Der Co-Vorsitzende der Bill & Melinda Gates Foundation über die globale Ernährungssicherheit, die Renaissance fossiler Energiequellen – und warum wir nicht alle Veganer werden müssen.
Der Philanthrop und Co-Microsoft-Gründer Bill Gates
Im Handelsblatt-Interview fordert Gates die Industriestaaten auf, Afrika zu unterstützen.
Bild: AP
New York Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind „gigantische Rückschläge“ im Kampf für globale Ernährungssicherheit und Gesundheit, urteilt der Microsoft-Gründer und Co-Chair der Bill & Melinda Gates Foundation, Bill Gates. Wegen ihrer Verantwortung für die Klimakrise seien die reichen Länder moralisch verpflichtet, den Staaten vor allem in Afrika zu helfen – auch wenn der Ukrainekrieg und die Pandemie die eigenen Staatshaushalte zunehmend belasten.
„Die reiche Welt hat dieses gigantische Problem geschaffen, das Afrikas landwirtschaftliche Produktivität heute schon mit höheren Temperaturen schadet“, sagte Gates dem Handelsblatt.
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Afrika könne seine Ernte verdoppeln, wenn die Weltgemeinschaft ausreichend in neue Samen investiert, die etwa gegen Dürre resistent sind. Dazu müsste man aber auch der Gentechnik offener gegenüberstehen, auch wenn einige Industriestaaten diese für ihre eigenen Agrarsysteme ablehnten. Gates fordert: „Weil die Menschheit das Klima ruiniert hat, gibt es keinen anderen Weg, um die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft zu verdoppeln.“
Zum Auftakt der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York veröffentlicht die Gates-Stiftung ihren jährlichen Goalkeeper's Report, der misst, inwieweit die nachhaltigen Entwicklungsziele erreicht wurden, die sich die Weltgemeinschaft 2015 gesetzt hat. Die Ziele reichen von Armutsbekämpfung über Gleichstellung von Frauen bis zu Ernährungssicherheit, Gesundheit und Bildung. Um die Ziele bis 2030 noch zu erreichen, müsste die Welt das Tempo der Verbesserung dem Bericht zufolge verfünffachen.
Herr Gates, der neue Goalkeeper’s Report zeichnet ein düsteres Bild. Warum?
Als sich die Weltgemeinschaft diese Ziele für 2030 gesetzt hat, hat niemand mit einer Pandemie gerechnet. Das ist ein gigantischer Rückschlag. Die Welt ist zum Beispiel bei den Impfraten heute wieder auf dem Stand von 2009. Außerdem hat niemand mit einem Krieg in der Ukraine gerechnet, der unermessliches Leid verursacht, aber natürlich auch die Budgets der Regierungen belastet.
Und dann haben wir die Wende des Konjunkturzyklus mit steigenden Zinsen. Von dem Klimawandel wussten wir zwar, aber leider sind die Auswirkungen, auch in den armen Ländern, größer als erwartet. Es gibt also erheblichen Gegenwind.
Und nun?
Der entscheidende Punkt ist, dass die Welt diese Ziele zwar verfehlt, dass es aber immer noch darum geht, Millionen von Menschenleben zu retten. Es ist sehr wichtig, unser Bestes zu geben, um wieder auf Kurs zu kommen. Wir sind auf lange Sicht immer noch optimistisch, weil wir die Fortschritte bis zur Pandemie hatten und eine starke Pipeline von Innovationen, die helfen werden, diese Ziele zu erreichen.
Wir sollten unser Bestes tun, um die Todesfälle durch HIV und Malaria zu reduzieren, um die Rate der Grundimmunisierung von Kindern wieder dorthin zu bekommen, wo wir vor der Pandemie waren.
Vor der Pandemie gab es einige der erstaunlichsten Errungenschaften der Menschheit: Die Zahl der Kinder, die vor dem fünften Lebensjahr sterben, konnte beispielsweise halbiert werden. Im Jahr 2000 waren es mehr als 10 Millionen und jetzt sind es weit unter fünf Millionen. Das Ziel, die Zahl bis 2030 noch einmal zu halbieren, wird wegen der Rückschläge nicht erreichbar sein. Aber wir werden dieses Ziel in den 2030er-Jahren erreichen.
