Russland und die Ukraine wollen in den nächsten Tagen Ergebnisse liefern. Russland will bei seinem Angriff unweit von Lwiw „bis zu 180 ausländische Söldner“ getötet haben.
Ein Soldat in Mariupol
Die Hilferufe aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol – Heimat von mehr als 400.000 Menschen – werden dramatischer.
Bild: dpa
Berlin Im Ringen um eine Verhandlungslösung im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben sich beide Seiten zurückhaltend optimistisch geäußert. „Wenn wir die Positionen der beiden Delegationen heute mit denen zu Beginn vergleichen, werden wir deutliche Fortschritte feststellen“, sagte der russische Außenpolitiker Leonid Sluzki am Sonntag im Staatsfernsehen. Er gehört der Delegation an, die mit der Ukraine seit zwei Wochen verhandelt, bislang aber ohne Durchbruch.
Nach Auffassung Sluzkis könnten sich beide Seiten „schon in den nächsten Tagen“ auf eine gemeinsame Position verständigen und dies in entsprechenden Dokumenten unterzeichnen.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak rechnete ebenfalls „in wenigen Tagen mit konkreten Ergebnissen“. Er sagte in einem bei Twitter veröffentlichten Video, Russland stelle bei den Verhandlungen keine Ultimaten, sondern höre den ukrainischen Vorschlägen zu.
Nach russischen Angaben gibt es aktuell keine Gespräche zwischen Russland und der Ukraine. Diese würden aber am Montag fortgesetzt, zitiert die Agentur Ria Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Zuvor hatte der ukrainische Präsidentenberater Alexej Arestowytsch gesagt, beide Länder würden am Sonntag aktiv Gespräche führen.
Moskau fordert, dass Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch anerkennt sowie die Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängige „Volksrepubliken“. Das lehnt die Ukraine ab.
Kiew werde keine seiner Positionen aufgeben, sagte Podoljak. Ihm zufolge fordert die Ukraine ein Ende des Kriegs und den Abzug russischer Truppen. „Es gibt einen Dialog“, sagte Podoljak.
Kremlsprecher Dmitri Peskow schloss am Sonntag im Staatsfernsehen erneut ein Treffen von Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski nicht aus. „Wir müssen aber verstehen, was das Ergebnis dieses Treffens sein soll und was dort besprochen wird.“ Die Bedingungen für direkte Gespräche auf höchster Ebene würden bei den Treffen der Delegationen besprochen.
Bei einem Raketenangriff auf einen Truppenübungsplatz unweit der Stadt Lwiw (Lemberg) wurden am Sonntagmorgen nach ukrainischen Angaben mindestens 35 Menschen getötet und 134 verletzt. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums sagt, bei dem Angriff seien „bis zu 180 ausländische Söldner“ getötet worden.
Zudem habe man viele Waffen zerstört, die von ausländischen Nationen geliefert worden seien. Russland werde seine Angriffe auf ausländische Söldner fortsetzen. In Lwiw sammeln sich seit Tagen zahllose Flüchtlinge aus den umkämpften Regionen der Ukraine, um nach Polen zu gelangen.
Der Übungsplatz Jaworiw liegt nur etwa 15 Kilometer von der Grenze zum EU- und Nato-Mitglied Polen entfernt. Dort waren vor dem Krieg auch Militärausbilder aus Nato-Staaten tätig. Videos und Fotos zeigten schwere Zerstörungen. Gebietsgouverneur Maxym Kosyzkyj teilte mit, es seien mehr als 30 Raketen abgefeuert worden.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow forderte nach dem Angriff erneut eine international kontrollierte Flugverbotszone über der Ukraine. Dies wurde von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem Interview der Zeitung „Welt am Sonntag“ nochmals abgelehnt.
Nach dem Raketenangriff nahe der polnischen Grenze bekräftigte das US-Verteidigungsministerium die Beistandsverpflichtung der Nato-Staaten. „Ein bewaffneter Angriff gegen einen wird wie ein bewaffneter Angriff auf alle bewertet“, sagte Sprecher John Kirby am Sonntag dem TV-Sender ABC. Dies sei auch der Grund, warum die US- und Nato-Streitkräfte ihre Präsenz an der östlichen Grenze des Bündnisgebiets verstärkten.
