Trudeau kann in Kanada erneut die Regierung bilden. Doch die angestrebte absolute Mehrheit hat er nicht erreicht – was zu kritischen Fragen führen dürfte.
Justin Trudeau
Die Partei des liberalen Premierministers hat die vorgezogene Wahl gewonnen.
Bild: dpa
Ottawa, Toronto Natürlich trat Justin Trudeau am Wahlabend zusammen mit seiner Frau Sophie Grégoire Trudeau und den beiden älteren Kindern Xavier und Ella-Grace lächelnd und winkend vor seine liberalen Parteifreunde und -freundinnen. „Meine Freunde, ihr schickt uns zurück an die Arbeit mit einem klaren Mandat, Kanada durch diese Pandemie und in hellere Tage zu führen!“, rief er aus. „Und wir sind bereit, genau das zu tun.“ Man sah Trudeaus bekanntes Lächeln.
Doch nur er selbst wird sagen können, ob ihm tatsächlich so zum Lächeln zumute war. Der jetzt 49 Jahre alte Trudeau, Sohn des früheren Premierministers Pierre Trudeau, hat es gerade noch einmal geschafft.
Er war angetreten, für seine liberale Partei die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament zu gewinnen. So wie 2015, als er die Liberalen nach fast zehnjähriger Oppositionszeit an die Regierung führte, ausgestattet mit einer komfortablen absoluten Mehrheit von 184 der 338 Sitze im Parlament. Und seine Partei hatte fast 40 Prozent der Stimmen errungen.
Aber 2021 ist es anders. Da gab es keinen Jubel für Trudeau. Er hatte schon 2019 gegen den konservativen Parteivorsitzenden Andrew Scheer nur knapp die Regierungsmacht behaupten können, nun folgte das Gleiche in der Konfrontation mit Erin O’Toole. Doch Justin Trudeau und seine Liberale Partei bilden weiter die Regierung Kanadas, die vorgezogenen Neuwahlen bestätigten die Liberalen als Regierungspartei. Sie errangen nach den am Dienstag vorliegenden Ergebnissen 158 Sitze, sind damit die größte Fraktion und haben so das Recht, die Regierung zu bilden.
Aber Trudeau verfehlte dennoch das vorrangige Ziel, die absolute Mehrheit der Sitze zu erreichen. Er kann somit erneut nur eine Minderheitsregierung bilden. Die Konservativen liegen beim Stimmenanteil vor den Liberalen, haben aber weniger Sitze als diese. Und der erneute Urnengang bestätigte fast exakt das Ergebnis der Wahl vom Oktober 2019. In einigen Wahlkreisen muss wegen des knappen Wahlausgangs nachgezählt werden, auch fehlen noch einige Hunderttausend Briefwahlstimmen, sodass sich am Ende geringfügige Änderungen ergeben könnten.
Der liberale Premierminister war heftig dafür kritisiert worden, dass er inmitten der vierten Covid-Welle eine Parlamentswahl ansetzte. Von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung wurde die Wahl, die nur zwei Jahre nach der letzten Bundeswahl stattgefunden hat, als unnötig und überflüssig angesehen. Aber der Premierminister sah aufgrund seiner überwiegend erfolgreichen Politik im Kampf gegen die Corona-Pandemie im Frühsommer in Umfragen sehr gut aus. Es gab für ihn allerdings keinen akuten Anlass, Neuwahlen auszurufen, weil alle wichtigen Gesetze der Regierung das Parlament mithilfe der Opposition passiert hatten.
Am Tag, als Trudeau das Parlament auflösen und die Wahl ausrufen ließ, fiel Kabul an die Taliban. Und in Kanada nahm die Zahl der Corona-Infektionen wieder zu. Trudeau wurde im Wahlkampf immer wieder mit dem Ärger vieler Wählerinnen und Wähler über die in ihren Augen überflüssige, etwa 600 Millionen Can-Dollar (400 Millionen Euro) teure Wahl konfrontiert, die in einer kritischen Zeit die Arbeit der Regierung lähme, so die Kritik.
„Die kanadische Bevölkerung fühlt weiter den Einfluss der Pandemie auf ihr Leben. Sie will, dass ihre Regierung regiert. Die Misstöne einer Wahlkampagne waren für sie eine tägliche Erinnerung, dass die Liberalen kein Gespür für ihre Realität haben“, urteilt harsch Peter Donolo, früherer Sprecher des ehemaligen liberalen Regierungschefs Jean Chrétien, in der Tageszeitung „Globe and Mail“.
Dass Trudeau das eigentliche Ziel der Wahl, eine absolute Mehrheit, verfehlte, wird nach Einschätzung politischer Beobachterinnen und Beobachter zu kritischen Fragen an Trudeau aus seiner eigenen Partei führen. Selbst seine Führungsrolle könnte infrage gestellt werden, obwohl sich bislang niemand als potenzielle Nachfolgerin oder potenzieller Nachfolger positioniert hat.
Erin O'Toole
Oppositionschef O'Toole hat eine Impfung als persönliche Entscheidung bezeichnet und sich ansonsten als gemäßigter Konservativer präsentiert.
Bild: Reuters
Genannt wird bei Spekulationen über eine Trudeau-Nachfolge allerdings Finanzministerin Chrystia Freeland sowie – als Außenseiter, der weder im Parlament sitzt noch in der Partei eine Funktion hat – der frühere Gouverneur der kanadischen und später der englischen Notenbank, Mark Carney.
David Herle war in den Jahren der Amtszeit von Paul Martin vor 15 bis 20 Jahren ein liberaler Stratege, der heute als Analyst das politische Geschehen in Kanada verfolgt. Trudeau müsse sehr intensiv über die Botschaft nachdenken, die ihm die kanadische Bevölkerung mit dieser Wahl gesendet habe, meint Herle. „Er muss darüber nachdenken, wie weit dieses Ergebnis auf ihn zurückzuführen ist. Für diese Regierung wird es keine Flitterwochen geben.“ Und eine Begeisterungswelle für Trudeau, dessen Image als „cooler“ Premierminister schon lange verblasst ist, ebenfalls nicht.
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