In der neuen Regierung bekleiden fromme Fanatiker zentrale Positionen. Israels Wirtschaft rechnet mit dem Schlimmsten.
Proteste vor dem israelischen Parlament
Während in der Knesset das neue Kabinett vereidigt wurde, demonstrierten draußen zahlreiche Israelis gegen die neue Regierung.
Bild: Reuters
Jerusalem Wohin steuert Israel? Die Wirtschaft ist alarmiert, die Opposition begleitete die Rede des neuen Ministerpräsidenten mit wütenden Zwischenrufen. In Jerusalem ist an diesem Donnerstag die rechts-religiöse Regierung von Benjamin Netanjahu vereidigt worden. Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl startet damit die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker in der Koalition vertreten.
Das besorgt die Unternehmen im Land, vor allem Israels bisher starke Start-up-Szene ist beunruhigt über mögliche wirtschaftsfeindliche Entscheidungen, die die Innovationskraft der Nation nachhaltig gefährden könnten.
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Führende Vertreter der Technologiebranche, die sich in der Regel nicht zu politischen oder religiösen Fragen äußern, fürchten, dass das Land an Anziehungskraft für Investoren verlieren könnte. In einem offenen Brief warnen mehr als 100 Topvertreter von Start-ups und Wagniskapitalfonds, dass die Rechtsradikalen und Ultraorthodoxen Israels Position als eine der führenden Tech-Nationen riskieren würden.
Sorgen bereiten ihnen unter anderem die Pläne zur Schwächung und Politisierung des Justizsystems, der angesagte massive Finanzierungsschub für ultraorthodoxe Schulen, an denen Fächer wie Mathematik oder Englisch nicht unterrichtet werden, sowie die angekündigten Repressionen gegen die LGBT-Community und die Arabisch sprechende Minderheit. „Dies ist die größte Bedrohung für Israels Tech-Industrie und damit für die Wirtschaft insgesamt“, sagt Amir Mizroch, der israelische Unternehmen bei der globalen Expansion berät.
Die Hälfte der israelischen Kinder erhält bereits heute eine Dritte-Welt-Ausbildung. Die Kinder aus den Religionsschulen werden später nicht in der Lage sein, als Erwachsene die Wirtschaft zu unterstützen. Der Tel Aviver Ökonomieprofessor Dan Ben-David
Mittelfristig, meint der Tel Aviver Ökonomieprofessor Dan Ben-David, sei das „Humankapital“ des Landes gefährdet. „Die Hälfte der israelischen Kinder erhält bereits heute eine Dritte-Welt-Ausbildung“, sagt er dem Handelsblatt. Unter der neuen Regierung werde sich das Problem verschärfen, weil die Religionsschulen der Ultraorthodoxen, in denen sich alles um den Bibelunterricht dreht, mehr Mittel erhalten werden.
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„Die dort ausgebildeten Kinder werden später nicht in der Lage sein, als Erwachsene die Wirtschaft zu unterstützen“, argumentiert Ben-David. Es werde zudem immer deutlicher, „dass viele von ihnen keine Ahnung von den grundlegenden Prinzipien der Demokratie haben“.
Netanjahus Minister, die künftig für Wirtschaft und Finanzen zuständig sind, gelten in ökonomischen Fragen zudem als unerfahren. So hat Bezalel Smotrich, der neue Finanzminister, die Religion als vielversprechende Strategie ins Spiel gebracht. Es sei an der Zeit, etwas Neues zu versuchen – und bei der Wirtschaftspolitik auf die Bibel zurückzugreifen.
Analysten in Tel Aviv argwöhnen, dass der angesagte Rückgriff auf die Heilige Schrift Ratingagenturen zu einer Abstufung der Kreditwürdigkeit veranlassen könnte – und hoffen, dass Smotrich seiner Ankündigung keine Taten folgen lässt.
Avi Maoz
Der Chef der ultrarechten und religiösen Partei Noam will die Religion an Schulen zum Maß aller Dinge machen.
