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05.04.2022

20:51

Lage am Abend

US-Generalstabschef: Russland und China wollen Regeln der Weltordnung ändern

Von: Jana-Sophie Brüntjen

Der US-General warnt vor weiteren Kriegen wie dem in der Ukraine. Die Nato beobachtet zugleich eine Umgruppierung der russischen Truppen.

„Das Potenzial für erhebliche internationale Konflikte zwischen Großmächten nimmt zu, nicht ab.“ AP

US-Generalstabschef Mark Milley

„Das Potenzial für erhebliche internationale Konflikte zwischen Großmächten nimmt zu, nicht ab.“

Düsseldorf Der Krieg in der Ukraine könnte nach Einschätzung des US-Generalstabschef Mark Milley nur der erste in einer Reihe größerer internationaler Konflikte sein. „Wir haben es jetzt mit zwei Weltmächten zu tun, China und Russland, die beide über beträchtliche militärische Fähigkeiten verfügen und die Absicht haben, die Regeln der derzeitigen Weltordnung grundlegend zu ändern“, sagte er am Dienstag vor dem Streitkräfteausschuss im Repräsentantenhaus.

Die Welt werde immer instabiler. „Das Potenzial für erhebliche internationale Konflikte zwischen Großmächten nimmt zu, nicht ab“, warnte er.

Den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bezeichnete Milley als die „größte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Europa, vielleicht sogar in der ganzen Welt“, die er in seinen 42 Dienstjahren für das Militär erlebt habe.

Die Invasion untergrabe „den globalen Frieden und die Stabilität, für deren Verteidigung meine Eltern und eine ganze Generation von Amerikanern so hart gekämpft haben“, sagte Milley weiter. Der Generalstabschef betonte, dass er davon ausgehe, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine lange geplant habe.

Das russische Militär scheint derweil seine Pläne in der Ukraine abzuändern. Die Nato beobachte deutliche Treppenbewegung weg von der Hauptstadt, sagte der Generalsekretär des Bündnisses, Jens Stoltenberg. Die Truppen werden demnach neu gruppiert und neu bewaffnet.

Vor diesem Hintergrund sei eine verstärkte russische Offensive im Osten und im Süden der Ukraine zu erwarten, warnte Stoltenberg. Russland werde versuchen, den gesamten Donbass einzunehmen und eine Landbrücke zur bereits besetzten ukrainischen Halbinsel Krim zu schaffen.

Das Militärbündnis verstärkt als Reaktion auf die russischen Aggressionen seine Ostflanke. Reuters

Nato-Soldaten bei einer Übung

Das Militärbündnis verstärkt als Reaktion auf die russischen Aggressionen seine Ostflanke.

Für einen „inhaltsvollen Dialog“ mit Russland sieht Stoltenberg derzeit keine Chance. Russland sei ein Land, das eklatant gegen das Völkerrecht verstoße, das militärische Gewalt gegen eine unabhängige souveräne Nation wie die Ukraine anwende und das für Gräueltaten verantwortlich sei.

Zugleich betonte Stoltenberg, dass die Nato mit Russland weiter in Kontakt bleiben müsse. Russland sei ein Nachbar und in den Beziehungen gehe es auch um Themen wie Risikominderung, Transparenz, Konfliktentschärfung und Fragen im Zusammenhang mit Rüstungskontrolle.

Stoltenberg berichtete zudem von Fortschritten bei der Verstärkung der Ostflanke. „Wir haben jetzt im östlichen Teil der Allianz 40.000 Soldaten unter direktem Nato-Kommando“, sagte er Hinzu kämen Hundertausende Truppen in erhöhter Alarmbereitschaft und Hunderte Schiffe und Flugzeuge.

Die Nato hatte kürzlich begonnen, neue Gefechtsverbände in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Slowakei aufzubauen. Diese sollen angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine die Abschreckung und die Verteidigungsfähigkeiten weiter erhöhen.

Selenski vor dem UN-Sicherheitsrat

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat der russischen Armee erneut schwere Verbrechen vorgeworfen. Die Gräueltaten an Bewohnern der Stadt Butscha seien kein Einzelfall. „Die Welt hat jetzt gesehen, was Russland in Butscha getan hat, aber die Welt hat noch nicht gesehen, was sie in anderen besetzten Städten und Regionen unseres Landes getan haben“, sagte er am Dienstag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York per Videoschalte.

„Butscha ist leider nur eines von vielen Beispielen dafür, was die Besatzer getan haben“, sagte der ukrainische Präsident weiter. Es sei nicht anderes als die Handlungen von Terroristen und handele sich um die schlimmsten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. Russland müsse dafür zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Selenski

Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Nordwesten der ukrainischen Hauptstadt hatten Aufnahmen von Leichen auf den Straßen von Butscha international für Entsetzen gesorgt. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten verantwortlich. Diese hatten die kleine Stadt bis vor kurzem besetzt. Moskau bestreitet die Vorwürfe und spricht von einer Inszenierung, allerdings ohne Beweise oder Belege.

Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja sprach bei der Sitzung des Sicherheitsrats am Dienstag erneut von „unbegründeten Anschuldigungen“ gegen das russische Militär, die „von keinerlei Augenzeugen“ bestätigt worden seien. Videos und Satellitenbilder aus Butscha widerlegen allerdings nach einer Analyse der „New York Times“ die Moskauer Behauptungen.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski berichtete vor dem Rat von mutmaßlichen Verbrechen der russischen Armee. dpa

Sitzung des UN-Sicherheitsrats

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski berichtete vor dem Rat von mutmaßlichen Verbrechen der russischen Armee.

