Vor 50 Jahren gaben die USA Okinawa an Japan zurück. Doch durch zunehmende Spannungen mit China rückt die Insel ins Zentrum der amerikanischen Militärstrategie.
Ein Soldat in Okinawa hisst die japanische Flagge
Die Insel ist einer wichtigen strategischen Lage für die USA.
Bild: Reuters
Tokio Denny Tamaki erlebt den neuen Großmachtkonflikt hautnah. Das Knattern von amerikanischen Hubschraubern und Dröhnen von Kampfjets gehören für den Gouverneur der südjapanischen Insel Okinawa ohnehin zur alltäglichen Geräuschkulisse. Seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs verändert sich das Lärmprofil jedoch.
„Die Amerikaner trainieren jetzt Tiefflüge und Städtekampf in der Nähe der Hauptstadt Naha“, erzählt Tamaki. „Das haben wir in der Vergangenheit nicht erlebt.“
Den Gouverneur überkommt dabei vor dem historischen Jahrestag ein mulmiges Gefühl. Am Sonntag vor 50 Jahren gaben die USA die strategisch wichtige Insel an Japan zurück, die sie nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg zu einem der größten Militärstandorte der USA im Ausland aufrüsteten. Noch heute beheimatet die Insel 70 Prozent der 23 US-Basen in Japan, die insgesamt fast 50.000 US-Soldaten als Stützpunkte dienen. Und Tamaki will das ändern.
„Seit der Rückgabe versucht Okinawa, eine Insel des Friedens zu werden, ohne Militärbasen“, sagt Tamaki in einer Presserunde. Er appelliert daher seit Jahren im Auftrag der Wähler an Tokio und Washington, Stützpunkte und Soldaten abzuziehen.
Doch nun scheint das Gegenteil zu passieren. Die Insel entwickelt sich zur vordersten Front der USA und ihres Alliierten Japan in einem möglichen Konflikt mit China.
Das Reich der Mitte beansprucht nicht nur immer aggressiver von Japan kontrollierte Felseninseln und Eilande. Die Machthaber in Peking drohen zudem, Taiwan, das sie als abtrünnige Provinz ansehen, mit Gewalt heim ins Reich zu holen.
Diese Aussicht ängstigt die 1,5 Millionen Bewohner Okinawas gewaltig. Ihre Hauptstadt Naha liegt ja nur 640 Kilometer von Taiwan entfernt.
In einer am Freitag veröffentlichten Umfrage der Zeitung Asahi erwarten 81 Prozent der Teilnehmer, dass die Insel zum Kriegsgebiet wird, wenn China die Hände zur Nachbarinsel ausstreckt. Zu Recht, meint der US-Analyst Grant Newsham: Mit dem Ukrainekrieg und Chinas strategischer Partnerschaft mit Russland wachse die hohe strategische Bedeutung der Insel noch, sagt der ehemalige Militärattaché an der US-Botschaft in Tokio.
„Tatsächlich ist sie die Frontlinie, wenn Japan sich gegen eine chinesische Aggression verteidigt.“ Und eine Invasion Taiwans gehört für den ehemaligen Militär zu Japans Verteidigung mit dazu.
>> Lesen Sie mehr: Joe Biden wirbt um Chinas Nachbarn – und steht dabei vor großen Problemen
Schon die blutige Schlacht um Okinawa im Zweiten Weltkrieg unterstreicht die Bedeutung des subtropischen Archipels. Fast 50.000 US-Soldaten, rund 80.000 bis 120.000 japanische Soldaten und gemäß einigen Schätzungen 149.000 Zivilisten starben 1945 – die Hälfte der damaligen Bevölkerung. Denn die Inselgruppe galt als Sprungbrett für eine Invasion Japans.
Nach dem Krieg gewann sie mit dem Ausbruch des Kalten Kriegs jedoch rasch eine neue Bedeutung: als vorgeschobener Frontposten gegen China und Nordkorea, die Verbündeten der Sowjetunion. Denn die Eilande sind nicht nur Teil einer Inselkette, die China vom freien Zugang zum Pazifik abriegelt, ein Zustand, den China beseitigen will. Zudem liegt der unsinkbare Flugzeugträger auch günstig für Einsätze der USA in Südostasien, Zentralasien und sogar im Golf.
