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06.09.2014

15:57

Jens Stoltenberg

Vom Steinewerfer zum Nato-Chef

Von: Helmut Steuer

Der Norweger Jens Stoltenberg tritt an die Spitze des westlichen Verteidigungsbündnisses. Als Student protestierte er noch gegen den Vietnam-Krieg. Heute ist seine ausgleichende Art gefragt.

DPA

Stockholm Vielleicht wird man es nie erfahren: Wie hat sich wohl Jens Stoltenberg in den vergangenen Wochen gefühlt, wenn er den scheidenden Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen sah und hörte? Der dänische Hardliner Rasmussen hat sich in der Ukraine-Krise nur wenige neue Freunde geschaffen. Der Mann mit dem kantigen Gesicht holte immer wieder zu Verbal-Attacken gegen Moskau aus, was einige der Bündnis-Partner zumindest für diplomatisch ungeschickt hielten.
Wer den ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten Stoltenberg einmal getroffen hat, weiß, dass er dagegen ein Mann der leisen Töne und überlegten Worte ist. Jetzt soll Stoltenberg in einer der wohl schwersten Herausforderungen, vor denen das nordatlantische Verteidigungsbündnis steht, neuer Nato-Chef werden. Am 30. September ist es soweit. Dann tritt der 55-Jährige die Nachfolge von Rasmussen an.

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Ab Donnerstag tagt die Nato in Wales über ihr weiteres Vorgehen gegenüber Russland. Für Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wird es wohl der letzte Gipfel sein. Seine Haltung in der Ukraine-Krise ist umstritten.

Hinter vorgehaltener Hand sagen Diplomaten, dass er ohne die Ukraine-Krise wohl nie in die engere Wahl gekommen wäre. Doch als im Frühjahr die Situation auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim eskalierte und gleichzeitig ein neuer Nato-Generalsekretär gesucht wurde, fiel der Blick schnell erneut gen Norden. Seine Ernennung hat der Sozialdemokrat den großen Nato-Ländern USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland zu verdanken. Sie alle haben sich für den ehemaligen norwegischen Regierungschef stark gemacht, weil sie jemanden suchten, der ausgleichend wirkt, vermitteln kann.

Fragen und Antworten zu Sanktionen gegen Russland

Auf welche Sanktionen müssen sich Unternehmen einstellen?

Die EU diskutiert bislang über eine mögliche Einschränkung für Rüstungsausfuhren sowie für Exporte von Hochtechnologie für den Energiebereich. Offen ist, was damit genau gemeint ist. Außerdem sollen Möglichkeiten geprüft werden, den Zugang Russlands zu den EU-Finanzmärkten zu erschweren.

Was wären die Folgen?

Eingriffe in die Finanzierung würden die russische Wirtschaft querbeet treffen. „Die Abhängigkeit Russlands von externen ausländischen Finanzierungen hat in den letzten Jahres stark zugenommen“, schreiben die Volkswirte der Hypovereinsbank (HVB). Sollte die EU dem Beispiel der USA mit einem Verbot für die Finanzierung erster russischer Unternehmen folgen, werde dies zwangsläufig sehr schnell wirken - denn bislang hätten russische Firmen Finanzierungen in Dollar zumindest teilweise durch Finanzierungen in Euro ersetzen können.

Und wie sieht es mit Handelsbeschränkungen aus?

Von Handelsverboten beispielsweise bei Rüstung und Maschinen wären natürlich die Hersteller selbst betroffen. Schon jetzt berichten Maschinenbauer über Einbrüche, obwohl es noch gar keine konkreten Schritte gibt. „Die Russen würden uns die Maschinen ja gern abnehmen, aber es ist nicht sicher, ob sie zum Zeitpunkt der Fertigstellung überhaupt noch nach Russland ausgeführt werden können“, sagt der Präsident Branchenverbandes VDMA, Reinhold Festge. Einzelne Firmen berichten, russische Kunden sähen sich schon jetzt nach Alternativen zum Beispiel in Asien um. Die mittelständische Wirtschaft fürchtet, dass ein Embargo bei uns vor allem auf Klein- und Mittelbetriebe in den Branchen Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektronische Erzeugnisse, Pharma und Nahrungsmittel zurückschlagen würde.

Wie wichtig ist denn Russland insgesamt als Kunde?

Russland hat zuletzt (2013) Waren für rund 36 Milliarden Euro in Deutschland gekauft. Das entspricht rund 3 Prozent aller Exporte. Damit steht das Land aber nur auf Platz 11 der wichtigsten Kunden, hinter Handelspartnern wie zum Beispiel Belgien, Polen, der Schweiz oder Österreich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes führen aber lediglich 10 Prozent aller Exporteure Waren nach Russland aus. „Für etwa 73 Prozent dieser Unternehmen machen die Exporte nach Russland maximal ein Viertel ihrer gesamten Exporte aus.“ Einzelne Firmen oder Branchen könnten also deutlich heftiger getroffen werden als die Gesamtwirtschaft.

Dann droht also kein handfester Konjunktureinbruch?

Eher nicht. Sollte die ohnehin aktuell schwächelnde russische Wirtschaft weiter einbrechen, hätte das zwar auch negative Konsequenzen für Deutschland. Wegen des begrenzten Anteils der Exporte nach Russland wäre das für die deutsche Wirtschaft aber „wohl verschmerzbar“, meinen die HVB-Ökonomen.

Wie könnte Russland auf ein Embargo reagieren?

Auch das ist völlig unklar. Allerdings hätte Moskau genügend Mittel für einen Gegenschlag: Binnen eines Jahrzehnts hat es das Riesenreich von Platz 16 auf Platz 8 der weltweit größten Volkswirtschaften geschafft. Ein Großteil der Wirtschaftsmacht des „Rohstoffgiganten Russland“ beruht auf Erdöl, Erdgas, Kohle sowie Metallen wie Nickel, Aluminium. Und genau hier könnte das Drohpotenzial liegen - theoretisch zumindest: „Nach rationalen Erwägungen würden sich die Russen stärker selbst schaden, wenn sie uns den Gashahn beginnen abzudrehen, weil sie ... von den Einnahmen daraus abhängig sind“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, am Donnerstag im Südwestrundfunk.

Außerdem war ein Kandidat gefragt, der über gute Kontakte nach Moskau verfügt, der nach der Annexion der Halbinsel am Schwarzen Meer durch Russland geschult im Umgang mit dem Kreml ist. Die Wahl fiel schnell auf Stoltenberg: Er hatte während seiner zehnjährigen Amtszeit als Regierungschef immer wieder direkte Kontakte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bei den oft nicht ganz einfachen Diskussionen hat er sich als Pragmatiker erwiesen, als jemand, der auf Eitelkeiten verzichtet und nationale Empfindlichkeiten hinten anstellt.

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