Die Welt sorgt sich vor steigenden Verbraucherpreisen. Aber in Japan machen ein Preisanstieg von 0,5 Prozent und ein schwächerer Yen Hoffnung auf ein Ende des Stillstands.
Markt in Tokio
Die Menschen in Japan reagieren traditionell besonders stark auf Preissteigerungen – auch weil die Reallöhne seit Jahrzehnten stagnieren.
Bild: Bloomberg
Tokio In Japan ist mit dem Wort Inflation keine Angst verbunden, wie etwa in Europa und den USA – sondern eher Hoffnung. Eigentlich fühlt die japanische Zentralbank kaum Druck: In Japan stieg die Kerninflationsrate im Dezember angetrieben vom schwachen Yen und steigenden Rohstoffpreisen nur auf 0,5 Prozent. Rechnet man die volatileren Preise für Lebensmittel und Energie dazu, lag die Inflationsrate sogar bei 0,8 Prozent.
Die US-Notenbank Fed muss dagegen Preissteigerungen von bis zu sieben Prozent zügeln, die Europäische Zentralbank von gut fünf Prozent.
Allerdings deutet sich mit den moderaten Preissteigerungen für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ebenfalls eine Zeitenwende an, wenn auch ganz im Sinne von Japans Regierung und Notenbank. Das Land scheint auf dem besten Weg zu sein, sich nach mehr als 20 Jahren aus der Deflation zu befreien. Die Notenbank erwartet zwar weiterhin keine Werte, die in die Nähe der Inflationsraten Europas oder der USA kommen, wohl aber dauerhaft steigende Preise.
Erst diese Woche erhöhten die Mitglieder im geldpolitischen Ausschuss der Notenbank ihre Inflationsprognose für 2022 von 0,9 auf 1,1 Prozent. Damit würde Japan zwar weiterhin deutlich unter dem Inflationsziel von zwei Prozent liegen, das die Notenbank 2013 als Kriterium für ein Ende ihrer ultralockeren Geldpolitik gesetzt hat. Aber die Sorge vor einem Rückfall in die Deflation sinkt – mit Auswirkungen auf die Unternehmen, die Geldpolitik und die Devisen- und Aktienmärkte.
Genau diese Wende ist schon seit 2013 das Ziel der Regierung. Der damalige Regierungschef Shinzo Abe verfolgte mit moderater Inflation vor allem zwei Ziele: Zum einen kann eine Geldentwertung auch Japans hohe Schuldenlast verringern, die derzeit bei fast 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.
Zum anderen wollte er die Unternehmen durch nominal wachsende Märkte aus ihrer deflationären Spirale befreien und ihnen die Möglichkeit zu Lohnerhöhungen geben. Denn als Antwort auf die Überalterung des Landes und damit schrumpfende Märkte reagierte das Management mit hartem Sparen und Verzicht auf Reallohnerhöhungen, um noch profitabel zu bleiben.
Nur stiegen die Preise trotz einer Geldschwemme der Notenbank in dieser Zeit lediglich hin und wieder kurz an, um dann immer wieder durch Krisen oder den Verfall von Rohstoffpreisen zu sinken. Die Coronakrise mit ihren massiven Auswirkungen auf die Lieferketten und Preisschüben könnte dies nun ändern. Die Notenbank beobachtet bereits, dass immer mehr Unternehmen ihre in der Deflationsära angelernte Angst vor Preiserhöhungen ablegen.
Bisher galt: Weil die Reallöhne seit Mitte der 1990er-Jahre stagnieren, reagierten die Konsumenten auf Preissprünge bisher oft mit Kaufverzicht. Viele japanische Unternehmen versuchen daher bisher, die bis zu neun Prozent höheren Einkaufspreise für Rohstoffe, Bauteile und Importe auf Kosten ihrer Gewinne abzufedern.
Aber im Dezember gab erstmals seit Jahren eine Mehrheit der Firmenführungen im Tankan-Bericht, dem vierteljährlichen Konjunkturbericht der Notenbank, an, die höheren Einkaufspreise wenigstens teilweise weitergeben zu wollen. Das sei selten, erklärt ein Notenbanker. Zwar gingen die Unternehmen weiter behutsam vor. „Aber die Verschiebung ist signifikant.“
Dieser mentale Wandel in den Unternehmen lässt Japan-Optimisten unter den Anlegern auf steigende Gewinne und damit auch höhere Aktienkurse hoffen. Sean Darby, der Chefstratege des Aktienhauses Jefferies, erwartet, dass der Topix-Index der Tokioter Börse dieses Jahr um 20 Prozent auf 2300 Punkte steigen könnte.
Hoffnung auf höhere Aktienkurse
Experten rechnen damit, dass die japanische Währungspolitik zu Kurssteigerungen an den Märkten führen könnten.
Bild: AP
Ein anderer positiver Faktor ist Japans geldpolitischer Sonderweg, der den Yen-Kurs weiter schwächen könnte. Denn während Koreas Notenbank die Zinsen seit Sommer 2021 anhebt und die USA bald folgen könnten, gilt eine Zinswende in Japan wegen der niedrigen Inflation noch als ferne Zukunftsmusik.
Schon die Aussicht auf wachsende Unterschiede zwischen den Zinsen in Japan und den USA ließen den Yen gegenüber dem US-Dollar in den vergangenen zwölf Monaten um zehn Prozent auf jetzt 113 bis 114 Yen pro Dollar fallen. Viele Wechselkursanalysten wetten nun auf einen weiteren Verfall.
In Kombination mit den höheren Rohstoffpreisen hat dies zwar Japans Importausgaben auf Rekordhöhe getrieben. Dies schürt die Sorge vor einer schrumpfenden Kaufkraft der Unternehmen, Bürger und vor allem Rentner. Die Wirtschaftszeitung „Nikkei“ rechnete ihren Lesern am Donnerstag vor, dass die Kaufkraft des Yens, gemessen am realen effektiven Wechselkurs, auf den niedrigsten Stand seit fast 50 Jahren gesunken ist.
Aber die Notenbank glaubt bisher, dass Japans Wirtschaft unter dem Strich profitiert. Denn je schwächer die Währung wird, desto höher werden durch Umrechnungseffekte die Einnahmen und Gewinne der Exportindustrie im Ausland. Außerdem fordert die Regierung die Unternehmen in der laufenden Lohnrunde auf, angesichts der steigenden Preise nun endlich die Gehälter deutlich zu erhöhen.
Sollte der Preisdruck stärker als erwartet steigen, könnte auch Japans Notenbank ihre ultralockere Geldpolitik etwas zügeln. Aber noch ist dieses Risiko nur Spekulation. Bisher rechnet kaum ein Ökonom damit, dass Japan in den kommenden zwei Jahren sein Inflationsziel von zwei Prozent deutlich überschreiten könnte.
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