Affenpocken-Impfung in den USA
In den Hotspots der USA scheint sich die Krankheit weiterhin vergleichsweise schnell zu verbreiten.
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In den USA wurde wegen der Affenpocken der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Wie bedrohlich ist die Entwicklung? Und wie wird das Virus übertragen?
Die Affenpocken, eine fiebrige und pockenähnliche Erkrankung, verbreiten sich derzeit rund um den Globus. Die USA haben jetzt wegen der „Monkey pox“ (abgekürzt MPX) den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Berlin ist einer der Krankheits-Hotspots weltweit. Wie ist die Krankheit übertragbar? Was schützt vor ihr? Und wo ist sie derzeit am stärksten verbreitet?
Ein aktueller Überblick.
Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC gibt es, Stand Freitag, etwa 27.000 bestätigte Affenpockenfälle weltweit. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wurden in Spanien mit rund 79 Fällen pro einer Million Menschen die meisten Infektionen registriert. Es folgen Portugal mit rund 62 und die Niederlande mit rund 50 Fällen pro Million. Deutschland liegt mit einem Wert von etwa 31 im mittleren Bereich. 2839 Fälle wurden, Stand Freitag, bestätigt.
Als erste Ansteckungs-Hotspots gelten zwei Gay Pride Festivals, die im Mai auf den kanarischen Inseln und in Antwerpen stattgefunden haben. Dazu kommt eine Sauna in Madrid, wo sich mehrere Männer angesteckt haben sollen. Laut der EU-Behörde ECDC gehen die meisten Infektionen in Europa – so auch in Deutschland – letztlich auf Aktivitäten an diesen drei Orten zurück.
In den Hotspots der USA scheint sich die Krankheit weiterhin vergleichsweise schnell zu verbreiten. In New York gab es in der vergangenen Woche einen starken Anstieg der Zahl bestätigter Fälle. Der nun offiziell ausgerufenen Gesundheitsnotstand ist aber weniger durch neue Entwicklungen begründet, sondern wird eher als pragmatische Reaktion auf die bis dahin schon bestehenden Probleme bei Patientenversorgung, Impfstoffbeschaffung und öffentlicher Kommunikation gewertet.
Er ermöglicht es etwa, schnell und unbürokratisch Finanzmittel freizumachen für Patienten und Prävention. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte schon Ende Juli eine „Notlage von internationaler Tragweite“ ausgerufen. Auch hier war dieser formale Schritt notwendig, um der Situation mit mehr Ressourcen begegnen zu können.
Berlin ist der Hotspot in Deutschland (mit am Freitag insgesamt 1418 Fällen) – und auch einer der Hotspots weltweit. Zum Vergleich: New York verzeichnet bislang 1630 Fälle, London 1906, ganz Kalifornien 1135. Nur Madrid mit über 3000 Fällen liegt deutlich darüber.
In Berlin liegt die Zahl der täglichen neuen Fälle seit Mitte Juli aber ziemlich konstant bei täglich 20 bis 30 Fällen. Anders als etwa während der Wellen der Corona-Epidemie gibt es hier derzeit also keinen der gefürchteten exponentiellen Anstiege.
Auch dass der Christopher Street Day vor fast zwei Wochen zu einem Spreader-Event geworden ist, wie von einigen befürchtet, hat sich bisher nicht bewahrheitet. Die Inkubationszeit von MPX liegt allerdings bei fünf bis 21 Tagen.
„Es gibt nach wie vor keinen Grund zur Panik“, sagt Hartmut Stocker, Chefarzt der Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof. Denn auch die Zahl der Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs in die Klinik müssen, stagniere derzeit. Seit Ende Juli sehe man sogar einen leichten Rückgang bei neuen Klinikeinweisungen.
Das bedeute aber noch nicht, dass die Welle zum Stillstand gekommen sei, sagt der Arzt, dessen Abteilung in Berlin die ersten Patienten mit MPX behandelt und seit dem Beginn dieses Ausbruchs auch die meisten schwer Erkrankten stationär versorgt hat.
Der Rückgang bei den Klinikeinweisungen gehe vor allem darauf zurück, dass „die ambulanten Kollegen mit der Infektion immer besser umgehen könnten und deshalb ihre Patienten nicht mehr so oft ins Krankenhaus überweisen müssen“. Zum anderen müsse man jetzt nicht mehr jeden Patienten, der mit Infektionssymptomen in die Notaufnahme komme, stationär aufnehmen, sagt Stocker. Viele könnten gut ambulant behandelt werden.
