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23.08.2020

14:42

Kremlkritiker

Nawalnys Team verschiebt Auskunft über mögliche Vergiftung

Der prominente Kremlkritiker wird in der Berliner Charité behandelt. Sein Team hat nun die Auskunft über dessen Gesundheitszustand verschoben.

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny soll vor seiner möglichen Vergiftung überwacht worden sein. dpa

Regierungskritiker

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny soll vor seiner möglichen Vergiftung überwacht worden sein.

Moskau Die Mitarbeiter des prominenten Kremlkritikers Alexej Nawalny haben ihre für Sonntag angekündigte Auskunft über die mögliche Vergiftung des Oppositionellen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. „Wir werden das aber definitiv später machen“, schrieb Leonid Wolkow am Sonntagnachmittag auf Twitter.

Genaue Gründe für die Verschiebung nannte er nicht. Wolkow arbeitet für Nawalnys sogenannten Fonds zur Bekämpfung zur Korruption und ist einer seiner engsten Vertrauten. Er hatte am Sonntag auch dessen Frau Julia in die Berliner Universitätsklinik Charité begleitet.

Zuvor hatten er und Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch angekündigt, in ihrem Internetkanal über die mögliche Vergiftung des Kremlkritikers sprechen zu wollen. „Wir werden alles erzählen, was zurzeit über Alexejs Vergiftung bekannt ist“, schrieb Jarmysch ursprünglich. Wann das nun sein wird, war zunächst nicht bekannt.

Nawalny soll nach einem Bericht vor seiner möglichen Vergiftung von den Behörden genau beobachtet worden sein. „Das Ausmaß der Überwachung überrascht mich überhaupt nicht, wir waren uns dessen bereits bewusst“, schrieb Jarmysch am Sonntag auf Twitter. „Aber es ist erstaunlich, dass sie nicht gezögert haben, allen davon zu erzählen.“

Hintergrund ist ein Artikel der Moskauer Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“. Darin werden detailgenau alle Bewegungen des Oppositionellen bei seiner Reise durch Sibirien beschrieben. Nawalny liegt seit Donnerstag im Koma und wird künstlich beatmet. Seit Samstag wird er in der Berliner Charité behandelt. Sein Team geht davon aus, dass er während der Reise durch Sibirien Opfer eines Giftanschlags wurde.

Nawalny ist einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin. In dem Artikel über die Überwachung beruft sich die Zeitung „Moskowski Komsomolez“ auf nicht näher genannte Sicherheitskreise. Darin wird beschrieben, wo sich Nawalny zu jedem Zeitpunkt aufhielt, mit wem er sprach und wo er übernachtete.

Das Team soll mehrere Hotelzimmer angemietet haben, Nawalny sei aber in eine „konspirative“ Wohnung gebracht worden. Jemand aus seinem Team soll Sushi bestellt haben. Dabei sollen die Behörden ihn die ganze Zeit beschattet haben, heißt es in dem Beitrag weiter.

Russischer Mäzen Boris Simin finanzierte Nawalnys Verlegung

Wenn es überhaupt eine Vergiftung gegeben haben soll, könne das wahrscheinlich nur am Flughafen oder im Flugzeug passiert sein, hieß es als Schlussfolgerung. „Alle Bewegungen und Kontakte in der Stadt wurden akribisch untersucht.“ Nawalny selbst betonte damals mehrmals, dass die Behörden sein Team in der Arbeit behinderten. Immer wieder gab es Razzien in seinen Büros. Der 44-Jährige wurde auch oft festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt.

Am Samstag war Nawalny mit einem Spezialflug nach Berlin gekommen. Der Flug war eine private Aktion der Initiative Cinema for Peace um den Filmproduzenten Jaka Bizilj. Für die Kosten kam der russische Unternehmer und Mäzen Boris Simin auf, wie Nawalnys Vertrauter Wolkow auf Facebook schrieb. Er bedankte sich auch bei der Bundesregierung und bei Kanzlerin Angela Merkel, die eine Behandlung in einem deutschen Krankenhaus angeboten hatte.

Mit Informationen aus der Berliner Charité wird frühestens am Montag gerechnet. Filmproduzent Bizilj wollte sich am Sonntag nicht weiter äußern, er verwies auf Nawalnys Familie und das Krankenhaus. „Derzeit erfolgt eine umfangreiche medizinische Diagnostik“, teilte die Charité, Deutschlands größte Uni-Klinik, am Samstag mit. Erst nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie wollen sich die behandelnden Ärzte äußern. Die Untersuchungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen, hieß es weiter.

Dirk Wiese, Russlandbeauftragter der Bundesregierung, hat eine transparente Aufklärung im Fall des möglicherweise vergifteten russischen Regimekritikers Alexej Nawalny gefordert. „Der Vorwurf der Vergiftung steht im Raum. Die rapide Verschlechterung von Nawalnys Gesundheitszustand muss glaubwürdig, transparent und kooperativ mit den russischen Behörden aufgeklärt werden“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Sonntag). Man müsse zunächst abwarten, was die Untersuchungen in der Charité ergäben. Die Ärzte dort hätten die nötige Expertise und Erfahrung.

Scholz besorgt über Nawalnys Zustand

Vize-Kanzler Olaf Scholz zeigte sich besorgt über Nawalnys Gesundheitszustand. „Die Nachrichten über seine plötzliche Erkrankung sind besorgniserregend“, sagte Scholz dem Bielefelder Nachrichtenportal nw.de. Er sei froh, dass es gelungen sei, Nawalny nach Deutschland auszufliegen, damit die Ärzte der Berliner Charité sich um ihn kümmern können. „Ich wünsche mir, dass Herr Nawalny wieder gesund wird. Und wir werden deutlich machen, dass wir als Demokraten es nicht akzeptieren, dass das Leben von Oppositionellen in Gefahr gebracht wird“, sagte Scholz.

Auf die Frage nach möglichen diplomatischen Folgen für den Fall, dass sich der Vorwurf bestätige, antwortete Wiese, dass er sich nicht an Spekulationen beteilige. „Erst einmal müssen die Ärzte den Grund für seine schwere Erkrankung finden. Dies gilt es abzuwarten und dann entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen“, so Wiese zum RND.

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