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02.07.2022

18:30

Kriegsfolgen

Warum die Finanzen der Ukraine in eine gefährliche Schieflage geraten könnten

Von: Daniel Imwinkelried

PremiumDie Ukraine braucht viel Geld, um als Staat zu überleben. Noch aber reichen die ausländischen Finanzhilfen nicht. Das Land greift daher zu zweifelhaften und gefährlichen Maßnahmen.

Das Institut mit Sitz in Kiew hat ein Spendenkonto für das ukrainische Militär eingerichtet. Colourbox

Die Nationalbank der Ukraine

Das Institut mit Sitz in Kiew hat ein Spendenkonto für das ukrainische Militär eingerichtet.

Wien Nächste Woche wird es wieder so weit sein: Politiker unterschiedlichster Länder werden sich auf der „Ukraine Recovery Conference“ im Schweizer Lugano darüber austauschen, was für ein Land die Ukraine künftig sein soll.

Doch das Diskutieren allein dürfte kaum helfen. Das vom Überfall Russlands gebeutelte Land benötigt momentan vor allem viel Geld, um als funktionierender Staat zu überleben. Allein um die Löhne und Pensionen zu bezahlen und grundlegende Dienstleistungen zu erbringen, muss die dortige Regierung monatlich fünf Milliarden Dollar aufbringen. Zugleich ist zu erwarten, dass die Steuereinnahmen schrumpfen, während der Krieg die Staatsausgaben in die Höhe treibt.

Tatsächlich kommt die internationale Finanzhilfe für das Land nur schleppend voran. Und so tut sich für die Ukraine noch ein weiteres Problem auf. Die Zentralbank NBU ist mittlerweile in die Finanzlücke gesprungen, indem sie Papiere des Staates erwirbt. Das allerdings, so warnt sie selbst, ist ein gefährliches Unterfangen.

In den Statistiken des ukrainischen Staates spiegelt sich das Problem der sinkenden Steuereinnahmen zwar noch nicht wider. Dafür ist das Jahr noch zu jung. Zwangsläufig wird der Staat aber unter sinkenden Einkünften leiden, weil die Wirtschaftsaktivitäten wegen des Kriegs teilweise zum Erliegen gekommen sind.

Im März und im April hat die Ukraine nur etwa halb so viele Güter ausgeführt wie in denselben Monaten 2021. Im Vergleich mit der Zeit vor dem Krieg waren die Kapazitäten der Unternehmen laut der NBU nur zu 60 Prozent ausgelastet.

Dadurch erleiden die Ukrainer zugleich Lohneinbußen. „Viele Firmen sind nicht mehr in der Lage, dieselben Saläre zu bezahlen wie vor dem neuerlichen Angriff Russlands im Februar“, sagt Olga Pindyuk, Ökonomin beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.

Anders als bei den Einnahmen zeigt sich auf der Ausgabenseite bereits, in welch schwierige Lage die Ukraine geraten ist. Im ersten Quartal sind die Aufwendungen des Staates im Vergleich mit dem Vorjahr um 36 Prozent gestiegen, vor allem weil sich die Verteidigungsausgaben vervierfacht haben. Hinzu kommt: Wegen des Kriegs ist die Ukraine derzeit nicht in der Lage, am Kapitalmarkt Obligationen aufzunehmen.

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In diese Lücke springt nun teilweise die NBU, indem sie – widerwillig und aus der Not heraus - Staatsanleihen kauft. Erst am 23. Juni hatte der Finanzstabilitätsrat der Ukraine, dem unter anderem Vertreter der NBU angehören, gemahnt, dass die Finanzierung des Staates durch die Zentralbank hohe Risiken berge.

So drohten durch die Geldmengenausweitung Inflation und der Kurszerfall der heimischen Währung Hrywnja. Am Schwarzmarkt ist diese bereits jetzt im Vergleich mit dem Dollar weniger wert, als das das von NBU bestimmte offizielle Austauschverhältnis vorgibt.

