Deutschland gibt das Hanf frei – und kanadische Cannabis-Produzenten rechnen sich große Exportchancen aus. Trotz der geplanten Legalisierung zeichnen sich aber Probleme ab.
Cannabis-Anbau in Kanada (Archiv)
Seit Kanada 2018 als erstes Industrieland der Welt Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert hat, sind dort zahlreiche Plantagen entstanden.
Bild: Bloomberg
Toronto An fast jeder Straßenecke der kanadischen Großstadt Toronto gibt es mittlerweile Cannabis-Geschäfte. Und in manchen Dörfern der Umgebung findet man zwar keinen Bäcker, dafür aber einen Laden, der die Droge verkauft.
Seit Kanada 2018 als erstes Industrieland der Welt Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisiert hat, haben etliche Anbieter Milliarden Dollar in den Bau von Plantagen und die Expansion gesteckt.
Doch die anfängliche Goldgräberstimmung hat zu großen Überkapazitäten geführt. Kanada produziert mehr Cannabis, als es selbst verbrauchen kann. Viele Kunden kaufen trotz der legalen Option weiterhin die billigere Ware vom Schwarzmarkt. Im vergangenen Jahr wurden laut Angaben des kanadischen Gesundheitsministeriums 468 Tonnen getrocknetes, unverkauftes Cannabis vernichtet.
Die ganze Branche macht hohe Verluste. Nach der anfänglichen Euphorie bei Privatanlegern und Investoren sind die Aktienkurse der drei größten kanadischen Cannabis-Firmen Tilray, Canopy Growth und Aurora Cannabis im letzten Jahr abgestürzt.
Bei der Suche nach Exportmärkten hoffen die Unternehmen auf Deutschland: Die geplante Legalisierung von Genussmittel-Cannabis wäre eine große Wachstumschance. Branchenexperten erwarten, dass die Nachfrage in Europas größter Volkswirtschaft bis zu 400 Tonnen pro Jahr erreichen könnte, viermal so viel wie in Kanada im ersten Jahr nach der Legalisierung.
Medizinisches Cannabis ist in Deutschland bereits seit 2017 legal. Kürzlich bestätigte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), dass die Ampelkoalition nächstes Jahr auch den Freizeitkonsum erlauben will. Ein Gesetzentwurf ist für diesen Herbst geplant. Deutschland wäre das erste Land in der Europäischen Union, das die Droge als Genussmittel freigibt.
Schon jetzt ist Kanada für Deutschland das wichtigste Importland für Heilcannabis. Durch eine Liberalisierung könnte der Absatz deutlich steigen: Die in Frankfurt ansässige Bloomwell Group, ein Vertriebsunternehmen für medizinisches Cannabis, schätzt das Marktvolumen in Deutschland im ersten Jahr der Legalisierung auf 16 Milliarden Euro.
Allerdings könnte die Gesetzgebung die Einfuhr von kanadischem Cannabis auf einige Zeit verbieten. Deutschland ist an das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 gebunden, das die Ein- und Ausfuhr von Cannabis für den Freizeitkonsum untersagt. Eine Neuverhandlung der internationalen Verträge würde nach Einschätzung von Experten Jahre dauern.
„Ich bin skeptisch, dass in Kanada angebautes Cannabis nach Deutschland importiert werden wird“, sagt daher Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie. „Ich denke stattdessen, dass kanadische Unternehmen hier investieren und anbauen werden“, sagte Haucap.
Das bedeutet: Die kanadischen Produzenten müssten neue Mittel aufbringen, um neue Anlagen im Ausland zu errichten oder auszubauen, was nicht so leicht werden dürfte.
Als die kanadischen Unternehmen ihre ersten Fabriken in Kanada errichteten, konnten sie innerhalb weniger Jahre Hunderte Millionen Dollar an der Börse einnehmen und damit die Produktion ankurbeln.
Nun müssen die Unternehmen jedoch Mitarbeiter entlassen und Fabriken schließen, um die Überkapazitäten abzubauen. Aurora, ein Anbieter mit dem Anspruch auf besonders hochwertige Produkte, schrieb 2021 einen Jahresverlust von umgerechnet 0,5 Milliarden Euro. Konkurrent Canopy machte einen Verlust von 0,2 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2022.
