Umweltschützer jubeln über die Entscheidung des neuen US-Präsidenten. Doch das Ende des sechs Milliarden Euro teuren amerikanisch-kanadischen Projekts erfreut nicht jeden.
Röhren für die Keystone-Pipeline
Kanadas Ölindustrie ist entsetzt über die Entscheidung der neuen US-Regierung.
Bild: AP
Ottawa Die Regierung der kanadischen Ölprovinz Alberta tobt, Kanadas Premierminister Justin Trudeau ist enttäuscht, Umwelt- und Klimaschützer aber jubeln: Am Tag seiner Amtseinführung hat US-Präsident Joe Biden die Genehmigung für den umstrittenen Bau einer Pipeline, die Öl aus den Ölsandfeldern Albertas in die USA bringen soll, widerrufen.
Damit droht einem rund sechs Milliarden Euro teuren Projekt, das der bisherige Präsident Donald Trump genehmigt hatte, das Aus.
Der Premier der kanadischen Provinz Alberta, in der die Ölsandfelder liegen, Jason Kenney, schimpfte: „Dies ist ein Schlag in die Magengrube.“ Er kritisierte, dass Biden nicht abgewartet und nicht noch einmal die kanadische Seite angehört habe. „So behandelt man keinen Freund.“
Kanadas Premierminister Justin Trudeau, der sich einerseits dem Klimaschutz verschrieben hat, andererseits aber Keystone XL unterstützt, äußerte sich ebenfalls enttäuscht. Zugleich aber müsse er Biden bescheinigen, „dass er damit ein Wahlkampfversprechen zu Keystone XL erfüllt“.
Kanadas Botschafterin in den USA, Kirsten Hillman, hatte in den vergangenen Tagen vergeblich versucht, die Biden-Regierung zumindest zu einer Verschiebung der Entscheidung zu bewegen. Nun empfiehlt sie: „Ich glaube, wir müssen das akzeptieren und nach vorn schauen.“
Die Ölindustrie und der Unternehmerverband Kanadas geben sich weniger pragmatisch. Bei ihnen herrscht blankes Entsetzen. Genau umgekehrt ist die Stimmungslage bei Umweltschützern beiderseits der Grenze, die seit mehr als einem Jahrzehnt gegen das Projekt kämpfen.
Das ist ein Schlag in die Magengrube. So behandelt man keinen Freund. Jason Kenney, Premier der kanadischen Provinz Alberta
„Präsident Bidens Entscheidung, Keystone XL an seinem ersten Tag abzulehnen, signalisiert eine neue Ära“, jubelt Anthony Swift vom Natural Resources Defense Council in Washington, einer Umweltorganisation, die die Ölförderung aus Ölsand kritisiert. US-Medien zitieren zudem die Aktivistin Faith Spotted Eagle von den Yankton Sioux in South Dakota. Sie wertete Bidens Entscheidung als bedeutend für die indigenen Völker: „Unsere Rechte wurden anerkannt.“
Eine Überraschung ist Bidens Entscheidung nicht, denn er hatte im Wahlkampf seine Ablehnung des Projekts angekündigt. „Wir brauchen keinen Teersand“, sagte er im Mai vergangenen Jahres.
Hinter dem Keystone-XL-Projekt steht das kanadisch-amerikanische, in Houston in Texas ansässige Unternehmen TC Energy, das früher TransCanada hieß. Biden war Vizepräsident unter Barack Obama, als dieser 2015 die Pipeline ablehnte. Trump revidierte diese Entscheidung unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar 2017.
Die seit mehr als zehn Jahren geplante 1900 Kilometer lange Keystone-XL-Pipeline sollte täglich bis zu 830.000 Barrel Bitumen-Öl aus Alberta zu Raffinerien im Süden der USA bringen. Sie sollte das existierende Keystone-Pipelinesystem, durch das täglich bis zu 600.000 Barrel Rohöl fließen, ergänzen und erweitern.
Demonstration gegen das Projekt
Umweltaktivisten forderten seit Langem das Aus des Projekts. Jetzt herrscht bei ihnen Erleichterung.