Um die Inflation in Schach zu halten und den Wert der Hrywnja zu verteidigen, hat die NBU Anfang Juni den Leitzins von zehn auf 25 Prozent angehoben. Zuvor hatte die Ukraine Anleihen für einen Zins von neun bis zehn Prozent ausgegeben. Gleichzeitig wirft die NBU Devisen auf den Markt, um den Kurs der Hrywnja zu verteidigen. Zeitweise hat sie pro Woche bis zu eine Milliarde Fremdwährungen verkauft.

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Solche Transaktionen sollten aber nur in begrenztem Ausmaß getätigt werden, warnt die NBU. Denn die Ukraine benötigt die Fremdwährungen, um die Importe zu bezahlen.

Zentralbank genießt einen guten Ruf

Die Worte der Zentralbanker haben Gewicht. In der Ukraine und im Ausland genießt die NBU einen guten Ruf. Sie gilt als Institution, die westliche Standards erfüllt, und unterscheidet sich darin vom Justizwesen, dessen Reputation weiterhin angeschlagen ist. Umso wichtiger sei es, so sagen Ökonomen, dass die Regierung auf die Signale der Zentralbank höre.

Deshalb benötige die Ukraine, um ihre finanzielle Verfassung zu schonen, auch ausländische Finanzhilfe. Aber das brauche Zeit, beklagt die NBU in einem Paper vorsichtig. Tatsächlich kommt die rein finanzielle Unterstützung für das Land nur schleppend voran.

Als sich beispielsweise die Finanzminister der G7-Staaten im Mai trafen, stellte es sich als schwierig heraus, den Betrag von 9,5 Milliarden US-Dollar für die Ukraine aufzubringen. „Wir nähern uns der politischen Frage, was uns die Ukraine überhaupt wert ist“, sagt Gunter Deuber, Research-Chef der Wiener Raiffeisenbank International (RBI), die im Land eine Retailbank besitzt.

Dabei sollte die Ukraine von den Ländern in erster Linie Zuschüsse und nicht Kredite erhalten. „Darlehen sind für die Ukraine finanziell nicht nachhaltig“, befand die Schweizer Ökonomin Beatrice Weder di Mauro auf einer Konferenz schon vor zwei Monaten. Schließlich wird die Verschuldung des Landes rasch steigen. Deuber von der RBI schätzt, dass sie nächstes Jahr 100 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) erreichen werde. „Für ein Schwellenland ist das zu viel.“

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Russland scheint dagegen paradoxerweise wirtschaftlich besser dazustehen als die Ukraine – obwohl die westlichen Staaten ein Sanktionspaket nach dem anderen gegen den Aggressor geschnürt haben. Anfang Juni hat die russische Zentralbank beispielsweise den Leitzins auf 9,5 Prozent gesenkt. Damit ist er wieder auf dem gleichen Stand wie vor dem Krieg.

Gleichzeitig erzielt das Land hohe Einnahmen mit Rohstoffexporten und weist nur eine geringe Verschuldung auf. Die westlichen Sanktionen wird Russland wohl erst schmerzhaft spüren, wenn spezialisierte Bestandteile für Industrie- und Militärgüter knapp werden.

Die vorerst verhältnismäßig solide Verfassung werde Russland möglicherweise für propagandistische Zwecke nutzen, sagt Deuber von der RBI. Putin könnte behaupten, dass es den Russen wirtschaftlich besser gehe als den Ukrainern. „Ich befürchte, dass er diese Karte spielen wird“, meint der Ökonom.

Vieles wird davon abhängen, wie hoch die finanzielle Hilfe ausfällt, welche die Ukraine in den kommenden Monaten erhält. Für die Regierung des Landes dürfte es eher noch schwieriger werden, sich im Ausland Gehör zu verschaffen. In den westlichen Industrieländern verschlechtert sich die Wirtschaftslage rapide – und das wird die Hilfsbereitschaft kaum befördern.

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