Derzeit scheint die Eigenkapitalfinanzierung für neue Fabriken unerreichbar, vor allem weil sich die Stimmung an den Kapitalmärkten in diesem Jahr dramatisch abgekühlt hat. Laut Daten des Finanzdatenanbieters Refinitiv haben Cannabisunternehmen im Jahr 2022 bisher nur umgerechnet 27 Millionen Euro durch Aktienverkäufe eingenommen, deutlich weniger als die 2,1 Milliarden Euro im Vorjahr.
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Einen Vorsprung dürften die zwei Konzerne Tilray und Aurora haben, die schon jetzt in Deutschland medizinisches Cannabis produzieren. Eine weitere Produktionslizenz hat darüber hinaus nur das deutsche Start-up Demecan, das seine Fabrik bei Dresden aus der Insolvenzmasse der kanadischen Firma Wayland gekauft hat.
Laut Sascha Mielcarek, dem Europadirektor von Tilray, wurde die Anlage in Deutschland so gebaut, dass sie für eine schnelle Expansion bereit ist. Die Fabrik könnte „die Kapazität in sechs bis zwölf Monaten verdoppeln“. Tilray besitzt auch eine europäische Vertriebsgesellschaft und eine zweite Anlage in Portugal.
In seinem letzten Quartalsbericht gab Tilray an, dass es in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent halte. Für größere Investitionen im Land befinde sich das Unternehmen „in einer sehr guten Position“, sagte Mielcarek.
Aurora verfügt neben seinem Werk in Deutschland über Anlagen in Dänemark. Dem Unternehmen gehört zudem die Pedanios GmbH, ein Großhändler für medizinisches Cannabis in Europa. Aurora sieht sich durch seine „globale und nationale Erfahrung gut gerüstet, um erfolgreich zu sein“, sobald die Zeit für die Öffnung des deutschen Marktes gekommen ist.
Die Firma profitiere von der jahrelangen Zusammenarbeit mit Regulierungsbehörden und Märkten in ganz Europa. „Wenn man versteht, wie die Regulierungsbehörden in Europa arbeiten, ist das ein Vorteil“, sagte der Direktor von Aurora für Europa, Axel Gille, der kanadischen Zeitung „Globe and Mail“.
Betriebsstätte von Demecan
Das Start-up hat als eines von wenigen Unternehmen eine Produktionslizenz für Deutschland.
Bild: Demecan
Kanadische Unternehmen werden zudem voraussichtlich versuchen, bestehende deutsche Firmen zu übernehmen. Constantin von der Groeben, Mitgründer von Demecan, berichtete im Gespräch mit dem Handelsblatt von mehreren Angeboten.
„Einige wollen uns komplett kaufen, andere wollen investieren und ein Joint Venture gründen“, so der Gründer. „Im Moment wollen wir unabhängig bleiben.“ Das Start-up könnte nach eigenen Angaben seine derzeitige Produktion von einer Tonne innerhalb eines Jahres verzehnfachen.
Doch die künftige Nachfrage wird kaum allein durch Cannabis made in Germany zu befriedigen sein. „Es wird Jahre dauern, bis wir in Deutschland die Kapazitäten haben, um den Markt auch nur annähernd abzudecken“, sagte Bloomwell-Geschäftsführer Niklas Kouparanis.
Es habe mehr als vier Jahre gedauert, bis in Deutschland medizinisches Cannabis angebaut wurde. Derzeit reiche die Menge nur, um 20 Prozent des deutschen Bedarfs an medizinischem Cannabis zu decken.
Kouparanis hält zudem Deutschland für weniger geeignet, um Cannabis anzupflanzen. „Wenn wir in Deutschland anbauen, müssen wir kompetitiv zum Schwarzmarkt sein, was die Verkaufspreise anbelangt.“ Das gelinge nur mit großen Anbauflächen, wo günstig produziert werden kann.
Aufgrund der hohen Energie- und Lohnkosten hierzulande sei das schwierig, sagt Kouparanis. „Da gibt es in südeuropäischen Ländern wie Portugal und Spanien mehr Möglichkeiten.“
Mitarbeit: Irene Galea
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