Affenpocken werden oft über direkten Körperkontakt übertragen und können über extrem kleine Risse der Haut und über Schleimhäute in den Körper eindringen.
Besonders ansteckend sind Hautausschlag, Körperflüssigkeiten und Schorf. Auch Speichel kann infektiös sein, wenn entsprechende Läsionen im Mund auftreten. Hautbläschen im Mundwinkel könnten ein erstes Frühzeichen einer Infektion darstellen.
Menschen können sich auch über Bettlaken, Kleidung, Handtücher oder Gegenstände wie Geschirr, die durch den Kontakt mit einer infizierten Person kontaminiert wurden, anstecken. Das Virus ist laut Robert Koch-Institut (RKI) in der Lage, über Tage bis Monate auf Oberflächen oder Stoffen zu überleben. Affenpocken können auch über die Plazenta auf den Fötus oder durch engen Kontakt während oder nach der Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen werden.
„Auch relativ große Tröpfchen in der Atemluft können zur Infektion beitragen, allerdings können diese sich in der Regel nicht weit verbreiten, sodass ein längerer Kontakt von Angesicht zu Angesicht erforderlich ist“, sagt Benedikt Kaufer, Virologe an der Freien Universität Berlin.
Bei den aktuell erfassten Fällen sind in der überwiegenden Mehrheit Männer betroffen, die Sexualkontakte zu anderen Männern hatten. Ausschläge treten manchmal am Anus beziehungsweise im Rektum und an den Genitalien auf, was wahrscheinlich zur Übertragung bei sexuellem Kontakt beiträgt, schreibt das RKI. Wenn Läsionen im Mund auftreten, könnte das Virus auch übers Küssen übertragen werden.
Forschende haben Affenpocken auch in Urin und Sperma nachweisen können. Es ist noch nicht abschließend geklärt, welche Rolle direkte sexuelle Übertragungswege im Vergleich spielen. Kondome können demnach das Risiko einer Ansteckung verringern, aber nicht völlig ausschließen. Aber: Jeder Mensch, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person hat, kann sich infizieren.
Häufig leiden Betroffene unter Fieber-, Kopf-, Rücken- und Muskelschmerzen und Erschöpfung. Meist schwellen auch Lymphknoten an. Einige Tage nach dem Fieber entwickelt sich ein Ausschlag, der mit flachen roten Flecken beginnt und sich dann zu Bläschen entwickelt, die mit eitriger Flüssigkeit gefüllt sind. Im Durchschnitt treten die Symptome innerhalb von sechs bis 13 Tagen nach dem Viruskontakt auf. Die Inkubationszeit kann aber bis zu drei Wochen betragen. Laut RKI gibt es auch Einzelfälle, bei denen Symptome bereits nach zwei bis vier Tagen auftreten. Meist verläuft die Infektion mild: Die Läsionen verkrusten und verschwinden nach zwei bis vier Wochen wieder.
Das Affenpockenvirus mutiert offenbar deutlich schneller als andere Orthopoxviren. Das legt eine Studie nahe, die im Fachmagazin „Nature Medicine“ erschienen ist und von Forschenden in Lissabon stammt.
Demnach weisen die heutigen Erreger durchschnittlich 50 Mutationen im Vergleich zu übertragenen Affenpocken-Viren von 2018 und 2019 auf. Das sind zwischen sechs- und zwölfmal mehr genetische Veränderungen, als man bei Orthopoxviren in der Regel erwartet. Normalerweise ist bei Affenpocken mit etwa ein bis zwei Mutationen in einzelnen Erbgut-Bausteinen pro Jahr zu rechnen. Die Analyse bezieht sich überwiegend auf Fälle in Portugal.
„Ein solch abweichender Virusstamm könnte auf eine beschleunigte Evolution hindeuten“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Zudem gäben die Daten einen Hinweis auf eine mögliche Anpassung des Affenpocken-Erregers an den Menschen. Letzteres könnte erklären, warum sich das Virus, anders als bei früheren Ausbrüchen, diesmal global verbreitet.
Bislang gehen Fachleute davon aus, dass das Affenpocken-Virus zumindest deutlich langsamer mutiert als das Coronavirus und damit auch seltener neue besorgniserregende Varianten hervorbringen sollte. Denn Affenpocken sind DNA-Viren. Bei deren Vermehrung passieren in der Regel deutlich weniger zu Mutationen führende Fehler als etwa bei Corona, das zu den RNA-Viren zählt. Zurzeit berichten weder die WHO noch das RKI von besorgniserregenden oder unter Beobachtung stehenden Varianten.
