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16.07.2022

19:00

Klimakrise

Ausgedorrt wie seit 70 Jahren nicht mehr: Wie Südeuropa gegen die Trockenheit ankämpfen will

Von: Tanja Kuchenbecker, Sandra Louven, Christian Wermke

Große Teile Spaniens könnten zur Wüste werden und Frankreich sorgt sich um die Kühlung der Atommeiler. Der Süden Europas kämpft gegen die Dürre.

Klimawandel: Dürrekrise in Norditalien Reuters

Ausgetrockneter Boden in der Po-Ebene

In Norditalien ist es so trocken wie seit 70 Jahren nicht mehr.

Paris, Madrid, Rom 500 Euro Bußgeld drohen den Einwohnern Veronas, wenn sie ihre Blumen mit Trinkwasser gießen. Bis Ende August dürfen mit dem knappen Gut auch keine Autos gewaschen oder Pools befüllt werden.

Die 250.000-Einwohner-Stadt in Norditalien greift radikal ins Leben ihrer Bürger ein, um durch die Dürrekrise zu kommen. Wochenlang hat es in Verona und Umgebung nicht geregnet, die Po-Ebene – normalerweise einer der fruchtbarsten Streifen im Land – ist so ausgedorrt wie seit 70 Jahren nicht mehr.

Dem Landwirtschaftsverband Coldiretti zufolge ist die Hälfte der Viehzucht bedroht, landesweit könnten 30 Prozent der Agrarproduktion der Hitze zum Opfer fallen. Es drohen Milliardenschäden. Beim Getreide könnten sich die Ernteausfälle auf gut ein Drittel summieren.

Noch schlimmer trifft es die Reisbauern, deren Anbauflächen gerade eigentlich geflutet sein müssten: In der Po-Ebene werden 50 Prozent des in der EU produzierten Reises angebaut. Hier rechnet man mit Ernteausfällen von bis zu 70 Prozent.

Insgesamt sechs Regionen im Norden des Landes haben den Wassernotstand ausgerufen. Die Wasserspiegel von Gardasee, Comer See und Lago Maggiore sind abgesackt, in Venedig und Mailand wurden Brunnen abgedreht.

Landwirtschaft

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Italien ist nicht das einzige Land, das derzeit von der Hitze betroffen ist. Auch in Südfrankreich, Spanien und Portugal werden neue Dürrerekorde gemessen, Notstände ausgerufen. Die Zahl der Brände steigt an. Was wollen die Staaten tun, um Dürre und Wasserverschwendung langfristig in den Griff zu bekommen?

Zwei Dritteln Spaniens droht die Verwüstung

Spaniens Wasserreserven waren bereits nach dem Winter auf dem niedrigsten Stand seit 1995. Die Niederschläge von Oktober bis März lagen 40 Prozent unter den historischen Vergleichswerten. Die Regierung hat schon im März Dürrehilfen für die Landwirtschaft beschlossen.

In Calera de León in der Region Extremadura an der Grenze zu Portugal blieben in diesem Jahr die Schwimmbäder leer. Im nahe gelegenen Ribera del Fresno klagen Anwohner, dass ihr Wasser wegen des fast leeren Stausees bereits trüb und braun ist. Bis Ende Juni gab es in Spanien rund 250 größere Feuer, die insgesamt knapp 82.000 Hektar Wald zerstört haben – schon fast so viel wie im gesamten Vorjahr.

Auch wenn dieses Jahr extrem ist, ist es Teil eines Klimatrends, der die Länder im Süden Europas vor enorme Herausforderungen stellt: „Alle wissenschaftlichen Studien gehen davon aus, dass die Niederschlagsmengen bis zum Jahr 2030 um rund 20 Prozent sinken werden“, sagt Spaniens Landwirtschaftsminister Luis Planas dem Handelsblatt. Die Regierung erwartet, dass zwei Drittel des Landes Gefahr laufen, zur Wüste zu verkommen. „Wir werden uns auf extreme Szenarien einstellen müssen“, warnte die Ministerin für den ökologischen Wandel, Teresa Ribera. Man müsse sich heute „auf Szenarien von Überschwemmungen oder maximaler Trockenheit vorbereiten“.

