friedensbewegung gegen die nukleare Aufrüstung mit. Kein Wunder, dass sich Truss während ihres Studiums in Oxford zunächst den Liberaldemokraten anschloss, bevor sie dann zu den Tories überlief und für die Konservativen seit 2010 im Parlament und seit 2014 zuletzt als Außenministerin im Kabinett saß.
Das war nicht der einzige Richtungswechsel in Truss’ politischer Karriere. Beim Brexit-Referendum 2016 kämpfte sie für den Verbleib ihres Landes in der EU und warnte ihre Landsleute vor einer Tragödie, sollten sie für den Brexit stimmen. Danach änderte sie ihre Meinung aber und ist heute der Liebling der Parteirechten und harten Brexit-Anhänger.
Truss war es auch, die Ende Juni eine Gesetzesinitiative ins Parlament einbrachte, um das Nordirland-Protokoll des mit der EU vereinbarten Brexit-Vertrags auszuhebeln. Nach dem umstrittenen Passus bleibt die nordirische Provinz sehr zum Unmut der Brexit-Anhänger und Unionisten faktisch Teil des EU-Binnenmarkts. Viele erwarten, dass Truss als Premierministerin jetzt das Protokoll einseitig aufkündigt und damit einen Handelskrieg mit Brüssel vom Zaun bricht.
Der Dauerstreit mit Brüssel ist jedoch keineswegs das einzige Problem, das auf die neue Regierungschefin wartet, es ist noch nicht einmal das größte. Hier ein Überblick über die bevorstehenden Herausforderungen für Liz Truss:
Supermarkt in Großbritannien
Die hohen Energiepreise haben auch die Inflation zuletzt auf über zehn Prozent getrieben.
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Großbritannien steckt wirtschaftlich in der größten Krise seit 50 Jahren. Die Energiekosten haben sich innerhalb eines Jahres verdreifacht, sodass viele Verbraucher in die Energiearmut rutschen und sich weigern, ihre Rechnungen für Strom und Gas zu bezahlen. Das staatliche Gesundheitssystem NHS ist selbst chronisch krank. Es fehlen Geld, Ärzte und Krankenschwestern.
Das drängendste Problem sind jedoch die hohen Energiepreise, die auch die Inflation zuletzt auf über zehn Prozent getrieben haben. Ein erneuter Preisschub auf bis zu 22 Prozent ist nach einer Prognose der Investmentbank Goldman Sachs möglich.
>> Lesen Sie hier: Kampf gegen die Inflation – von Thatcher oder Reagan lernen
Truss hat sich bislang beharrlich geweigert, den notleidenden Briten mit direkten Finanzhilfen beizustehen. „Almosen“ lehnt sie ab und setzt stattdessen auf Steuersenkungen, die zunächst über Kredite finanziert werden sollen. Darüber hinaus hat sie versprochen, dass es unter ihrer Führung „keine neue Steuer“ geben soll.
Ob sie diese Linie durchhalten kann, könnte sich schon bis Ende September zeigen, wenn Truss einen Nothaushalt vorlegen will. Dieser ist die erste politische Reaktion auf die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten. Ihre Wirtschaftsberater hatten zuletzt die Idee einer Mehrwertsteuersenkung ins Spiel gebracht.
Bereits 2010 hat die in ökonomischen Fragen nicht immer sicher auftretende Politikerin in dem konservativen Sammelwerk „Britannia Unchained“ ihre Abneigung gegen staatliche Interventionen bekundet und wirtschaftsliberale Ideen ausgebreitet.
Ökonomen werfen Truss vor, mit ihren Steuerplänen ähnlich wie Johnson mehr zu versprechen, als sie am Ende halten kann. „Umfangreiche, nicht finanzierte und dauerhafte Steuersenkungen würden die Probleme nur noch verschärfen“, kritisiert etwa das Institute for Fiscal Studies (IFS) mit Blick auf die stark steigende Schuldenlast.
Großbritannien in der Krise
Streikende Arbeiter protestieren in London gegen die stark steigenden Lebenshaltungskosten.
Bild: Bloomberg
Um sich mit ihrer Wirtschaftspolitik als Premierministerin durchsetzen zu können, muss Truss allerdings noch drei wichtige Probleme überwinden: Der politisch weitgehend unabhängigen Bank of England hat sie bereits damit gedroht, das geldpolitische Mandat zu überprüfen und die noch aus Zeiten der EU-Mitgliedschaft stammenden Finanzregeln zu lockern.
Zugleich will sie 10 Downing Street zum Kontrollzentrum der Wirtschaftspolitik machen – was unweigerlich zum Konflikt mit dem mächtigen Finanzministerium führen dürfte. Wohl auch deshalb dürfte Truss mit Kwasi Kwarteng einen langjährigen Vertrauten zu ihrem Finanzminister machen.
Überhaupt verlässt sich die neue Regierungschefin auf einen kleinen, loyalen Kreis von engen Vertrauten. Dazu zählen neben Kwarteng die frühere Generalstaatsanwältin Suella Braverman, die Innenministerin werden könnte, und James Cleverly, der als Außenminister gehandelt wird. Bürochefin und damit rechte Hand der Premierministerin dürfte Truss’ langjährige Freundin Thérèse Coffey werden.
