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06.04.2022

13:44

Lage am Mittag

Kämpfe in Mariupol und Charkiw – Ukraine ruft zum Verlassen von Luhansk auf

Von: Anna Kipnis

Mehr als 500 weitere Menschen sind laut Rotem Kreuz aus Mariupol geflohen. Bundeskanzler Scholz forderte eine schnelle Einigung bei der Finanzierung der Flüchtlings-Aufnahme.

Lage am Mittag: Kämpfe in Mariupol und Charkiw  IMAGO/ITAR-TASS

Zerstörtes Gebäude in Mariupol

In der ukrainischen Stadt befänden sich noch 160.000 Personen.

Düsseldorf In der Ukraine setzen russische Truppen ihre Angriffe mit unverminderter Härte fort. Die Städte Mariupol im Südosten und Charkiw im Norden der Ukraine lagen am Mittwoch unter schwerem Artilleriefeuer.

Die humanitäre Lage im eingekesselten Mariupol verschlechtere sich weiter, teilte das britische Verteidigungsministerium auf Grundlage von Geheimdienstberichten mit. Ukrainische Behörden riefen die Bewohner des Bezirks Luhansk im Osten des Landes auf, die Region zu verlassen, solange das noch möglich sei.

Das ukrainische Militär erwartet im Donbass, der neben Luhansk auch den Bezirk Donezk umfasst, einen Großangriff der russischen Armee.

Das russische Militär hatte zuletzt mitgeteilt, sich bei seinen Angriffen auf den Osten der Ukraine zu konzentrieren. Dort sollen die Gebiete Luhansk und Donezk voll unter die Kontrolle der prorussischen Separatisten gebracht werden.

Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk kündigte an, am Mittwoch solle versucht werden, elf Korridore im ganzen Land zu öffnen, damit Zivilsten aus den Kampfgebieten flüchten könnten. Dort befinden sich nach britischen Angaben immer noch 160.000 Menschen. Die humanitäre Lage verschlechtere sich, meldete das britische Verteidigungsministerium auf Twitter.

Rotes Kreuz: Mehr als 500 weitere Menschen aus Mariupol geflohen

Mehr als 500 weiteren Menschen ist nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) die Flucht aus der von russischen Truppen eingekesselten Hafenstadt Mariupol gelungen.

Aus dem Fluchtkorridor aus Mariupol soll ein Weg für Privatfahrzeuge in Richtung der Stadt Saporischschja führen. Reuters

Humanitäre Hilfe in Mariupol

Aus dem Fluchtkorridor aus Mariupol soll ein Weg für Privatfahrzeuge in Richtung der Stadt Saporischschja führen.

Ein IKRK-Team habe einen Konvoi aus Bussen und Privatautos in die südukrainische Stadt Saporischschja geleitet, nachdem die Zivilisten auf eigene Faust aus der Stadt geflohen seien, teilte die Hilfsorganisation mit.

Allerdings benötigten weiterhin Tausende Zivilisten, die in Mariupol eingeschlossen seien, sicheres Geleit und Hilfe, sagte der IKRK-Delegationsleiter in der Ukraine, Pascal Hundt. Die Ukraine macht die russischen Streitkräfte dafür verantwortlich, dass mehrfach Bus-Konvois für größere Evakuierungen nicht nach Mariupol durchkamen.

Zuletzt waren solche Evakuierungs-Pläne mehrfach gescheitert. Dem Internationalem Roten Kreuz gelang es in den vergangenen Tagen wiederholt nicht, mit einem Hilfskonvoi nach Mariupol zu gelangen, weil die Lage zu gefährlich gewesen sei. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für den Bruch geplanter Feuerpausen verantwortlich, die zum Abbruch geplanter Evakuierungen oder Hilfslieferungen führten.

Wieder Explosionen in Lwiw

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, man habe in der Ukraine ein Flugabwehrraketensystem vom Typ Osa, fünf Munitions- und Treibstofflager sowie elf Militärstützpunkte der ukrainischen Armee zerstört. Insgesamt habe die russische Armee 24 militärische Ziele im Nachbarland getroffen. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Die Ukraine bestätigte aber Raketeneinschläge in den Gebieten Lwiw, Winnyzja und Dnipro. Auch die ostukrainische Großstadt Charkiw war nach Behördenangaben wieder Ziel russischer Attacken. Es habe 27 Angriffe mit verschiedenen Waffen gegeben.

Russland meldete am Mittwoch zudem einen Angriff auf Grenztruppen des Landes in der an den Norden der Ukraine angrenzenden Region Kursk. Urkainische Einheiten hätten mit Mörsergranaten das Feuer auf einen Grenzposten in Sudschanski eröffnet, teilte der Kursker Gouverneur Roman Starowoitz mit. Das Feuer sei erwidert worden, es habe keine Verletzten gegeben. Die Ukraine bestritt einen Angriff auf russischem Gebiet.

Polen erfasste am Dienstag weitere 21.000 Menschen aus der Ukraine, insgesamt sind dort inzwischen 2,52 Millionen Flüchtlinge angekommen. Die jüngste offizielle Zahl für die Bundesrepublik: 313.209.

Die Schulen und Berufsschulen in Deutschland haben inzwischen mehr als 40.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine aufgenommen. Das zeigen wöchentlich erhobene Zahlen, die am Mittwoch von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlicht wurden. Die Bundesländer meldeten demnach in der vergangenen Woche genau 41.170 an ihren Schulen registrierte Kinder und Jugendliche aus der Ukraine.