„Viele Jahre lang gab es daher in Japan das Gefühl, dass Okinawa nur für die Vereinigten Staaten von Nutzen war“, erinnert sich Newsham, „aber diese Tage sind längst vorbei.“ Japan sieht sich immer stärker von Chinas rasanter Aufrüstung und Nordkoreas Atomwaffenprogramm bedroht. Chinas wachsende militärische Überlegenheit gegenüber Taiwan hat das Krisengefühl noch verstärkt.
Nippons Militärstrategen gehen davon aus, dass eine Invasion der benachbarten Insel nicht ohne Angriff auf Truppen der USA in Japan funktioniert. Denn die USA bieten der jungen asiatischen Demokratie kaum verhohlen Schutz.
Der frühere Regierungschef Shinzo Abe hat bereits erklärt, dass eine Taiwan-Krise auch ein Notfall für Japan wäre. Er hat sogar militärische Hilfe an der Seite der USA in Aussicht gestellt.
Die Stationierung von US-Soldaten auf der Inselgruppe ist für den Sicherheitsexperten Newsham ein Garant dafür, dass das auch passiert. „Die US-Kräfte auf Okinawa sind eine Abschreckung gegenüber China, Nordkorea und Russland und damit per Definition eine Zusage amerikanischer Hilfe an alle anderen Länder in der Region.“ Es gibt nur ein Problem: Die Bewohner auf Okinawa mögen ihre Rolle als waffenstarrender Frontstützpunkt nicht.
Schon die brutale Kriegsgeschichte stimmte die Bewohner gegen die USA, aber auch Japans Regierung ein. Denn die kaiserlichen Truppen befahlen damals Bewohnern, sich eher umzubringen, als den Amerikanern in die Hände zu fallen. Eine Gruppenvergewaltigung eines Mädchens durch US-Marines im Jahr 1995 trieb den Widerstand auf die Spitze.
Die USA und Japan handelten damals aus, die Truppen zu reduzieren und den Luftwaffenstützpunkt Futenma der US-Marines aus dem Zentrum der Stadt Ginowan in eine dünn besiedelte Küstenregion der Insel zu verlegen. Nur verzögerte ein lokaler Protest und der Versuch der japanischen Regierung, ihn auszusitzen, zuerst den Baubeginn und nun die Fertigstellung der neuen Basis. Stattdessen fordert Gouverneur Tamaki den Wegzug der Futenma-Basis aus Okinawa, am besten gleich aus Japan.
>> Lesen Sie mehr: Wie Japan seine Verwaltung digitalisiert – Vorbild für Deutschland?
Tamaki hat durchaus Sympathisanten, zum Beispiel Hitoshi Tanaka, den Vorsitzenden des Instituts für Internationale Strategie. Der ehemalige Spitzendiplomat war Mitte der 1990er-Jahre als Vize-Außenminister für Okinawa zuständig und vertritt seither eine deutliche Meinung.
Die Konzentration der US-Basen sei „unfair“ und müsse reduziert werden, sagt er. Der Ukrainekrieg und neue Militärstrategien der USA liefern ihm und Okinawas Gouverneur neue Argumentationshilfe.
Japans Regierung diskutiert gerade eine neue Verteidigungsstrategie, die den Militäretat auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung verdoppeln könnte. „Nun erleben wir ein Comeback der russischen Bedrohung von Hokkaido“, sagt Tanaka über Japans nördlichste Insel. Es könne also Sinn machen, im Rahmen der neuen Strategie US-Truppen dorthin zu verlegen.
Darüber hinaus regt er an, Streitkräfte auch nach Guam, einer US-Insel im Pazifik, Australien und in andere Länder zu verlegen. Immerhin setzen die USA nun auf multilaterale Allianzen wie den Aukus-Bund mit Australien und Großbritannien.
Außerdem ist eine Dezentralisierung von Streitkräften in Mode, um Gegnern vernichtende Schläge zu erschweren. Sein Fazit: „Die Funktionen von Futenma könnten weiter verteilt werden.“
Japans Regierung setzt hingegen weiter auf ihre Abwartetaktik. Sie hofft, dass Amtsinhaber Tamaki die Gouverneurswahlen im Herbst verliert und damit der Weg frei wird für einen Umzug der Futenma-Basis.
Die Hängepartie für die Bewohner von Japans am stärksten militarisierter Präfektur geht damit auch im 50. Jahr nach der Rückgabe weiter. Nur eines steht fest: Okinawa wird noch mehr als früher im Fadenkreuz des Großmachtkonflikts stehen.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×