Der Raketenangriff hat die Bevölkerung in der benachbarten polnischen Grenzregion beunruhigt. „So nah ist uns der Krieg noch nie gekommen“, sagte eine Einwohnerin von Korczowa am Sonntag im polnischen Fernsehen. „Ich habe die Explosionen gehört.“
Eine andere Frau berichtete, ihre Fenster hätten gezittert. „Es war wie ein Erdbeben.“ Eine Bewohnerin von Przemysl sprach in einem Interview der Zeitung „Gazeta Wyborcza“ von nervöser Stimmung.
Rund um die ukrainische Hauptstadt kam es nach ukrainischen Angaben auch am Sonntag zu heftigen Kämpfen, etwa in Irpin und weiter westlich in Makariw. Am Samstag gelang es, etwa 20.000 Menschen aus Orten im Umkreis von Kiew in Sicherheit zu bringen.
In der Nähe von Kiew wird gekämpft
Ukrainische Soldaten gehen in Irpin nordwestlich von Kiew vor Artilleriebeschuss in Deckung.
Bild: dpa
Die Hauptstadt bereitet sich auf eine mögliche vollständige Blockade durch russische Truppen vor. Es seien Vorräte mit Lebensmitteln angelegt worden, um zwei Millionen Kiewer zwei Wochen lang zu versorgen, sagte der stellvertretende Leiter der Stadtverwaltung, Walentyn Mondryjiwskyj, am Sonntag. „Diese zwei Millionen Kiewer, die ihre Häuser nicht verlassen haben, werden nicht allein gelassen.“
Im Südosten des Landes bedrängen russische Truppen weiter die seit Tagen belagerte Hafenstadt Mariupol mit rund 400.000 Einwohnern. Nach ukrainischen Angaben wurden dort bislang etwa 2200 Bewohner getötet.
Am Sonntag ist nach Angaben aus Kiew erneut ein Versuch gescheitert, Menschen aus der belagerten Hafenstadt Mariupol in Sicherheit zu bringen. „Es ist nicht gelungen, Mariupol zu erreichen“, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk am Sonntag dem Portal „strana.news“. Der Konvoi sei in der Stadt Berdjansk geblieben, weil es Luftangriffe auf Mariupol gegeben habe. „Aber morgen früh versuchen wir es nochmal“, kündigte Wereschtschuk an.
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Bisher war noch kein Versuch erfolgreich, Hilfsgüter in die umkämpfte Stadt am Asowschen Meer zu transportieren und Einwohner herauszuholen. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld daran.
In der westlich von Mariupol gelegenen Stadt Melitopol setzte Russland erstmals in einem eroberten Gebiet eine eigene Statthalterin ein. Die Lokalabgeordnete Halyna Daniltschenko rief die Bevölkerung auf, sich „an die neue Realität“ anzupassen. Der Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, war zuvor nach Kiewer Angaben an einen unbekannten Ort verschleppt worden – ebenso wie der Bürgermeister der Kleinstadt Dniprorudne.
Nordwestlich von Melitopol, nahe der 600.000 Einwohner zählenden Industriestadt Krywyj Rih, gab es Berichte über eine größere Ansammlung russischer Truppen. Die Angaben waren unabhängig nicht überprüfbar.
Ein US-Videojournalist ist nach Angaben der Polizei im Großraum Kiew bei einem Angriff russischer Truppen umgekommen. Ein weiterer Journalist sei verletzt worden, teilte die Polizei am Sonntag auf ihrer Webseite mit.
Russische Soldaten hätten in Irpin in der Nähe der Hauptstadt das Feuer auf das Auto von Brent Renaud und dessen Kollegen eröffnet. Der Verletzte sei in ein Krankenhaus in Kiew gebracht worden.
„Natürlich birgt der Berufsstand des Journalismus Risiken“, hieß es in der Polizeimitteilung weiter. „Nichtsdestotrotz hat der US-Bürger Brent Renaud mit seinem Leben bezahlt, als er versuchte, die Tücke, Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit des Aggressoren zu beleuchten.“
Bei neuen Demonstrationen gegen den Krieg sind in Russland nach Angaben von Bürgerrechtlern landesweit mehr als 800 Menschen festgenommen worden. Insgesamt seien am Sonntag Demonstranten in mehr als 35 russischen Städten auf die Straßen gegangen, teilte die Organisation OWD-Info am Abend mit.