Die umkämpfte ukrainische Hafenstadt Mariupol gleiche derzeit einem „Zentrum der Hölle“, sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths bei der Sicherheitsratssitzung. „Seit mehr als fünf Wochen sind die Menschen in Mariupol schon in Kämpfe verwickelt. Es ist gut dokumentiert, dass Mariupol ein Zentrum der Hölle ist.“

Selenski warf dem Gremium Versagen vor. „Wo ist der Sicherheitsrat? Es ist offensichtlich, dass die zentrale Institution der Welt zum Schutz von Frieden nicht effektiv arbeiten kann.“

Entscheidungen des Sicherheitsrats seien aber für den Frieden in der Ukraine notwendig. Er schlage deswegen drei mögliche Lösungen vor: Den Beweis, dass Reform oder Veränderung möglich seien, den Ausschluss von Russland, das als ständiges Mitglied jede Entscheidung blockieren kann, oder die komplette Auflösung des Rates.

Auch die gesamten Vereinten Nationen bräuchten Veränderung, sagte Selenski. Für eine Reform schlug er unter anderem eine große „globale Konferenz“ in Kiew vor. „Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um der nächsten Generation eine effektive UN zu übergeben“, sagte der ukrainische Präsident. „Die Ukraine braucht Frieden, Europa braucht Frieden und die Welt braucht Frieden."

Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte, die Stadt sei wie das „Zentrum der Hölle“. Reuters

Verwüstung in Mariupol

Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte, die Stadt sei wie das „Zentrum der Hölle“.

EU-Kommission will Importstopp für Kohle

Die EU-Kommission will die Gräueltaten in Butscha nicht unbeantwortet lassen und legte einen Vorschlag für ein umfangreiches Paket mit neuen Russland-Sanktionen vorgestellt. Es beinhaltet nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter anderem ein Importverbot für Kohle aus Russland, eine Hafensperre für russische Schiffe sowie weitere Handelsbeschränkungen. Ob die Sanktionen wie vorgeschlagen verhängt werden, müssen nun die 27 EU-Staaten entscheiden.

Es ist das erste Mal, dass die EU mit ihren Sanktionen das lukrative Geschäft Russlands mit fossilen Energieträgern ins Visier nimmt. Die EU arbeite bereits an zusätzlichen Sanktionen, darunter auch Öl-Importe, sagte von der Leyen. Erdgas erwähnte sie nicht.

Die EU importiert etwa 40 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus Russland. Deutschland und andere Staaten haben sich gegen ein Importverbot für russisches Erdgas ausgesprochen. Konsens unter den 27 EU-Staaten war, dass diese Einfuhren nicht so leicht zu ersetzen sind wie Kohle und Öl.

Weitere aktuelle Berichte zum Krieg:

Außenministerin Annalena Baerbock stellte sich grundsätzlich hinter die EU-Pläne, forderte aber einen gemeinsamen Fahrplan zum Komplettausstieg aus allen fossilen Energieimporten aus Russland. Die Antwort auf die Kriegsverbrechen, die man in der Ukraine gesehen habe, müsse das fünfte Sanktionspaket sein, sagte die Grünen-Politikerin.

Ihr Parteikollege und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte, er halte weitere Sanktionen gegen Russland für „dringend erforderlich“ und verwies auf laufende Beratungen der EU-Kommission mit den EU-Staaten dazu. „Die Gräueltaten von Butscha dürfen nicht ungesühnt bleiben.“
Daher erwarte und wolle er „ein scharfes Sanktionspaket“, sagte Habeck. Es sei richtig, dass auch darüber geredet werde, Kohle in dieses Paket mit hineinzunehmen.

Medwedew stimmt Russen auf längere Kämpfe ein

Aus Russland kommen weiter keine Zeichen für ein baldiges Ende des Krieges. Der frühere russische Staatschef Dmitri Medwedew stimmte sein Land auf einen längeren Kampf gegen die Ukraine ein. Präsident Wladimir Putin habe als Ziel die „Demilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine ausgegeben, schrieb Medwedew am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal. „Diese schwierigen Aufgaben sind nicht auf die Schnelle zu erfüllen.“

Russland hat den Angriff auf die Ukraine am 24. Februar unter anderem mit einer „Entnazifizierung“ des Landes begründet - ein aus Sicht der meisten Experten unhaltbarer Vorwand.

Noch schärfer als Putin in seinen öffentlichen Äußerungen setzte Medwedew die Ukraine mit dem nationalsozialistischen Dritten Reich gleich. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Ukraine das gleiche Schicksal erleiden würde wie das Dritte Reich, schrieb er: „Das ist der Weg für so eine Ukraine.“ Aber der Zusammenbruch könne den Weg für „ein offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“ öffnen.

Experten zeigten sich besorgt über die Aussage des ehemaligen Staatschefs. „Medwedew ist der Auffassung, Russland mache in der Ukraine den ersten Schritt zur Schaffung eines freien Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“, kommentierte der Bonner Osteuropahistoriker Martin Aust auf Twitter. „Wir müssen alles tun, damit der Ukraine und Europa dies erspart bleibt.“

Ähnlich wie Medwedew stellte am Sonntag ein Kommentar der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti das Existenzrecht der Ukraine und Ukrainer als Volk in Frage.

Unter der Überschrift „Was Russland mit der Ukraine machen sollte“ forderte der Autor eine auf Generationen angelegte Umerziehung unter russischer Kontrolle. „Entnazifizierung wird unweigerlich auch Entukrainisierung bedeuten“, hieß es.
Mit Agenturmaterial
Mehr: Alle Entwicklungen im Ukrainekrieg im Newsblog

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