Farmer in Kenia
Bill Gates will der afrikanischen Agrarwirtschaft mit Gentechnik helfen.
Bild: IMAGO/Xinhua
Ernährungssicherheit ist eins der Hauptthemen in Ihrem Report. Der weist darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine auch in Afrika eine Hungersnot auslöst, etwa weil 14 afrikanische Länder die Hälfte ihres Weizens aus Russland und der Ukraine bekommen. Wie können wir verhindern, dass so etwas wieder passiert?
Es gibt das Ziel, dass der afrikanische Kontinent ein Netto-Lebensmittelexporteur wird. Dafür muss Afrika seine Produktivität verdoppeln. Das mag nach einem erstaunlichen Ziel klingen. Aber tatsächlich haben europäische und US-amerikanische Landwirte eine viermal höhere Produktivität als afrikanische Landwirte. Wir müssen die Puzzleteile richtig zusammensetzen.
Dazu gehört weitaus besseres Saatgut – und das bedeutet, Saatgut als öffentliches Gut zu fördern. Zum Beispiel durch eine Finanzierung der internationalen Allianz für Agrar-Forschung, CGIAR, in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dazu gehören auch Kredite für Landwirte, um Dünger zu kaufen. Und die Bäuerinnen und Bauern brauchen mehr Zugang zu Informationen, denn gerade für den Umgang mit verbesserten Pflanzen benötigen sie oft eine maßgeschneiderte Beratung. Dafür können wir Mobiltelefone verwenden.
Wenn man diese Puzzleteile zusammenfügt, dann würde Afrika davon profitieren, wenn die Lebensmittelpreise steigen. Sie haben die niedrigsten Arbeitskosten, die niedrigsten Landkosten. Und die Tatsache, dass sie nicht ausreichend Nahrung anbauen konnten, muss geändert werden, indem diese landwirtschaftlichen Systeme repariert werden.
Afrikas Landwirtschaft leidet besonders unter dem Klimawandel.
Auch ohne den Klimawandel wäre es wichtig, dem afrikanischen Agrarsystem zu helfen. Die reiche Welt hat dieses gigantische Problem geschaffen, das Afrikas landwirtschaftliche Produktivität heute schon mit höheren Temperaturen schadet. Angesichts dieser Tatsache ist es moralisch erforderlich, dass wir, wenn wir es mit der Klimaanpassung überhaupt ernst meinen, afrikanischen Ländern helfen, ihre Agrarsysteme zu reparieren.
Denn hier geht es um Grundernährung und Vermeidung von Hungersnot: In der Sahelzone erleben die Menschen vor Ort diese unglaubliche Dürre, die klimabedingt ist. Deshalb ist die landwirtschaftliche Innovationsagenda überaus wichtig und die einzige Hoffnung. Und sie sollte trotz aller anderen Forderungen an die Staatshaushalte aufgrund des Klimas und des Krieges in der Ukraine finanziert werden.
Umweltverschmutzung
Die Klimakrise ist der Gates-Stiftung ein wichtiges Anliegen.
Bild: AP
Wer soll hier einspringen? Die einzelnen Regierungen, die Uno, private Stiftungen?
Die Uno hat nicht das notwendige Budget. Es gibt viele wunderbare UN-Organisationen wie die WHO und Unicef, aber das Geld, das an sie geht, stammt überwiegend aus den Beiträgen von Staaten. Japan hat eine enorme Aufstockung für den Global Fund angekündigt, der die Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose finanziert. Das große Geld liegt bei den Regierungen. Philanthropie kann eine Rolle spielen, aber sie kommt nicht an das Niveau der reichen Regierungen heran.
Wenn die wohlhabenden Länder ihre Gelder kürzen, können wir das nicht wettmachen. Das hieße, dass wir den Menschen in Afrika, die unsere Unterstützung verdienen, nicht helfen können.
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In Ihrem Bericht erwähnen Sie „magisches Saatgut“: Dürre-resistenten Mais, der die Ernte um zwei Drittel steigert, und schnell reifenden Reis, der die Ernte vor den immer früheren Dürrephasen ermöglicht. Ist dieses modifizierte Saatgut die Zukunft?
