Bisher überwiegen militärische Drohgebärden: Doch China könnte Taiwan auch wirtschaftlich angreifen. Drei Ökonomen erklären, wie realistisch ein solches Szenario ist.
China bedrängt Taiwan
Die Volksrepublik hat Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung auf der Insel verhängt.
Bild: dpa
Tokio Kriegsschiffe, Militärjets, Raketen: Seit dem Besuch von US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan hält Peking die Weltöffentlichkeit mit militärischen Drohgebärden in Atem. Weniger öffentlichkeitswirksam erscheinen die Wirtschaftssanktionen, die China gerade gegen seinen kleinen Nachbarn erlässt. Doch gerade diese könnten eine unheilvolle Dynamik entfalten, sollte Peking seine ökonomischen Strafen ausweiten.
Schon unmittelbar vor Nancy Pelosis Besuch am vergangenen Donnerstag hatte Peking die ersten Sanktionen verhängt. Der chinesische Zoll setzte unter dem Vorwand fehlender Genehmigungen die Einfuhren von mehr als 100 Lebensmittelunternehmen aus. Kurze Zeit später wurde der Sandexport gestoppt.
Beide Maßnahmen sind volkswirtschaftlich nur wenig bedeutsam, aber die symbolische Bedeutung ist klar: „China könnte Taiwan wirtschaftlich stark unter Druck setzen“, sagt Max Zenglein, Chefvolkswirt der Berliner China-Denkfabrik Merics. „Das Ausmaß der Sanktionen ist ein wichtiger Indikator, den man beachten muss.“
Die Exporte des Landes, das global der wichtigste Hersteller von Halbleitern ist, machen 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Angetrieben vom Technikboom stiegen sie allein 2021 um 26 Prozent auf 446 Milliarden Dollar. Und von dieser Summe entfielen 42 Prozent auf China und Hongkong. Tatsächlich ist kein anderes Land der Welt so mit Chinas Volkswirtschaft verwoben wie Taiwan.
Die hohe Exportabhängigkeit drücke die Lage allerdings nur unzureichend aus, meint Zenglein: „China ist wichtiger für Taiwan, als es die Exportdaten andeuten.“ Während es durch Beschränkungen kaum chinesische Investitionen auf der Insel gibt, zählten Taiwaner zu den ersten, die in China investierten – und das massiv.
Zwischen 1991 und 2021 haben taiwanische Unternehmen nach Regierungsangaben 193 Milliarden US-Dollar auf dem Festland investiert, deutlich mehr als das dreimal so bevölkerungsreiche Deutschland. Darunter sind Konzerne wie der Auftragsfertiger Foxconn, der aus seinen chinesischen Megawerken die Welt mit Smartphones und anderer Elektronik beliefert. „Doch China spielt auch eine besonders wichtige Rolle für kleine und mittelständische Unternehmen“, betont Zenglein.
Die Wette Taiwans auf das Festland wirkt paradox angesichts der historischen Lage. Nach dem Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg gab es jahrzehntelang keinen Handel. Und nun untermauert Peking, dass es Taiwan weiterhin als Teil der Volksrepublik sieht, der notfalls mit Gewalt ins Reich der Mitte zurückgeholt werden soll.
Erstaunlich wirkt dabei auf den ersten Blick, dass Chinas traditionelle Politik von Wirtschaftssanktionen bisher nur Randbereiche angreift, nicht aber Taiwans Lebensadern wie die Halbleiterindustrie oder den Maschinenbau. Seit 2018 stellte Peking schrittweise den Tourismus ein, 2021 den Export von Ananas und Äpfeln. „Das sind Bereiche, die Taiwan nicht groß schmerzen und China auch nicht“, sagt Chinaexperte Zenglein. Für ihn ist es daher ein ermutigendes Zeichen, dass das Land bei Wirtschaftssanktionen bisher zurückhaltend bleibt. „Wenn Peking taiwanische Unternehmen in China drangsaliert oder wichtigere Produktgruppen sanktioniert, wäre eine nächste Stufe der Eskalation erreicht.“
Der Grund für Pekings Zurückhaltung bei Wirtschaftssanktionen ist: China bleibt vorerst noch angewiesen auf Lieferungen aus Taiwan. Iris Pang, Chefvolkswirtin der globalen Großbank ING in Hongkong, meint zwar, dass Chinas Überleben nicht unbedingt von Importen aus Taiwan abhängt. „Aber Halbleiter sind für Chinas Industrie wichtig – besonders was die Elektronikproduktion und Reexporte ins Ausland betrifft.“
Dahinter steht Taiwans bedeutende Rolle in der globalen Hightech-Lieferkette, erklärt die Volkswirtin. Laut dem taiwanischen Marktberater Trendforce stehen der Halbleiterriese TSMC und andere Firmen der Branche für insgesamt 26 Prozent der Einnahmen der globalen Chipindustrie.