Bild: AFP
Keystone XL sollte von Hardity in Alberta durch Montana und Nebraska laufen, wo es mit dem bereits bestehenden Keystone-Pipelinenetz verbunden werden sollte. Von dort sollte das Schweröl über teils existierende, teils ebenfalls neu zu bauende Leitungen in Raffinerien in Illinois und Texas fließen und weiterverarbeitet werden.
Gegen das Projekt, das auf zehn Milliarden kanadische Dollar – rund sechs bis sieben Milliarden Euro – geschätzt wird, laufen Umweltschützer Sturm, weil sie im Falle von Lecks Schäden für die Umwelt und einen höheren Ausstoß klimaschädigender Kohlendioxidemissionen bei der Förderung des Öls aus den Teersandfeldern Albertas befürchten.
In Nebraska wird weiter juristisch gegen das Projekt gekämpft. In diesem US-Bundesstaat sollte die Route ursprünglich mitten durch ein Gebiet laufen, unter dem ein wichtiges Grundwasserreservoir liegt, der sogenannte Ogallal Aquifer. Zwar wurde die Route verändert, dennoch kämpfen Landbesitzer, Farmer und indianische Völker weiter gegen das Projekt.
Für Umweltschützer ist Öl aus den Teersänden „schmutziges Öl“. Es wird aus dem dickflüssigen Bitumen gewonnen. Seine Förderung ist energieintensiv und teuer. Geschätzt wird, dass bei neuen Projekten ein Ölpreis von mehr als 60 US-Dollar pro Barrel notwendig ist, damit es profitabel sein kann.
Der gegenwärtige Ölpreis liegt bei 55 US-Dollar. Mehrere Konzerne, die in den Ölsandfeldern investieren wollten, haben in den vergangenen Jahren Projekte aufgegeben oder verschoben.
Die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung werden zunächst erheblich sein. Das Unternehmen TC Energy hatte bereits am Mittwoch vor Bekanntwerden der Entscheidung einen Baustopp auf kanadischem Gebiet, wo die Arbeiten an der Pipeline in vollem Gange waren, verfügt. Damit gingen zunächst rund 1000 Arbeitsplätze verloren.
Albertas Premier Kenney spricht sogar von 2000 Arbeitsplätzen. Während des Baus der Pipeline sollten in Kanada und den USA vorübergehend rund 10.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, Befürworter der Pipeline versprechen sich aufgrund der indirekten Arbeitsplätze aber ein Vielfaches.
Umweltschützer dagegen gehen langfristig von einer Zahl um wenige Hundert Arbeitsplätze aus. Alberta musste zudem einen Abschlag auf den Preis in Kauf nehmen, weil die Pipelinekapazitäten zeitweise nicht ausreichten und Öl auf dem teuren Schienenweg transportiert werden musste.
Die Provinz Alberta hat sich mit 1,5 Milliarden kanadischen Dollar (rund einer Milliarde Euro) an dem Pipelinebau beteiligt. Damit droht der Provinz direkt finanzieller Verlust. Kenney kündigte daher an, dass die Provinz rechtliche Schritte erwäge, um die Entscheidung Bidens noch anzufechten oder zumindest Schadensersatz zu bekommen.
Dies könnte auch über ein Verfahren im Rahmen des jüngst neu ausgehandelten Nafta-Freihandelsabkommens zwischen Kanada, den USA und Mexiko versucht werden. Kenney rief Trudeau zudem dazu auf, Sanktionen gegen die USA zu verhängen, sollte von der Keystone-Entscheidung nicht abgewichen werden.
Trudeau kann damit rechnen, am morgigen Freitag als erster ausländischer Regierungschef von Biden angerufen zu werden. Dabei dürfte auch Keystone zur Sprache kommen. Trudeau und Biden verbindet eine enge Freundschaft. Daran wird die Keystone-Entscheidung nach Einschätzung politischer Beobachter in Ottawa nichts ändern.
Trotz seiner öffentlich geäußerten Enttäuschung über die Keystone-Entscheidung hat Trudeau die ersten Maßnahmen Bidens wie die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen und den Verzicht auf Ölbohrungen im Arctic National Wildlife Refuge in Alaska positiv gewürdigt.
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