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Weil Netanjahus neue Regierung die Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt hat, befinde sich das Land zudem auf Kollisionskurs mit seinem engsten Verbündeten, bemängelt die Tech-Branche. Tatsächlich hat die US-Regierung erklärt, sie lehne einen Siedlungsausbau strikt ab.
Zudem würde Jerusalem mit seinem Siedlungsausbau den amerikanischen Juden vor den Kopf stoßen, die überwiegend liberalen Reformgemeinden angehören.
Konkrete Warnungen liegen bereits vor. Der norwegische Staatsfonds will seine Engagements in Israel überprüfen und Investitionen in Unternehmen, die in den Siedlungsbau im Westjordanland involviert sind, einstellen.
Das hat er zwar bereits früher schon angekündigt. Doch Beobachter in Jerusalem gehen davon aus, dass er jetzt sein 1,3 Milliarden Dollar schweres Portfolio in mehr als 80 israelischen Firmen einer verschärften Inspektion unterziehen wird.
Das Außenministerium arbeite mit Unterstützung israelischer und internationaler Rechtsberater und den betroffenen Unternehmen detaillierte Antworten zu diesem Thema aus, schreibt die israelische Wirtschaftszeitung „Globes“. Weitere europäische Fonds und Unternehmen könnten ihre Investitionen in israelische Unternehmen einstellen, befürchtet das Blatt, sollte es zu einer erheblichen Ausweitung der jüdischen Siedlungen in Judäa und Samaria kommen.
„Wir haben noch nie eine derartige Welle von Gesetzen gesehen“, sagt Amir Fuchs von der Jerusalemer Denkfabrik Israel Democracy Institute. Er bezeichnet die vorgeschlagenen Änderungen als „kritischen Schlag gegen die Demokratie“. Gesetzesvorschläge würden darauf abzielen, die Justiz zu schwächen und Politikern mehr Befugnisse bei der Strafverfolgung einzuräumen.
Israels Tourismusbranche fürchtet herbe Einbußen, weil die neue Regierung Geschäftsinhabern erlauben will, Dienstleistungen aufgrund religiöser Überzeugungen zu verweigern. Staatspräsident Isaac Herzog, der Generalstaatsanwalt und ranghohe Offiziere äußern ebenfalls ihre Bedenken gegen die angekündigten Pläne und Gesetze.
So rief der Generalstabschef der Armee Netanjahu an, um ihn vor einem Gesetz zu warnen, das militärische Bereiche in der Westbank unter die direkte Kontrolle eines seiner ultranationalistischen Partner stellen würde.
Benjamin Netanjahu bei der Vereidigung
Es ist bereits die sechste Regierung unter Netanjahu, zum ersten Mal sind auch extrem rechte Kräfte dabei.
Bild: dpa
Netanjahu sieht sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, die er bestreitet und die im Falle einer Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen führen könnten. Die meisten seiner früheren Partner aus der Mitte und dem linken Spektrum haben es aufgrund des Prozesses abgelehnt, sich ihm anzuschließen.
Netanjahu ist deshalb von seinen rechtsextremen Partnern abhängig und hat keine Hoffnung, ohne sie an die Macht zu kommen. Das bringe ihn in eine schwache Verhandlungsposition, sagen politische Beobachter.
Es ist bereits die sechste Regierung, die der Likud-Vorsitzende Netanjahu bildet. Der frühere Langzeit-Ministerpräsident kehrt damit nach anderthalb Jahren in der Opposition zurück an die Macht. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 73-Jährige.
Netanjahu betont immer wieder, er werde selbst eine gemäßigte Agenda bestimmen und sich nicht von seinen radikalen Partnern lenken lassen. Er begann am Mittwoch mit der Verteilung der Ministerposten innerhalb seiner eigenen Likud-Partei. So soll etwa Joav Galant Verteidigungsminister und Jariv Levin Justizminister werden.
Die neue Regierung verfügt über 64 von 120 Sitzen im Parlament. Die Hälfte davon gehört zu Netanjahus Regierungspartei Likud, die andere Hälfte zu dem rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnis sowie zwei streng religiösen Parteien. Netanjahus Lager hatte bei der Parlamentswahl am 1. November eine klare Mehrheit erzielt.
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