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03.11.2022

20:00

Interview

„Die USA eröffnen faktisch ein Subventions-Rennen“ – EU-Kommissar wettert gegen Washington

Von: Moritz Koch

PremiumBinnenmarktkommissar Thierry Breton wirft Amerika vor, den Wettbewerb zu verzerren. Gerade die Autobranche sei betroffen. Ein runder Tisch soll Lösungen finden.

Der EU-Kommissar Thierry Breton fordert, die Anstrengungen zu erhöhen, Investitionen in grüne Technologien in Europa anzuziehen. imago images / IP3press

Thierry Breton

Der EU-Kommissar Thierry Breton fordert, die Anstrengungen zu erhöhen, Investitionen in grüne Technologien in Europa anzuziehen.

Herr Breton, stellt das Milliarden-Investitionsprogramm der US-Regierung für eine klimaneutrale Wirtschaft (IRA) einen Angriff auf den Wirtschaftsstandort Europa dar?
Ja, es ist wirklich bedauerlich, dass unsere sogenannten gleichgesinnten Partner zu solchen Mitteln greifen. Der IRA beinhaltet massive Investitionsanreize für grüne Wirtschaftssektoren, die USA eröffnen faktisch ein Subventionsrennen und diskriminieren womöglich europäische Anbieter. Das Ergebnis könnte sein, dass Unternehmen bedeutende Teile ihrer Lieferketten nach Amerika verlegen.

Um welche Sektoren sorgen Sie sich?
Es geht um die Batteriefertigung, die Autoindustrie, aber auch Wind- und Solarkraft. Die Subventionen der Amerikaner sorgen für eine Wettbewerbsverzerrung.

Eine Taskforce zwischen Kommission und US-Regierung soll den Konflikt entschärfen. Behält sich die EU dennoch eine Klage vor der Welthandelsorganisation WTO vor?
Mein Kommissionskollege Valdis Dombrovskis schaut sich das sehr genau an. Ich unterstütze es ausdrücklich, das Problem im Rahmen der WTO anzugehen.

Verfügt die Europäische Union über die nötigen Instrumente, um in einer Welt zu bestehen, in der Staaten immer stärker in die Wirtschaft eingreifen?
Wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen, Investitionen in grüne Technologien in Europa anzuziehen. Vieles haben wir auch schon angestoßen. Die Europäische Investitionsbank unterstützt die Elektrifizierung mit 1,6 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren. Im Corona-Wiederaufbaufonds sind 19 Milliarden Euro für den Wandel des Automobil- und Mobilitätssektors.

Zudem haben wir zwei Förderprogramme, sogenannte IPCEIs, für Batterien, bei denen sechs Milliarden Euro an staatlichen Beihilfen und 14 Milliarden Euro an privaten Investitionen zusammenkommen. Das zeigt: Wir haben unsere Werkzeuge.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlägt schon einen Buy European Act als Antwort auf die Initiative der Amerikaner vor. Ist das der richtige Weg?
Wir brauchen eine Made-in-Europe-Strategie für den Automobilsektor, so, wie es auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefordert hat. Nehmen wir die Batterieherstellung. Unser Regulierungsvorschlag sieht hohe Klima-, Umwelt- und Sozialstandards vor.

Vita Thierry Breton

Der Politiker

Der Franzose ist seit Ende 2019 EU-Binnenmarktkommissar. Von 2005 bis 2007 war er als Parteiloser französischer Finanzminister.

Der Unternehmer

1993 kam Breton zum französischen IT-Unternehmen Bull, wo zunächst Leiter für Strategie und Entwicklung und später Vizepräsident und CEO war. Anschließend ging er als CEO zu Thomson Multimedia und 2002 in gleicher Position zu France Telecom. Zwischen 2008 und 2019 war er CEO des IT-Dienstleisters Atos.

Der Professor

Von 2007 bis 2008 hatte der heute 67-Jährige eine Professur an der Harvard Business School inne. Dort unterrichtete er Leadership und Corporate Accountability.

Ich werde da als Hüter des Binnenmarkts sehr streng sein. Es wäre extrem unfair, Unternehmen von außerhalb der EU den Verkauf von billigen Batterien zu erlauben, die unsere Regeln nicht erfüllen. Wir heißen alle in Europa willkommen – aber zu unseren Bedingungen. Letztlich nehmen wir diese gewaltige Transformation ja auf uns, um unsere globalen Klimaverpflichtungen zu erfüllen.

Einige Ökonomen fürchten indes die Deindustrialisierung Europas. Als besonders gefährdet gilt die Autobranche. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir stehen vor einer gewaltigen industriellen Transformation, vielleicht die größte der Geschichte. Ich werde daher einen runden Tisch einrichten, der alle zusammenbringt: die großen Autohersteller, den Mittelstand, Verbraucherorganisationen, Batterieproduzenten und Stromanbieter. Darin werden wir spezifische Erfolgsmarken festlegen. Etwa für die Abdeckung mit Ladestationen für E-Autos, die Vergrößerung des Stromangebots und die Rohstoffversorgung.

Alle drei Monate wird es ein Treffen geben. 2026 wird dann Zwischenbilanz gezogen, ob wir weiter auf gutem Weg sind, das Ziel zu erreichen, von 2035 an nur noch emissionsfreie Autos in Europa zuzulassen.

Die grüne Transformation verlangt nach Mineralien, die Europa importieren muss und die weltweit knapp sind. Gerät die EU in ähnliche Abhängigkeiten wie bei fossilen Brennstoffen?
Das müssen wir unbedingt verhindern. Wir werden künftig 15-mal mehr Lithium brauchen, viermal mehr Kobalt und Grafit, dreimal mehr Nickel. Ich habe daher den Raw Materials Act vorgeschlagen, der die heimische Produktion, Verarbeitung und das Recycling stärken soll.

Herr Breton, vielen Dank für das Interview.

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