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30.11.2021

15:40

Kampf gegen Korruption

Österreichs Justiz will mit der „Freunderlwirtschaft“ aufräumen

Von: Daniel Imwinkelried

Bekannte Unternehmer und Politiker haben es mit der Korruptionsstaatsanwaltschaft zu tun bekommen. Betroffen sind auch bekannte Namen mit Aktivitäten in Deutschland. 

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Eigner der Warenhausgruppe Galeria Karstadt Kaufhof. dpa

Unternehmer René Benko

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Eigner der Warenhausgruppe Galeria Karstadt Kaufhof.

Wien Der Immobilieninvestor René Benko, Eigentümer der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, und der Industrielle Michael Tojner, Co-Aufsichtsratsvorsitzender der Züricher Firma Montana Aerospace, wollten eigentlich nur Gutes tun. Zumindest sagen sie das. Doch Österreichs Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nimmt es ihnen nicht ab.

Sie hat die beiden Geschäftsmänner und weitere Personen angeklagt, weil sie angeblich den grünen Politiker Christoph Chorherr aus Wien bestochen haben. Die WKStA behauptet, Chorherr habe für den Verein S2Arch Spenden entgegengenommen und sei dafür Immobilieninvestoren zu Diensten gewesen, etwa bei der Entwicklung von Arealen.

Zwischen 2010 und 2020 gehörten die Grünen Wiens Stadtregierung an. Chorherr war zwar nur Gemeinderat, also Mitglied des Stadtparlaments, in dieser Funktion aber auch Planungssprecher im Bereich Stadtentwicklung mit einem guten Draht zur Stadtregierung. Und er fungierte als Obmann des Vereins S2Arch, der unter anderem Ausbildungsstätten in Südafrika finanzierte.

Seit Herbst 2017 hat die WKStA ermittelt. Sie analysierte auch Bankunterlagen, und dadurch konnte, so sagt sie, eine „Zuordnung der Vereinsspenden zu Immobilienprojekten stattfinden“.

Der Fall ist aufsehenerregend, weil bekannte Persönlichkeiten unter Anklage stehen. Sonst reiht er sich aber in diverse Untersuchungen ein, die Österreichs Staatsanwälte gegen Politiker und Geschäftsleute führen.

Ein Ende für die „Freunderlwirtschaft“?

In Österreich hat das heftige Kontroversen ausgelöst. Führen die angeblich politisch eher links stehenden Staatsanwälte einen Kreuzzug gegen das bürgerliche Österreich, wie es der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz behauptet? Oder nimmt eine neue Generation von Staatsanwälten bloß ihre Aufgabe ernst und räumt mit Österreichs berüchtigter „Freunderlwirtschaft“ auf? 

Der ehemalige Bundeskanzler von Österreich verlor seine Immunität. dpa

Sebastian Kurz

Der ehemalige Bundeskanzler von Österreich verlor seine Immunität.

Heftig erschüttert wurde das politische System im Februar, als die WKStA bei Finanzminister Gernot Blümel eine Hausdurchsuchung durchführte wegen einer Angelegenheit, die sich 2017 ereignet hatte.

Damals bat Harald Neumann, der Chef des Glücksspielautomaten-Herstellers Novomatic, in einer SMS-Nachricht an Blümel um einen Termin bei Sebastian Kurz. In jenem Jahr war dieser noch Außenminister.

Der Manager wollte zwei Dinge besprechen, erstens „eine Spende“, zweitens „ein Problem in Italien“. Ob hier eine Verbindung „Spende gegen Amtshandlung“ besteht, wird die Justiz beurteilen. Blümel und Neumann versichern, dass kein Geld geflossen sei. 

Vollends ins Wanken geriet Österreichs politisches System im Oktober. Es wurde bekannt, dass die WKStA gegen Bundeskanzler Kurz ermittelt. Der eingeschworene Zirkel, mit dem sich der Politiker umgeben hat, soll bei der Zeitung „Österreich“ eine wohlwollende Berichterstattung erkauft haben. Kurz selbst wird von den Staatsanwälten verdächtigt, die Getreuen dazu angestiftet zu haben. Politisch war der Bundeskanzler nicht mehr tragbar, er musste zurücktreten. 

Korruptionsvorwürfe

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz tritt zurück

Korruptionsvorwürfe: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz tritt zurück

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„Der österreichische Korruptionsbegriff ist inzwischen streng und eng gefasst“, sagt Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Universität Linz. Früher sei das Land von Greco, einer Ländergruppe des Europarats, die sich der Korruptionsbekämpfung widmet, für die lasche Gesetzgebung wiederholt kritisiert worden.

Die Gesetze sind daraufhin verschärft worden. Manche sagen allerdings: über das gesunde Maß hinaus. „Wir überziehen gerade“, meint ein bekannter Steuerjurist. Die Österreicher hätten ein schlampiges Verhältnis zum Recht, nun werde „überkorrigiert“. 