Druck auf Russland erhöhen

Unterdessen hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Länder aufgerufen, sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine nicht in einen Streit über die Finanzierung zu verstricken. „Ich wünsche mir, dass wir nicht eine ewig lange Diskussion über die finanziellen Fragen zwischen den verschiedenen Ebenen unseres Landes haben, sondern dass wir uns schnell und zügig einigen zwischen dem Bund, den Ländern“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Bundestag. Die eigentliche Aufgabe sei, den Flüchtlingen zu helfen, die in Deutschland Schutz gesucht hätten.

Scholz verurteilte erneut den russischen Krieg in der Ukraine und vor allem die Ermordung von Zivilisten in Butscha. dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz

Scholz verurteilte erneut den russischen Krieg in der Ukraine und vor allem die Ermordung von Zivilisten in Butscha.

Scholz verurteilte erneut den russischen Krieg in der Ukraine und vor allem die Ermordung von Zivilisten in Butscha. „Die entsetzlichen Bilder aus Butscha heben uns sehr erschüttert“. Die Ermordung von Zivilisten sei ein Kriegsverbrechen.

Die Täter und Auftraggeber sollten zur Rechenschaft gezogen werden. „Wir müssen damit rechnen, dass wir noch weitere solcher Bilder sehen werden.“ Scholz forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu auf, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen – bis dahin unterstützte die Bundesregierung die Ukraine weiter.

Indes rief der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski erneut zu einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland auf. Einige Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse hielten Kriegsverbrechen offenbar für nicht so schlimm wie wirtschaftliche Verluste, sagte er in einer Video-Ansprache vor dem irischen Parlament. „Ich kann keine Unentschlossenheiten bei Sanktionen tolerieren nach dem, was russische Truppen getan haben.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte neben einem Importstopp von Kohle auch ein Ölembargo an. dpa

Plenarsitzung des Europäischen Parlaments

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte neben einem Importstopp von Kohle auch ein Ölembargo an.

Die USA und ihre Verbündeten wollen wegen der mutmaßlichen Kriegsverbrechen den Druck auf Russland mit weiteren Sanktionen erhöhen. So sollen jegliche neuen Investitionen in Russland verboten werden.

Zudem würden bereits geltende Strafmaßnahmen gegen Banken und staatliche Unternehmen verschärft, teilte die US-Regierung mit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drohte neben einem Importstopp von Kohle auch ein Ölembargo an. „Jetzt müssen wir uns Öl anschauen und die Einnahmen, die Russland aus fossilen Brennstoffen bezieht“, sagte sie vor dem Europäischen Parlament.

In der EU ist umstritten, ob sofort alle Energie-Importe gestoppt werden sollten. Damit würde zwar die russische Wirtschaft empfindlich getroffen, mehrere europäische Staaten wie Deutschland fürchten in dem Fall allerdings massive wirtschaftliche Rückschläge.

Weitere aktuelle Berichte zum Krieg:

Aus der Europäischen Union sind nach Angaben ihres Außenbeauftragten Josep Borrell seit Kriegsbeginn 35 Milliarden Euro für Energieimporte nach Russland geflossen. Dies zeige, wie wichtig es sei, die Abhängigkeit der EU von Energieimporten zu reduzieren, sagte der Spanier am Mittwoch im Straßburger Europaparlament. Dies müsse über den Ausbau erneuerbarer Energien geschehen. Das Vorgehen gegen den Klimawandel gehe nun Hand in Hand mit der Geopolitik.

Zudem sprach sich Borrell für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Bislang hat die EU in zwei Paketen insgesamt eine Milliarde Euro für militärische Ausrüstung, aber auch für Güter wie Treibstoff und Verbandskästen bewilligt.

Selenski forderte erneut eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland angesichts des Verdachts von Kriegsverbrechen. dpa

Videoansprache von Wolodimir Selenski

Selenski forderte erneut eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland angesichts des Verdachts von Kriegsverbrechen.

Darüber hinaus stellt die EU humanitäre Hilfe für das Land bereit. Dazu zählen etwa Hilfsgüter und ein Soforthilfepaket im Umfang von 500 Millionen Euro. Die EU-Staaten können zudem bis zu 17 Milliarden Euro aus dem europäischen Gemeinschaftshaushalt für die Aufnahme und Unterstützung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nutzen. US-Außenminister Antony Blinken kündigte Ausgaben von 100 Millionen Dollar an, mit denen etwa Panzerabwehrsysteme finanziert werden sollen.

Auf militärischer Ebene hat die Führung in Moskau hat nach russischen Angaben derzeit keinen Kontakt zum Westen. Man habe nichts mit der Nato nichts zu besprechen, sagte Vize-Außenminister Alexander Gruschko laut der russischen Nachrichtenagentur Tass.

Allerdings will Russland an den diplomatischen Beziehungen festhalten. Mit der jüngsten Ausweisung zahlreicher russischer Diplomaten schadeten diese Länder nur ihren eigenen Interessen, zitierte die russische Nachrichtenagentur Interfax Gruschko.

Merkel will sich nicht neu positionieren

In Deutschland dreht die Debatte weiter, ob die Bundesregierung früher zu russlandfreundlich war. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – früher langjähriger Außenminister – hatte zuletzt Fehler eingeräumt.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich aber vorerst nicht erneut positionieren, wie eine Sprecherin in Berlin sagte. Merkel hatte den russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar scharf verurteilt und sich hinter die Bemühungen ihres SPD-Nachfolgers Scholz gestellt, Putin zu stoppen.

Mit Agenturmaterial

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