Unbedingt. Wenn Sie bei dem Temperaturanstieg in Äquatornähe anbauen wollen, benötigen Sie dieses Saatgut. Einige dieser Samen brauchen für ihre Entwicklung keine fortgeschrittene Wissenschaft. Bei vielen von ihnen kommt eine einfache Technik namens Gene Editing zum Einsatz und bei anderen eine noch flexiblere Technik, nämlich Gentechnik oder GMO.
Die afrikanischen Länder werden – und sie haben dabei große Fortschritte gemacht – ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten ausbauen, um über das Sicherheitsprotokoll für dieses Saatgut zu entscheiden. Genauso wie sie sich Impfstoffe und andere Dinge ansehen. Einige reiche Länder wollen diese Samen nicht verwenden. Sie sind darauf auch nicht angewiesen. Aber die Frage ist: Hilft man Afrika dabei, massenhafte Unterernährung und Hunger zu vermeiden, die zu 100 Prozent von den reichen Ländern verursacht werden, nämlich durch den Klimawandel?
Was sagen Sie den Kritikern von genetisch verändertem Saatgut?
Die Durchbrüche in der Medizin erzielen wir durch die Magie der Genetik. Der mRNA-Impfstoff verändert Ihre menschlichen Gene nicht, aber er verwendet Techniken zur Genveränderung, um das Produkt selbst herzustellen. Die Menschen wissen, dass mRNA-Impfstoffe ein Wunder sind, das Zigmillionen Leben gerettet hat. Wir mussten natürlich umfassende Sicherheitsstudien dazu durchführen. Und glücklicherweise hat sich der Impfstoff als besonders sicher herausgestellt. Nicht perfekt, aber insgesamt sehr sicher.
Weil die Menschheit das Klima ruiniert hat, gibt es keinen anderen Weg, um die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft zu verdoppeln. In der Vergangenheit wurde einfach gekreuzt und so auf zufällige Art und Weise mehrere Kombinationen ausprobiert. Aber man verstand nicht wirklich, was in den Samen vor sich ging. Jetzt gibt es die Möglichkeit, die Gene anzusehen, weil die Investitionen im Gesundheitsbereich eine sehr günstige Gensequenzierung ermöglicht haben. Aufgrund der Sequenzierung und Berechnung und auch dank Künstlicher Intelligenz erlaubt es der Prozess, viel schnellere Ergebnisse zu erreichen als vorher. Das ist angesichts des rasanten Klimawandels enorm wichtig.
Wer entscheidet, ob genmodifizierte Pflanzen genutzt werden?
Die einzelnen Länder werden entscheiden, was ihre Politik bei diesen Fragen ist. Aber ich denke, sie sind sehr darauf bedacht, Unterernährung und Hunger zu vermeiden, wenn es sicheres und hochproduktives Saatgut gibt, das ihnen dabei hilft, dies zu erreichen.
Sie haben persönlich in Unternehmen investiert, die veganes Fleisch oder auch Laborfleisch herstellen. Glauben Sie, dass wir alle Vegetarier oder Veganer werden müssen, um die Weltbevölkerung zu ernähren und das Klima zu retten?
Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Ich habe geholfen, einige Unternehmen für künstliches Fleisch zu finanzieren, darunter Beyond Meat und Impossible Foods. Und wenn die ihr Produkt schmackhafter und günstiger machen können, ist das eine Möglichkeit, die Methan-Emissionen zu reduzieren, die in der Viehhaltung entstehen. Bisher sind sie aber ein ziemlich kleiner Teil des Marktes.
Ich weiß nicht, ob das der beste Weg ist, die Methan-Emissionen zu senken. Es gibt viele Möglichkeiten, die weiter erforscht werden müssen. Von jedem zu verlangen, Vegetarier zu werden, halte ich nicht für realistisch. Wenn das jemand tut, ist das aber großartig.
Wird diese Zeit des Ukrainekriegs, der Energieknappheit als Rückkehr zu alten Energiequellen in die Geschichte eingehen? Oder glauben Sie, dass sie eine echte Energiewende beschleunigen wird?