Das russische Innenministerium sprach von etwa 300 Festnahmen bei den nicht genehmigten Kundgebungen allein in der Hauptstadt Moskau. Aktionen gab es etwa auch in Wladiwostok im äußersten Osten Russlands und in Irkutsk am Baikalsee.
Protestierende in Moskau
Hunderte Menschen wurden bei den Demonstrationen festgenommen.
Bild: IMAGO/ITAR-TASS
Bilder und Videos in sozialen Netzwerken zeigten, wie Menschen von Polizisten mit Schutzhelmen und schwerer Ausrüstung weggezerrt wurden. Es gab auch Videos aus dem Inneren von völlig überfüllten Gefangenentransportern.
Insgesamt wurden den Angaben von OWD-Info zufolge seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar mehr als 14.100 Menschen festgenommen. Auch der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalni hatte seine Landsleute aufgerufen, gegen den Krieg auf die Straße zu gehen.
In mehreren deutschen Großstädten sind Menschen am Sonntag gegen den Krieg Russlands in der Ukraine auf die Straße gegangen. Nach Angaben der Veranstalter demonstrierten bundesweit 125.000 Menschen für den Frieden – in Berlin demnach 60.000 Menschen, in Stuttgart 35.000, in Frankfurt 12.000, in Hamburg 10.000 und in Leipzig 8000.
Zu den Demonstrationen hatte ein Bündnis aus Friedens-, Menschenrechts-, Umweltschutzorganisationen sowie Gewerkschaften und Kirchen aufgerufen. Sie fordern, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sofort alle Angriffe einstellt, sich aus der Ukraine zurückzieht und die territoriale Integrität des Landes wiederherstellt.
In Berlin liefen die Demonstranten vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. Die Polizei sprach von 20.000 bis 30.000 Teilnehmern, die Veranstalter von 60.000. Unter ihnen waren junge wie alte Menschen, auch Familien mit Kindern beteiligten sich.
Manche hatten Luftballons in Blau und Gelb dabei, den Farben der Ukraine. Andere trugen Transparente mit Aufschriften wie „Stop War“, „Peace“ oder „Wo bleibt die Impfung gegen Krieg“. Auch Beschimpfungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin wie „Master of War“ oder „Fuck you Putin“ waren zu lesen. 550 Polizisten waren im Einsatz. Die Stimmung in der Hauptstadt war friedlich, die meisten Teilnehmer trugen Masken.
Demonstrationen in Berlin
Die Menschen in Deutschland gehen gegen den Krieg auf die Straße.
Bild: IMAGO/Marius Schwarz
Am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, hatten mehr als hunderttausend Menschen in Berlin demonstriert. Mitten in der Berliner Demonstration fuhr diesmal ein Düsseldorfer Karnevalswagen mit einem riesigen Pappmaché-Putin, der sich die Ukraine in den Rachen stopft, mit.
Das Motiv mit dem Spruch „Erstick dran!!!“ stammt von dem Düsseldorfer Jacques Tilly, der Karnevalswagen entwirft und baut. Der Karnevalszug in Düsseldorf war wegen der Coronapandemie verschoben worden. Der Wagen wurde von einer Privatinitiative nach Berlin gebracht.
In Stuttgart protestierten rund 35.000 Menschen am Oberen Schlossgarten vor der mit einer großen Ukraine-Flagge geschmückten Oper gegen Putin. Viele Menschen hielten Ukraine-Flaggen und Fahnen mit Friedenstauben oder dem Peace-Zeichen in den Händen.
Auch in Frankfurt am Main kamen Tausende Menschen zusammen. Unter den Teilnehmern waren auch zahlreiche Familien mit Kindern. An Kinderwagen und Babytragen prangten ukrainische Flaggen und selbst gemalte Schilder, die Frieden forderten.
In Hamburg kamen nach Angaben von Veranstalter und Polizei mindestens 10.000 Menschen zu einer Kundgebung am Jungfernstieg zusammen. Die russische Regierung müsse unverzüglich alle Angriffe einstellen und sich aus der Ukraine zurückzuziehen, forderten die Organisatoren der Demo. Bereits am vergangenen Wochenende waren in Hamburg nach Polizeiangaben in der Spitze 30.000 Menschen gegen den russischen Angriffskrieg auf die Straße gegangen.
Mit Agenturmaterial
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