Schlange für Impfung
In Kalifornien (Encino, USA) stehen Menschen am 28. Juli 2022 vor einer Affenpocken-Impfstation an.
Bild: AP
Das könnte sich jedoch ändern, wenn Mutationen die Erregereigenschaften verändern und zum Beispiel dazu führen, dass es sich leichter überträgt oder schwerere Krankheitsverläufe verursacht.
Je mehr Menschen sich infizieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse. Auch sie können aber folgenlos bleiben, wenn die Erkrankten „ihr“ Virus nicht weitergeben – ein wichtiger Grund, Kontakte, die zur Übertragung führen können, zu vermeiden.
Bei der Weltgesundheitsorganisation sieht man mit Sorge auf ärmere Länder. In einigen ist das Virus bereits angekommen. Nicht nur die ärztliche und Impfstoffversorgung ist dort oft ein Problem. Auch marginalisierte, stigmatisierte und teils kriminalisierte Communities Homosexueller. Dazu kommt die oft fehlende sexuelle Selbstbestimmung junger Frauen. Manche Fachleute sehen hier eine drohende Parallele zur Aids-Epidemie.
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Diese begann mit Ausbrüchen, die vor allem Homosexuelle in Industrieländern betrafen, hatte später aber verheerende Folgen bei Menschen jeglicher sexueller Ausrichtung etwa in Afrika südlich der Sahara. Zwar sind bislang überall homosexuelle Männer noch die bei Weitem am stärksten betroffene Gruppe, doch es gibt seit Längerem auch Fälle bei Frauen und Kindern, Letzteres seit dieser Woche auch in Europa. Diese Entwicklung ist aber nicht überraschend, unter anderem weil Affenpocken auch durch normalen engen Körperkontakt und gemeinsam benutzte Utensilien übertragen werden können. Letzteres gilt aber als eher beunruhigender Unterschied zu Aids.
Es gibt bislang zwei Todesfälle in Europa, beide in Spanien. Einer der Patienten war wohl immungeschwächt und ist an einem septischen Schock gestorben. Drei weitere Todesfälle außerhalb Afrikas hat die WHO in Brasilien und Indien registriert. Aus Nigeria sind fünf, in Ghana ein Todesfall bestätigt. Es könnte eine Dunkelziffer geben.
„Die zwei in Spanien Verstorbenen gehörten zu insgesamt rund 4000, die sich bei dem aktuellen Ausbruch in Spanien mit MPX angesteckt haben“, sagt Stocker. „Das sind 0,05 Prozent.“ Die Mortalität sei damit immer noch deutlich niedriger, als man es nach den Erfahrungen der vorherigen Ausbrüche von MPX in Afrika erwartet hatte.
Welche genauen Todesursachen hinter der vergleichsweise hohen Anzahl an Verstorbenen bei Ausbrüchen in Afrika stehen, könne man nicht sagen. Wahrscheinlich spiele eine Rolle, dass unterschiedliche Virenstämme für die früheren Ausbrüche in Afrika und die aktuellen in Europa und Nordafrika verantwortlich sind.
Die Krankenhauspatienten werden wegen starker Schmerzen oder Begleitinfektionen mit Bakterien, die sich der viralen Infektion hinzugesellt haben, therapiert. „Infektionen mit Streptokokken oder Staphylokokken können sich zu einer lebensbedrohlichen Sepsis auswachsen.“ Ein besonders hohes Risiko dafür bestehe für Patienten, deren Immunsystem durch eine Erkrankung geschwächt ist, zum Beispiel einer HIV-Infektion. Ebenso für Menschen, die auf den ganzen Körper wirkende immundimmende Medikamente, wie Kortison-Tabletten, einnehmen müssen. Dazu gehören Rheumapatienten oder Menschen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung.
Dass Viren der Pockengruppe ins Gehirn wandern können, ist schon länger bekannt. „Deshalb stand ja schon direkt bei dem Ausbruch in Europa und Nordamerika die Befürchtung im Raum, dass es schwere Hirnhautentzündungen geben könnte, die wiederum viele Todesopfer fordern.“ Doch so sei es nicht gekommen, auch nicht in Berlin, dem Hotspot des aktuellen Affenpocken-Ausbruchs in Deutschland. „Wir haben bisher in unserer Klinik rund 40 Patienten stationär versorgt, darunter aber keinen mit einer Hirnhautentzündung.“ Einer der verstorbenen in Spanien aber litt an einer solchen Komplikation der Infektion.