Wahrscheinlich beides. Der Wechsel zu emissionsfreien Quellen braucht Zeit. Sehen Sie sich die langsamen Genehmigungen an: Wie schnell werden Windanlagen in Deutschland, Großbritannien, den USA gebaut? Wegen all dieser Hindernisse fällt die Welt hinter das zurück, wozu wir uns eigentlich verpflichtet haben. Deshalb müssen wir die Anstrengungen verdoppeln, um diese Barrieren zu beseitigen und eine saubere Stromerzeugung zu erreichen. Aber selbst bei Hochgeschwindigkeit braucht man für den Übergang drei bis vier Jahre.
Und weil alle wollen, dass die Menschen heizen können und keine Industriearbeitsplätze verloren gehen, ist die Idee, einige Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, eine pragmatische Antwort auf eine unglaubliche Krise. Es ist ein kurzfristiger Rückschlag in der Klimaagenda, aber die Idee, dass man die Menschen wegen des Klimas frieren lässt, ist nicht angemessen. Wir müssen mittelfristig die Erzeugung von erneuerbarer Energie verfolgen und dabei so pragmatisch sein, wie wir es kurzfristig sein müssen.
Das Gebäude der Bill & Melinda Gates Foundation in Seattle
Bill Gates plant sein Vermögen vollständig in die Stiftung zu investieren.
Bild: imago images/ZUMA Wire
Im Juli haben Sie angekündigt, Ihrer Stiftung weitere 20 Milliarden Dollar zu spenden. Ist das ein Zeichen dafür, dass Sie einfach zu viel Geld haben, oder ist die Lage so schlimm, dass Sie diese zusätzlichen Mittel für Ihre Stiftung und Ihre Arbeit tatsächlich brauchen?
Wir verlangen, dass die Fördergelder der Stiftung eine sehr hohe Wirkung erzielen. Es ist mir wichtig, dass wir wirklich verstehen, wie man zum Beispiel bessere Impfstoffe herstellt oder besseres Saatgut. Die Expertise und die Kapazität der Partner der Stiftung sind im Laufe der Jahre gestiegen. Daher haben wir in den kommenden Jahren die Chance, unsere Ausgaben deutlich zu erhöhen und damit viel zu erreichen. Und das ist spannend. Das Geld ist nicht nur von mir, sondern auch von Warren Buffett.
Ich selbst habe sicherlich zu viel Geld, und ich habe kein Interesse, es für mich persönlich auszugeben. Deshalb wird praktisch mein gesamtes Geld in die Stiftung fließen. Es ist nur eine Frage des Zeitpunkts.
Was sagen Sie den Anhängern von Verschwörungstheorien? Wie leben Sie damit, dass Menschen Sie als Verkörperung des Bösen ansehen und Ihnen vorwerfen, von der Pandemie und vielem anderen profitiert zu haben?
Wissen Sie, es hat eine gewisse Ironie, an der Entwicklung von Impfstoffen beteiligt zu sein, um Millionen von Leben zu retten – und die Beteiligung der Stiftung daran war die fantastischste Sache, die wir je getan haben – und das dann von diesen verrückten Theorien komplett ins Gegenteil verdreht wurde. Aber das hält uns nicht davon ab, unsere Arbeit mit voller Kraft voranzutreiben.
Ich treffe Leute, die sagen: Warum machst du dieses böse Zeug? Hoffentlich beruhigt sich das. Hoffentlich war das ein Phänomen vom Höhepunkt der Pandemie. Und hoffentlich finden wir heraus, wie man die Wahrheit so spannend machen kann wie die große Lüge. Da gibt es einiges zu tun. Aber wissen Sie, es ändert zumindest bisher nicht, wie ich mich verhalte und was ich tue. Und deshalb muss man es manchmal einfach mit Humor nehmen.
Herr Gates, vielen Dank für das Interview.
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Kommentare (5)
Account gelöscht!
13.09.2022, 12:19 Uhr
Unter einem Teil der Sahara findet man Wald, den bräuchte man mit Hilfe der Anrainerbevölkerung nur ausbuddeln und pflegen. Kostet fast nichts im Vergleich zu dem, was die überreichen "Philantropen" den westlichen Normalbürgern wieder als Spende abzocken wollen.
Das wäre fürs Weltklima möglicherweise die Rettung. Zumindest würde es den Anlieger-Bauern eine Existenz ermöglichen unabhängig von Transferzahlungen. Allerdings hätte es den Nachteil, dass ausländische Nahrungsmittelkonzerne nichts mehr dort verdienen würden.