Klimawandel: Waldbrand in Spanien ddp/ZUMA

Waldbrand in Spanien

Seit Ende Juni gab es 250 größere Feuer im Land.

Die Regierung hat im April einen ersten Entwurf für eine neue nationale Strategie vorgestellt: Geplant sind unter anderem ein Nationaler Rat zur Bekämpfung der Wüstenbildung sowie Pläne zur Regeneration der Flächen, die besonders bedroht sind.

Konkrete Maßnahmen sind die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder sowie eine Verbesserung der Bewässerungssysteme. Experten monieren, dass derzeit mehr als 20 Prozent des Wassers beim Transport verloren gehen. Landwirtschaftsminister Planas versichert aber: „Zusammen mit Israel sind wir das Land mit einem der technisch fortschrittlichsten Bewässerungssysteme.“

Die spanische Regierung investiert in den kommenden fünf Jahren 2,1 Milliarden Euro in die Modernisierung der Anlagen. Dazu gehören vor allem Systeme für die sogenannte Tröpfchenbewässerung. Dabei fließt das Wasser nur tropfenweise direkt über der Pflanze. Das gilt als besonders effizient, weil kaum Flüssigkeit verloren geht.

Zahnputzverbot in Südfrankreich

Auch in Frankreich haben sich seit einigen Tagen Großfeuer im Süden des Landes ausgebreitet und die Bevölkerung in Alarmbereitschaft versetzt. Eine verfrühte Hitzewelle – die Temperaturen im Mai waren die höchsten aller Zeiten – ließ die Wasserquellen in einigen Dörfern versiegen, sie werden nun mit Tankwagen beliefert.

Die Regierung in Paris hat für die Dürre einen vierstufigen Notfallplan. In verschiedenen Departements wurden schon Maßnahmen getroffen, um Wasser zu sparen: So ist es dort, ähnlich wie im italienischen Verona, seit Wochen verboten, sein Auto mit Trinkwasser zu waschen, den Gemüsegarten zu gießen oder den Pool aufzufüllen. In Villars-sur-Var bei Nizza soll man kein Leitungswasser mehr trinken, nicht mehr damit kochen, nicht einmal die Zähne putzen. Die Einwohner erhalten stattdessen Wasserflaschen. An Stränden am Mittelmeer sind die Duschen abgestellt. In vielen Gemeinden dürfen keine Golfplätze mehr bewässert werden.

Kernkraftwerk Reuters

Kernkraftwerk im französischen Belleville-sur-Loire

Experten sorgen sich um die Kühlung der Kraftwerke.

Viele der Maßnahmen sind nicht neu, kommen dieses Jahr aber besonders früh. Dabei beginnt die Touristensaison gerade erst. Auswirkungen hat die Dürre auch auf das Reisen im Land: Frankreichs Schnellzüge müssen langsamer fahren, aus Angst vor Überhitzungen und Kabelbränden. Die Schienen könnten sich zudem ausweiten und verformen, gar Oberleitungen bei der Durchfahrt abreißen. In den Atomkraftwerken sorgt man sich schon um die ausreichende Kühlung.

Experten sind der Ansicht, dass in vielen Städten mit ökologischen Maßnahmen gegen die Hitze vorgegangen werden sollte. In Argèles-sur-Mer kurz vor der spanischen Grenze wurden Bepflanzungen angelegt, die kaum Wasser brauchen. Auch die Pariser Bürgermeistern Anne Hidalgo will immer mehr Grünflächen schaffen, um aufgeheizten Asphalt zu ersetzen.

Nach Zahlen des nationalen Beobachtungsinstituts für Niedrigwasser waren schon im Juni neun Prozent der Wasserläufe trocken, im Gegensatz zu zwei Prozent im Vorjahreszeitraum. „Diesen Winter wurden die unterirdischen Wasservorräte nicht genügend wieder aufgeladen“, sagte Florence Denier-Pasquier, Wasserspezialistin des Naturschutzverbands France Nature Environnement. Auch Regenfälle in den vergangenen zwei Wochen konnten daran nichts ändern: Das Wasser wurde von den Pflanzen aufgesogen.