„Die Impfung wird eine entscheidende Rolle spielen, um in Zukunft schwere oder lebensbedrohliche Krankheitsverläufe zu verhindern.“ Sei die Impfkampagne erfolgreich, „werden wir auch keine Todesfälle mehr sehen“. In Hotspots aber ist der Impfstoff derzeit, gemessen an der Nachfrage, knapp. Das gilt weltweit und auch in Berlin. Eine Impfung empfiehlt in Deutschland die Ständige Impfkommission (Stiko) denjenigen, die engen Kontakt zu Infizierten haben, und bestimmten Risikogruppen. Dazu zählt die Stiko momentan Männer, die gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakt mit wechselnden Partnern haben, sowie Personal in Speziallabors.
CSD
„Wo bleibt die Impfung?“ steht auf einem Protestschild, das am Christopher Street Day am 23. Juli 2022 in Berlin hochgehalten wird.
Bild: Imago Emmanuele Contini
Deutschland hat insgesamt 240.000 Dosen beim Hersteller geordert und bekommt zusätzlich einige Tausend Dosen aus einer gemeinsamen EU-Bestellung. Im globalen Vergleich hat das Bundesgesundheitsministerium damit relativ viel bestellt: Großbritannien zum Beispiel hat 130.000 Dosen eingekauft, viele EU-Länder erhalten nur wenige Tausend.
Bisher sind hierzulande rund 45.000 Dosen angekommen, rund 9500 davon gingen nach Berlin. Die Gesundheitsverwaltung teilte am Freitag auf Anfrage mit, in der kommenden Woche würden vom Bund voraussichtlich 1900 zusätzliche Dosen nach Berlin kommen. Weitere 200.000 sollen im September folgen. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) fordert dringend zusätzlichen Impfstoff insbesondere für die Hauptstadt.
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Die Deutsche Aidshilfe geht von einer Million benötigter Dosen für Deutschland aus. Es müsse „jetzt darüber gesprochen werden, wie die Produktionskapazitäten erhöht werden können, vielleicht andere Hersteller mit ins Boot geholt werden, damit genug Impfstoff produziert werden kann – für Deutschland wie für alle anderen betroffenen Länder“, sagt Holger Wicht von der Aidshilfe. Insbesondere aus der queeren Community kommt die Kritik, die Politik nehme das Hochfahren der Impfkampagne und den Kampf gegen MPX nicht ernst genug – weil bisher nur eine marginalisierte Gruppe betroffen sei.
Es gibt bisher nur wenige und zudem wenig erforschte antivirale Medikamente, die die Ursache der Erkrankung direkt behandeln. Tecovirimat ist derzeit das wichtigste. Es ist das bisher einzige in Europa zur Therapie einer Affenpockeninfektion zugelassene Arzneimittel.
Allerdings ist der Einsatz streng reglementiert. Zum einen gibt es nur eine beschränkte Menge an Therapiedosen, und zum anderen gebe es laut Robert Koch-Institut (RKI) Hinweise, dass das Virus schnell resistent gegen das Mittel wird.
Deshalb solle das „Präparat primär Personen mit der Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs angeboten werden“. Ob das Medikament aber tatsächlich die Chancen deutlich verbessert, ist bisher noch unklar, so das unter anderem für die Überwachung von Infektionskrankheiten zuständige Bundesinstitut. „Zur Wirksamkeit in Bezug beispielsweise auf Narbenbildung oder Symptomdauer gibt es bisher keine Daten, weitere Untersuchungen im Rahmen von Studien sind wünschenswert.“
Das macht die Abwägung von Nutzen und Nebenwirkungen in der Praxis offenbar sehr schwer. „Aus der bisher relativ niedrigen Anzahl schwerer Verläufe kann man keine Untersuchung ableiten, ob und wie gut die Medikamente solche Verläufe verhindern“, sagt Stocker. Zudem wisse man nicht, zu welchem Zeitpunkt der Erkrankung man die Wirkstoffe für den besten Nutzen geben sollte, ob kurz nach den ersten Symptomen oder erst dann, wenn klar ist, dass die Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt.
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