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Daran hat bisher auch Chinas Plan nichts geändert, selbst eine führende Halbleiterindustrie aufzubauen. „Viele Vorprodukte aus Taiwan können noch nicht ersetzt werden, da in China eher die unteren Teile der Techniklieferkette abgedeckt werden, während die taiwanischen Unternehmen ihre Hightech-Teile daheim aufbewahren“, sagt Pang.
Deshalb kann es sich Peking nicht leisten, den Export von Rohstoffen auf die Insel zu unterbinden: Die Führung in Peking würde für solche Sanktionen einen hohen wirtschaftlichen Preis zahlen. „Es ist eine sehr komplexe, voneinander abhängige Lieferkette“, sagt die Volkswirtin. Und so genieße Taiwan derzeit noch Bestandsschutz durch die Globalisierung.
Die Regierung von Präsidentin Tsai Ing-wen traut allerdings dem angespannten Wirtschaftsfrieden mit China nicht. 2016 startete sie die „neue südwärts gerichtete Strategie“, die Investitionen von taiwanischen Unternehmen in Süd- und Südostasien fördert. Taiwan befinde sich durch den eigenen Konflikt mit China und den Handelskrieg der Supermächte in einer riskanten Situation, erklärt Kristy Hsu, Direktorin für Südostasien-Beziehungen an der Chung-Hua-Institution für wirtschaftliche Forschung (CIER).
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„China und andere Länder versuchen, durch Protektionismus eigene Lieferketten zu entwickeln“, sagt Hsu. Damit steige der Druck auf TSMC und andere Firmen, auch Werke in Übersee zu bauen.
Taiwan steht vor einem Dilemma: „Die Nachfrage aus China nach unseren Produkten ist so stark, dass wir uns nicht einfach aus dem Markt zurückziehen können“, erläutert die Handelsexpertin. Allerdings versucht Taiwan verstärkt, sich durch Freihandelsabkommen Alternativen zu schaffen.
Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen
Tsai traut dem Wirtschaftsfrieden mit China nicht.
Bild: VIA REUTERS
Und so übertrafen 2021 die Investitionen nach Südostasien erstmals die nach China. Mit den wachsenden Spannungen zwischen den USA und China könnte die Bewegung noch an Schwung gewinnen, glaubt Hsu. „Wichtiger als Subventionen sind die Forderungen von Firmenkunden aus Europa und den USA, dass taiwanische Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren.“
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Mit der Taiwankrise würden die multinationalen Konzerne ihre Strategien nochmals überdenken und ein höheres Tempo anmahnen, glaubt Hsu. Viele von ihnen würden sich selbst perspektivisch von China abwenden und ihre Zulieferer mitziehen. Das Fazit der Ökonomin: „Weitere Sanktionen würden uns nicht überraschen.“ Aber die würden sich weiterhin auf Sektoren konzentrieren, die Chinas Wirtschaft nicht beeinträchtigen. „Ich glaube nicht, dass Halbleiter betroffen sein werden“, sagt Hsu.
Die Unsicherheit ist allerdings groß. ING-Volkswirtin Pang warnt, dass China durch fortgesetzte Manöver die Schifffahrt bremsen könnte. Dennoch sagt Pang Taiwans Wirtschaft für 2022 ein Wachstum von drei Prozent voraus. „Aber ich weiß nicht, wie groß der Druck auf Exporte und Importe noch wird.“
Derzeit würde die Industrie bestehende Bestellungen erfüllen, aber die Spannungen könnten die Kunden umdenken lassen, meint Pang. „Wir müssen uns die neuen Aufträge im nächsten Jahr ansehen, um die Auswirkungen der aktuellen Taiwankrise erkennen zu können.“
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