Gegen alle Widerstände setzt Italiens Premier strenge Corona-Maßnahmen durch, bringt Reformen auf den Weg und kurbelt das Wachstum an. Wie lange kann das gutgehen?
Italiens Premier Mario Draghi
Er hat noch viele Baustellen vor sich.
Bild: ROPI
Rom Das ganze Land wollten sie lahmlegen, Häfen blockieren, den öffentlichen Nahverkehr. Am Ende ist die Bilanz der „Green Pass“-Gegner ziemlich ernüchternd: Tag eins der 3G-Pflicht am Arbeitsplatz, die in Italien seit Freitag für 23 Millionen Arbeitnehmer und Beamte gilt, verlief fast störungsfrei. Es gab zwar Demonstrationen in den großen Städten. In Triest etwa versammelten sich 6000 Menschen vor dem Container-Hafen – doch der Betrieb ging einfach weiter.
Für Mario Draghi ist das ein Punktsieg. Der Großteil der Italiener steht hinter ihrem Ministerpräsidenten, der seit seinem Amtsantritt im Februar massiv aufs Impfen und auf Reformen setzt, um das Land aus der Krise zu führen.
Auch in seiner breiten Koalition von links bis rechts, die im Parlament auf 85 Prozent der Stimmen kommt, gab es stets kritische Stimmen. Aber Draghi ließ sich nicht beirren, blieb bei seiner harten Linie.
Der „Green Pass“ ist für den Premier ein „Instrument von Freiheit und Sicherheit“. Schon seit August braucht den Nachweis über Impfung, Genesung oder einen frischen Coronatest, wer in Innenräumen von Restaurants essen will, wer ins Kino oder Museum gehen möchte.
Seit September, zum Schul- und Semesterstart, ist das grüne Zertifikat für alle Beschäftigen im Bildungssektor verpflichtend, und es gilt etwa in allen Fernzügen. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist seitdem gesunken, liegt nun konstant unter 30. Gleichzeitig hat sich die Quote der Vollgeimpften über zwölf Jahre auf mehr als 81 Prozent erhöht.
Doch das reicht Draghi nicht. Der 74-Jährige will noch vor dem Winter die 90 Prozent erreichen. Deshalb die Ausweitung auf die gesamte Arbeitswelt, die in Europa ihresgleichen sucht: Wer keinen Nachweis erbringt, wird ohne Gehalt suspendiert.
Kritiker sehen in Draghis Kurs eine Impfpflicht durch die Hintertür. Coronatests kosten in Italien 15 Euro. Die Gewerkschaften hatten versucht, die Kosten auf die Unternehmen abzuwälzen – ohne Erfolg. Für Draghi wäre damit der Impfanreiz weggefallen.
Vor einer Woche zog ein Mob aus Impfgegnern und Radikalen, angeführt von der rechtsextremen Partei „Forza Nuova“, durch Rom und verwüstete den Sitz des Gewerkschaftsverbands CGIL. Draghi zeigte sich schockiert von der Gewalt, solidarisierte sich mit dem Verband. Dass sich eine Woche später Zehntausende Menschen aus dem ganzen Land versammelten, um gegen Faschismus zu demonstrieren, wird ihm gefallen haben.
Ohnehin blickt der Premier auf erfolgreiche Monate zurück: Er hat eine seit Jahren überfällige Reform des Justizsystems auf den Weg gebracht, die die Prozesse beschleunigen soll. Auch eine Reform, um die verkrustete Verwaltung zu modernisieren, ist verabschiedet. Die Unternehmen im Land zeigen sich optimistisch wie lange nicht mehr, die Industrieproduktion zieht an, die Zahl der Arbeitslosen geht zurück.
International hat Italien dank des ehemaligen EZB-Chefs an der Spitze Ansehen und Glaubwürdigkeit zurückerlangt. Dass Draghi auch Weltpolitik kann, zeigte der G20-Sondergipfel vergangene Woche: Auf seinen Wunsch hin trafen sich die Staats- und Regierungschefs, um die humanitäre Hilfe für Afghanistan abzustimmen.
In Italien sprechen sie schon vom neuen starken Duo an der EU-Spitze: „Dracron“. Fast demonstrativ speisten Draghi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im September in einem Marseiller Luxusrestaurant, um in den Geburtstag des Italieners zu feiern.
Etwas ungläubig schaut der Rest Europas derzeit auf Italien, das beim Wirtschaftswachstum den anderen großen Ländern davonrennt – bei gleichzeitig stabilen Inflationszahlen. Um mehr als sechs Prozent soll das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr wachsen, schon im nächsten Jahr wird Italien besser dastehen als noch vor der Pandemie.
Was dabei gern ausgeblendet wird: Das Land kommt aus einem tiefen Tal, selbst zehn Jahre nach der Finanzkrise ist die Wirtschaft noch nicht wieder auf dem damaligen Niveau. Und: Kein Land Europas hat so viele Schulden aufgetürmt.
Für Draghi gibt es noch viele Baustellen: Die Frauenerwerbstätigkeit ist mit 49 Prozent so niedrig wie in keinem anderen Industrieland, Familien werden zu wenig gefördert, Renten- und Steuersystem müssen dringend reformiert werden. Und Draghi muss sicherstellen, dass die 191 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds in vernünftige Zukunftsprojekte investiert werden – und nicht in der Bürokratie versickern oder gar in die Hände der Mafia gelangen.
Entscheidend ist dafür auch die politische Stabilität. Wird es Draghi gelingen, die Regierung bis zum Ende der Legislatur im Jahr 2023 zusammenzuhalten – oder gar darüber hinaus? Im Frühjahr 2022 wird ein neuer Präsident gewählt. Allen voran die rechten Parteien würden Draghi gern in das repräsentative Amt stupsen, um dann selbst durch vorgezogene Neuwahlen die Regierung zu übernehmen. Auch wenn der Erfolg des Landes derzeit in seinen Händen liegt: Draghi hat sich noch nicht zu seiner persönlichen Zukunft geäußert.
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