PremiumDie Menschen in Nordwest-Syrien hungern. Doch Russland sperrt sich im Rat der Vereinten Nationen gegen ein neues Mandat für Hilfslieferungen – um damit eigene Interessen durchzusetzen.
Hilfsgüter für Syrien
Noch ist unklar, ob weiter Lebensmittel in das durch den Krieg gebeutelte Land kommen.
Bild: dpa
Genf Noch rollt die Hilfe. Lastkraftwagen der Vereinten Nationen und humanitärer Organisationen überqueren die Grenze von der Türkei nach Nordwest-Syrien. Beladen mit Lebensmitteln, Medizin und anderen Gütern nutzen die Trucks den einzigen offenen Übergang, Bab al-Hawa.
Pro Monat schicken die UN Hunderte Lkw auf die Route der Hoffnung. Die Zielregion im Nordwesten Syriens, sie wird von Extremisten und Rebellen kontrolliert, ist Brennpunkt der Hungerkrise in dem Konfliktland: „Es ist ein moralisches Gebot, das Leid und die Verwundbarkeit von 4,1 Millionen Menschen in diesem Gebiet zu lindern“, fordert UN-Generalsekretär António Guterres. „Achtzig Prozent der Bedürftigen im Nordwesten Syriens sind Frauen und Kinder.“
Doch am 10. Juli läuft das Mandat des zerstrittenen UN-Sicherheitsrates für die Hilfskonvois zur Überquerung des Grenzübergangs aus – ein anderer Zugang zu den notleidenden Menschen existiert nicht. In dem Gezerre über eine erneute Autorisierung spielt die Vetomacht Russland eine unrühmliche Rolle. Die durch die westlichen Sanktionen auf den Ukraine-Überfall provozierte Nation sperrt sich nun gegen die Verlängerung des UN-Mandats.
Falls das mächtigste UN-Gremium sich nicht zusammenrauft, so warnt Generalsekretär Guterres, werde es jedoch verheerende Konsequenzen für die Menschen im nordwestlichen Syrien geben. Hilfsorganisationen befürchten, dass „Millionen Leben auf dem Spiel stehen“.
Um das zu verhindern, drängen die USA und andere westliche Ratsmitglieder, die Ampel für die Trucks um ein weiteres Jahr auf Grün zu stellen. Die Vetomacht Russland aber zögert im Sicherheitsrat eine schnelle Einigung hinaus – wie schon in den Jahren zuvor. Und jetzt verschärft der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Konfrontation im UN-Rat: „Seit Beginn des russischen Feldzuges gegen die Ukraine im Februar dieses Jahres scheint es kaum noch bilaterale Kontakte zwischen den USA und Russland zu der grenzüberschreitenden Hilfe zu geben“, erklärt der UN-Fachmann Richard Gowan von der Friedensinitiative Crisis Group. „Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind wegen der Ukraine zusammengebrochen.“
Müssen die darbenden Menschen im Nordwesten Syriens den Preis für die Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Osteuropa zahlen? Diplomaten und Fachleute jedenfalls rätseln, ob Russland seine Syrien-Blockade durchzieht. Experte Gowan erläutert: „Es scheint, dass Moskau seinen Diplomaten in New York noch keine endgültigen Anweisungen gegeben hat, ob sie ein Veto gegen die Fortsetzung der grenzüberschreitenden Hilfe einlegen sollen.“ Am Donnerstag könnte der UN-Rat darüber abstimmen.
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Gegen die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen führt Russland vor allem die Souveränität des verbündeten Staates Syrien ins Feld. Moskaus Botschafter bei den UN, Wassili Nebensja, nannte einst die Transporte „anachronistisch“. Syrien habe das Recht, seine Grenzen zu kontrollieren. Beamte des Präsidenten Baschar al-Assad müssten Hilfslieferungen überprüfen.
Die Konvois aber, die von der Türkei in den Nordwesten Syriens rollen, können nicht von Assads Leuten inspiziert werden. Der Grund: Bewaffnete Gruppen und Terroristen beherrschen noch immer die Region – Assad hat dort keine Macht.
Nach russischer Diktion verletzen die Konvois somit Syriens Hoheitsrechte. Stattdessen verlangt Russland, dass die humanitären Lieferungen über die Konfliktlinien innerhalb Syriens transportiert werden. Dann hätte Assad volle Kontrolle über den Verkehr. Russland und Syrien bilden eine Allianz: Nur dank russischer Waffenhilfe konnte Assad in dem Konflikt, der 2011 ausbrach, die Oberhand gewinnen.
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Zuerst hatte der Sicherheitsrat 2014 die Öffnung von vier Grenzübergängen für die Syrienhilfe erlaubt, Russland gab zähneknirschend nach. Doch seit Juli 2020 dürfen auf Moskaus Druck hin die Trucks nur noch den einen Checkpoint ansteuern. Der damalige deutsche Botschafter bei den UN, Christoph Heusgen, nannte die Politik des Kremls „erschütternd“.
Das Feilschen im Sicherheitsrat um die Syrien-Hilfe überlappt sich mit einer anderen schweren Krise: Russland schachert derzeit mit der Ukraine, der Türkei und den UN über sichere Korridore für Agrargüter durch das Schwarze Meer. Es geht vor allem um bis zu 25 Millionen Tonnen Getreide, die Russlands Militär in der Ukraine blockiert.
Die Kontrahenten könnten Zugeständnisse an einem Verhandlungstisch mit Konzessionen am anderen Verhandlungstisch verrechnen. Millionen hungernde Menschen warten auf einen Durchbruch.
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