Professionelle Distanz fehle

Es scheint, als ob die Justiz den Österreichern gerade Eigenheiten austreibe, die teilweise gesellschaftliche Phänomene sind. „Das Ziel des strengen Korruptionsstrafrechts ist es, einen Mentalitätswandel auszulösen“, sagt Birklbauer. Das Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ ist im Land zumindest als Erwartungshaltung weitverbreitet. 

Generell sind Österreicher ein entspannter, humorvoller und gut gelaunter Menschenschlag. Kontakte werden rasch geknüpft; daraus entsteht allerdings schnell die Erwartung, dass man bei Problemen füreinander da ist. 

Diese ungesunde Nähe kommt auch in den Chats zum Ausdruck, die sich Tojner und Chorherr schickten: Auffallend ist etwa, wie es dem Politiker an professioneller Distanz zu den Immobilienprojekten und den Investoren gefehlt hat. 

Österreich hat viel weniger Einwohner als Deutschland. Das heißt: Man kennt sich. Aber das ist nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden Ländern: Deutschland weist mehrere Zentren auf, was Distanz schafft. Wiens erster Bezirk dagegen ist der eindeutige gesellschaftliche Mittelpunkt Österreichs, wo sich die Elite fast ständig über den Weg läuft. 

Deshalb ist es irgendwie bezeichnend, dass Novomatic-Chef Neumann den „kleinen Dienstweg“ wählte und Finanzminister Blümel eine Chatnachricht schickte. Eine solche Spontanreaktion mag zwar auch der Allgegenwart des Smartphones im Alltag geschuldet sein, aber sie erklärt nicht alles.

Neumann zog es offenbar vor, Beziehungen spielen zu lassen, so, wie es in Österreich teilweise Brauch ist. Der Manager hätte auch offiziell einen „Dreizeiler“ an das Finanzministerium schicken können, sagt der erwähnte Steuerjurist. Dort hätten sich dann Spezialisten um das Problem gekümmert. 

Die Tauschgeschäfte in Wirtschaft und Politik weisen in Österreich viele Schattierungen auf. Die kommenden Monate werden zeigen, was davon vereinbar ist mit der harten Linie, welche die Justiz offenbar verfolgt.

Durch Fall Strache „generalpräventive Wirkung“

Der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ bekam sie bereits zu spüren. Im August erhielt er eine Bewährungsstrafe von 15 Monaten Haft, weil er sich laut Gericht von einem befreundeten Geschäftsmann für politische Vorstöße bezahlen lies. 

Strache hat sich allerdings nicht persönlich bereichert, und die gespendeten Summen waren mit 2000 und 10.000 Euro verhältnismäßig gering. Im österreichischen Recht spielt das aber keine Rolle. „Für rechtswidriges Agieren gibt es keine Grenze nach unten“, sagt Birklbauer.

Bereits die Spende von einem Cent gilt als Korruption, und als landesübliche Aufmerksamkeit kommen nach heutiger Auffassung bloß noch die „drei K“ (Kalender, Kugelschreiber, Klumpert) infrage. 

Im August erhielt Strache eine Bewährungsstrafe von 15 Monaten Haft. Getty Images

Heinz-Christian Strache

Im August erhielt Strache eine Bewährungsstrafe von 15 Monaten Haft.

Die Richterin im Fall Strache erhofft sich in dieser Hinsicht vom Urteil auch eine „generalpräventive Wirkung“. Sie sieht im Schuldspruch also auch ein Mittel, das Vertrauen der Landsleute ins politische System zu stärken. 

Allerdings ist kaum einer der genannten Fälle eindeutig, weil sie sich eben teilweise in der Tradition der juristisch schwer fassbaren „Freunderlwirtschaft“ bewegen. Kurz hat zwar von der positiven Berichterstattung in „Österreich" politisch profitiert; allerdings scheint die Staatsanwaltschaft keine hieb- und stichfesten Beweise zu haben, dass er seine Getreuen angestiftet hat.

Kein Anschein von Zusammenhängen

Und Chorherr war zwar ein mächtiger Politiker mit Beziehungen, aber doch nur ein Gemeinderat mit beschränkter Befugnis. Auch in Wien beugen sich Dutzende von Amtsstellen über ein Bauprojekt, bevor es verwirklicht werden darf. 

Unzählige Privatpersonen und Institutionen haben für Chorherrs Verein gespendet. Benkos Firma Signa überwies im Jahr 2011 die Summe von 100.000 Euro. Man spende regelmäßig für soziale Projekte, besonders im Bereich Jugendarbeit, lies Signa verlauten. 2012 hat Benko ein Grundstück beim neuen Wiener Hauptbahnhof von der ÖBB erworben, 2015 stimmte der 100 Personen umfassende Gemeinderat der Umwidmung des Geländes schließlich zu. 

Das ist ein langer Prozess mit vielen Unwägbarkeiten. Eine enge Verbindung von Spende und Amtshandlung scheint zumindest aus Laiensicht nicht gegeben zu sein. Aber Österreichs Justiz will aufräumen: Aus ihrer Sicht dürfe es, sagt Birklbauer, zwischen Amtshandlung und Zuwendung nicht den Anschein eines Zusammenhangs geben.

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