In großen Teilen Frankreichs werden sich die Probleme weiter zuspitzen, fürchtet man im Umweltministerium. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Weizenproduktion in diesem Jahr um etwa sieben Prozent fallen wird. Frankreich ist der größte Weizenexporteur der EU. Auch die Maisproduktion könnte betroffen sein. Wissenschaftler fordern, den Wasserverbrauch zu regulieren und Kulturen anzulegen, die sich besser an Trockenheit anpassen können. Mais etwa könnte durch anderes Gemüse ersetzt werden.

Portugal will Brauchwasser für Golfplätze nutzen

Besonders gravierend ist die Situation in Portugal: Derzeit herrscht in 97 Prozent des Landes eine schwere oder extreme Dürre. Die Bevölkerung ist aufgerufen, das Waschen von Autos, Höfen und Straßen ebenso zu unterlassen wie die Bewässerung des Gartens oder das Füllen privater Pools.

Auch hier ist der Wasserverlust in den Leitungen ein großes Problem. Über 35 Prozent gingen dort verloren, erklärte der Vizechef der portugiesischen Umweltagentur António Pimenta Machado. Die Leitungen, die teils noch aus den 50er-Jahren stammten, müssten erneuert werden. Zudem solle Wasser mehrmals verwendet werden – für die Reinigung von Mülltonnen und Straßen könne auch Brauchwasser verwendet werden, ebenso für die Bewässerung von Gärten.

An der Algarve wird bereits Brauchwasser zur Bewässerung von Golfplätzen verwendet. „Unser Ziel ist es, bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent wiederverwendeten Wassers für verschiedene Zwecke zu erreichen, etwa für die Landwirtschaft, die viel Wasser verbraucht, für die Industrie und für die städtische Nutzung, zum Beispiel für die Straßenreinigung“, sagte Umweltminister Duarte Cordeiro.

Die portugiesische Regierung nutzt 200 Millionen Euro aus dem europäischen Wiederaufbauplan, um die Wassereffizienz zu steigern. Dazu gehört auch der Bau einer Entsalzungsanlage.

Im Herbst sollen zudem Projekte vorgestellt werden, mit denen mehr Wasser in den Fluss Tajo geleitet werden kann. Der entspringt in Spanien, wo ihm aber oft so viel Wasser entzogen wird, dass in Portugal kaum mehr etwas ankommt – worunter die Landwirte leiden.

In Italien versickern 40 Prozent des Trinkwassers

In Italien ist das Leitungssystem so marode, dass im Schnitt rund 40 Prozent des Wassers verloren gehen. Im Süden des Landes liegt dieser Wert sogar bei bis zu 80 Prozent. Mit Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds sollen die Systeme nun erneuert werden. Zudem sind im ganzen Land neue Staubecken und Reservoirs geplant, um mehr Wasser in den feuchten Monaten zu speichern.

Klimawandel

Italien erlebt historische Dürre – Fluss Po teils ausgetrocknet

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Kurzfristig hat die Regierung in Rom mehr als 35 Millionen Euro freigemacht, um Unternehmen in derzeit besonders betroffenen Regionen zu entschädigen und Lastwagen mit Trinkwasser Richtung Norden zu schicken.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Schäden dürfte die Hitzewelle auch die soziale Ungleichheit weiter verschärfen, mahnt das European Trade Union Institute in einer Studie. Die extremen Temperaturen würden vor allem Geringqualifizierte treffen, Saisonarbeiter und Niedriglöhner. Dazu zählten neben Jobs in der Landwirtschaft auch Gärtnerinnen, Hotelpagen und in einigen Fällen Lehrkräfte in schlecht klimatisierten Klassenräumen.

Die bisher schlimmste große Hitzewelle der jüngeren Vergangenheit traf Europa im Jahr 2003, damals starben rund 70.000 Menschen. Seitdem wurden Notfallpläne ausgearbeitet, die aber vor allem auf die Gesundheitssysteme abzielen – und nicht auf besonders betroffene Arbeiter.

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