Die Rolle der grauen Eminenz im Hintergrund könnte der ehemalige Brexit-Verhandlungsführer David Frost spielen, der gerade in einem Essay den konservativen Kurs für die nächste Premierministerin abgesteckt hat. Frost knüpft dabei an die „Meilensteine“ an, die Thatcher vor ihrer Regierungsübernahme 1979 anvisierte.
>> Lesen Sie hier: Liz Truss – Mit schrägen Ideen in den „Winter des Missvergnügens“
Und er fordert einen radikalen Bruch mit dem politischen Establishment in Whitehall, wie ihn die Eiserne Lady damals vollzog. Truss, die angekündigt hat, mit „alten Orthodoxien“ aufzuräumen, hat die Rolle des Störenfrieds bereits voll verinnerlicht. „Eine neue Thatcher ist sie jedoch nicht“, sagt
Kwasi Kwarteng
Truss dürfte mit Kwasi Kwarteng einen langjährigen Vertrauten zu ihrem Finanzminister machen.
Bild: IMAGO/ZUMA Wire
Allzu sehr auf die Finger schauen lassen will sich Truss als Premierministerin nicht. Einen unabhängigen Ethikberater, der nach Johnsons Lügen und Eskapaden zurücktrat, will sie nicht wieder berufen. Sie wisse, dass sie eine „gute Person“ sei, das müsse reichen. Das verrät eine gewisse Selbstherrlichkeit, die schon ihrem Vorgänger das Amt kostete.
Die vielleicht wichtigste politische Schlacht für Truss ist der Kampf um die Seele der Konservativen Partei. Ihr unterlegener Rivale Rishi Sunak hat insbesondere ihre wirtschaftspolitischen Pläne derart zerpflückt, dass Truss sich auf eine innere Opposition der Sunak-Anhänger einstellen muss.
Völlig unklar ist zudem, ob und wie sie die widerstreitenden Interessen der Tory-Wähler im konservativen Süden mit denen aus den früheren Labour-Hochburgen im Norden unter einen Hut bringen will. „Im Moment lässt sie mit ihren Plänen beide Wählergruppen im Stich“, kritisiert Politstratege Campbell. Angesichts der Risiken gilt es deshalb als unwahrscheinlich, dass Truss versuchen wird, ihre Position durch eine kurzfristige anberaumte Parlamentswahl abzusichern.
Liz Truss muss kämpfen
Wandmalerei mit der neuen britischen Premierministerin und ihrem Kontrahenten Rishi Sunak in Belfast.
Bild: Reuters
Genauso wenig wird Truss in absehbarer Zeit einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zustimmen. Bereits vor ihrem Amtsantritt hat sie eine Volksabstimmung der Schotten abgelehnt und Nicola Sturgeon, die Führerin der schottischen Nationalisten, als „Selbstdarstellerin“ bezeichnet. Das schottische Problem zu ignorieren, wie sie selbst durchblicken ließ, könnte sich allerdings als gefährlicher Trugschluss erweisen.
Nordirland
Die Lösung des schwelenden Konflikts über die Handelsgrenzen in Nordirland wird der Härtetest für Truss’ außenpolitisches Geschick.
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Die Außenpolitik sollte für die bisherige Außenministerin Truss eigentlich ein Heimspiel sein. Zweifel daran gab es jedoch, als sie sich vor Kurzem nicht entscheiden konnte, ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nun ein „Freund oder Feind“ Großbritanniens sei.
Truss will gegenüber Russland und China den harten Abgrenzungskurs Johnsons fortsetzen und denkt daran, das Regime in Peking als Bedrohung der nationalen Sicherheit einzustufen. „Sie zeigt Härte gegenüber China, Russland und der EU und glaubt an eine globale Rolle Großbritanniens“, sagt David Lawrence von der außenpolitischen Denkfabrik Chatham House in London. Sie setzt dabei wie ihr Vorgänger auf die USA („special relationship“) als wichtigsten Verbündeten.
Mit ihrem manchmal hemdsärmeligen Auftreten hat sich Truss bei der Biden-Administration in Washington jedoch nicht nur Freunde gemacht. Hinzu kommt, dass sie mit ihrer harten Linie im Nordirland-Streit mit der EU den US-Präsidenten Joe Biden verärgert, der stets stolz auf seine irischen Wurzeln hinweist.
Nach einem wochenlagen Wahlkampf hat sich Truss gegen ihren Konkurrenten Rishi Sunak behauptet. Doch kann sie ihre Versprechen halten?
Die Lösung des schwelenden Konflikts über die Handelsgrenzen in Nordirland wird der Härtetest für Truss“ außenpolitisches Geschick. Mit ihrem Vorstoß, britischen Ministern zu erlauben, das Nordirland-Protokoll auszusetzen, hat sie den Streit mit Brüssel bereits angeheizt.
>> Lesen Sie hier: Liz Truss will offenbar das Nordirland-Protokoll aussetzen
Sollte sie von der Ausstiegsklausel des Artikels 16 Gebrauch machen und das Abkommen einseitig aufkündigen, hätte Großbritannien neben seinen hausgemachten Problemen auch noch einen Krach mit seinen wichtigsten Nachbarn am Hals. Hier wird sich also zeigen, ob Truss im neuen Amt über sich hinauswachsen kann oder, wie der Politstratege Campbell glaubt, „eine Gefangene und Brexit-Anhängerin“ bleibt.
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