Der beschleunigte wirtschaftliche Niedergang und eine massive Corona-Welle lähmen das Land. Irans neuer Präsident könnte die Lage noch verschlimmern.
Stromausfall in der Hauptstadt Teheran
Die Bevölkerung leidet unter immer wiederkehrenden Stromabschaltungen.
Bild: imago images/NurPhoto
Berlin Sie skandieren „Tod dem Diktator“, die Iraner, die zu Hunderten durch Teheran, Täbriz und die Städte der Ölprovinz Chusestan ziehen – obwohl die paramilitärischen Basij-Garden seit Tagen mit scharfer Munition gegen die Demonstranten vorgehen. Videos der Proteste verbreiten sich in Windeseile über Social-Media-Kanäle.
Die blanke Not treibt immer mehr Iraner auf die Straße, und sie lassen sich daran durch die Repressalien des Regimes nicht hindern. Sie leiden unter einem akuten Wassermangel, ausgelöst von der größten Dürre seit fünf Jahrzehnten. Sie leiden unter immer wiederkehrenden Stromabschaltungen – und sie leiden unter dem rasanten Anstieg der Inflation, der einhergeht mit einem massiven wirtschaftlichen Niedergang.
Besonders betroffen von den Verwerfungen sind die Arbeiter der wichtigsten Branche, der Ölindustrie. Sie vor allem verlangen mit Streiks mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Hinzu kommt die bereits fünfte Coronawelle.
Er habe „leider die erlauchte Hand des Religions- und Revolutionsführers nicht küssen dürfen“, hatte Irans neuer Präsident Ebrahim Raisi am Dienstag gesagt, als Ajatollah Ali Chamenei ihm in einer öffentlichen Zeremonie offiziell den Wahlsieg bestätigte. Am Donnerstag trat der 60-Jährige nun mit der Vereidigung vor dem Parlament sein Amt an und wird eine neue Regierung bilden.
Er hatte am 18. Juni 62 Prozent der Stimmen bekommen. Allerdings war aus Protest gegen den Ausschluss aller reformorientierten Kandidaten erstmals die Mehrheit der Wahlberechtigten nicht an die Urnen gegangen.
Ebrahim Raisi
Der radikale Hardliner trat am Donnerstag sein Amt als neuer Präsident des Iran an.
Bild: VIA REUTERS
Raisi kündigte an, gegen die „tyrannischen Sanktionen“ der USA vorgehen zu wollen. Verhandlungen mit dem Ziel, das von Donald Trump 2018 aufgekündigte Atomabkommen wieder in Kraft zu setzen, sind seit Raisis Wahlsieg ins Stocken geraten. Der bisherige Chef der iranischen Justiz gilt als radikaler Hardliner, der verantwortlich ist für Hunderte Hinrichtungen.
Vorrangig muss der neue Präsident jedoch die ausufernde Corona-Katastrophe unter Kontrolle bekommen. Der Oberste Führer Chamenei wies Raisi bereits zu „entschlossenem Handeln“ an. Zu prüfen sei ein zweiwöchiger totaler Lockdown in Persien, um die bereits laufende fünfte Coronawelle zu stoppen.
Im Iran sind inzwischen über vier Millionen mit dem Virus infiziert worden und gut 128.000 daran verstorben. Das Land mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl wie Deutschland verzeichnet inzwischen 40.000 neue Fälle täglich und zuletzt über 400 Toten am Tag.
Gleichzeitig verbot Chamenei Impfstoffimporte aus den USA und Großbritannien. Erste Dosen des Astra-Zeneca-Vakzins lieferte indes Japan. Ansonsten ist der Iran völlig auf russische und chinesische Corona-Vakzine angewiesen, da die lautstark verkündete Entwicklung eines eigenen Präparats bisher gescheitert ist. Nur elf Millionen Iraner haben bisher eine erste Impfung bekommen, 2,8 Millionen auch eine zweite.
Zur Gesundheitskrise kommt die Wirtschaftsmisere: Der Iran exportiert nur noch 600.000 Barrel Rohöl täglich statt 2,1 Millionen vor Verhängung der US-Sanktionen 2018. Und offiziell lag die Inflationsrate Ende Juli bei 44,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, Lebensmittel- und Getränkepreise waren nach den Berechnungen der Statistikbehörde SCI sogar um 57,4 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent.
Doch den Regierungszahlen glaubt im Iran, wo das Parlament jetzt auch alle bisher geduldeten Umgehungstechniken für die zehntausendfachen Internetsperren (VPN) untersagen will, kaum jemand. Das Vertrauen in die Politik ist auch wegen des Missmanagements der Wasserversorgung angesichts der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten auf einem neuen Tiefpunkt angekommen.
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