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05.08.2020

08:09

Libanon

Schwere Explosion in Beirut: 100 Tote und fast 4000 Verletzte – Trump spekuliert über Bombe

PremiumDie Detonation ereignete sich nahe dem Hafen der Hauptstadt des Libanon. Dort sollen Tausende Tonnen Ammoniumnitrat gelagert worden sein. Amateuraufnahmen zeigen die riesige Druckwelle.

Das Hafengebiet bietet ein Bild der Verwüstung. AFP

Beirut

Das Hafengebiet bietet ein Bild der Verwüstung.

Beirut Einen Tag nach der gewaltigen Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut ist die Zahl der Todesopfer nach Angaben des Roten Kreuzes am Mittwoch auf 100 gestiegen. Fast 4000 Menschen wurden laut offiziellen Angaben verletzt.

Noch am Abend durchsuchten Rettungskräfte Trümmer im Hafen Beiruts. Die Detonation war noch bis Zypern zu spüren. Die genaue Ursache für die Explosion blieb weiter unklar.

„Wir können keinen Ermittlungen zuvorkommen“, sagte der Chef für innere Sicherheit, Abbas Ibrahim. Am Ort der Explosion sei aber hochexplosives Material gelagert gewesen. Innenminister Mohammed Fahmi sagte dem Fernsehsender Al-Jadid, seit 2014 sei im Hafen Ammoniumnitrat gelagert worden.

Präsident Michel Aoun erklärte dazu auf Twitter, es sei inakzeptabel, dass dort 2750 Tonnen des Stoffs sechs Jahre lang ohne Sicherheitsmaßnahmen gelagert worden seien. Ministerpräsident Hassan Diab kündigte im Fernsehen an, die Verantwortlichen würden „den Preis für dieses Desaster“ zahlen. Hinweise auf einen Anschlag oder einen politischen Hintergrund gab es am Dienstag nicht.

Aoun bat außerdem um rasche internationale Hilfe. Sie müsse schnell bereitgestellt werden, weil sein Land bereits unter der herrschenden Wirtschaftskrise leide, sagte Aoun in einer TV-Ansprache am Mittwoch. Er versprach zudem eine zügige und transparente Aufklärung der Umstände, die zu der verheerenden Explosion am Dienstag geführt haben.

Bei der Explosion in einer Lagerhalle im Hafen der libanesischen Hauptstadt sind mindestens 100 Menschen ums Leben gekommen und fast 4000 Menschen verletzt worden. Die Regierung vermutet als Auslöser hochexplosives Material, dort das seit Jahren gelagert worden sei. In Sicherheitskreisen wurde auf Schweißarbeiten an der Lagerhalle verwiesen.

Das hochexplosive Material könnte von einem Frachtschiff stammen, dem libanesische Behörden laut Berichten im Jahr 2013 wegen verschiedener Mängel die Weiterfahrt untersagt hatten. Das Schiff war von Georgien ins südafrikanische Mosambik unterwegs. Der Besatzung gingen Treibstoff und Proviant aus, der Inhaber gab das Schiff dann offenbar auf. Der Crew wurde nach einem juristischen Streit schließlich die Ausreise genehmigt. Das Schiff blieb zurück mit der gefährlichen Ladung, die in einem Lagerhaus untergebracht wurde.

Ammoniumnitrat, das auch zur Herstellung von Sprengsätzen dienen kann, kann bei höheren Temperaturen detonieren. Die Substanz dient zum Raketenantrieb und vor allem zur Herstellung von Düngemittel. In Deutschland fällt die Handhabung von Ammoniumnitrat unter das Sprengstoffgesetz.

Dem Deutschen Geoforschungszentrum GFZ zufolge waren die Erschütterungen der Explosion mit einem Erdbeben der Stärke 3,5 vergleichbar. Weite Teile des Hafens wurden dem Erdboden gleichgemacht.

Das Rote Kreuz war mit 30 Teams im Einsatz. Die Armee half, Verletzte in Krankenhäuser zu bringen. Bürger wurden aufgerufen, Blut zu spenden. Das Auswärtige Amt informiert auf Twitter, dass auch Mitarbeiter der deutschen Botschaft verletzt wurden. Deutschland prüfe nun, wie es dem Libanon helfen könne, heißt es weiter.

Im Internet kursierten Fotos von zerstörten Fenstern an Wohnhäusern und Trümmern auf den Straßen. Dutzende Autos wurden beschädigt. Ein Polizist sagte, die Schäden erstreckten sich kilometerweit. Kurz nach der Explosion fielen Telefon und Internet in der Stadt aus.

Nach einer ersten Explosion kam es offenbar zu mindestens einer weiteren. Auf Videoaufnahmen von Anwohnern war ein riesiges Feuer im Hafen zu sehen, das viel Rauch in die Luft steigen ließ. Es kam zu Lichtblitzen, die mutmaßlich von Feuerwerkskörpern stammten. Lokale Fernsehsender berichteten, die Explosion habe sich im Hafen in einem Bereich ereignet, in dem Feuerwerkskörper gelagert wurden. Die Flammen schienen sich dann auf ein Gebäude nebenan auszubreiten, was eine noch größere Explosion auslöste.

Nach der Detonation, die die Stadt erschütterte, stieg eine pilzförmige Rauchwolke auf. Augenzeugen berichteten von einer orangefarbenen Wolke über dem Explosionsort. Orangefarbene Wolken aus giftigem Stickstoffdioxid sind häufig Begleiter von Explosionen, an denen Nitrate beteiligt sind.

„Das war wie eine Atomexplosion“, sagte Walid Abdo, ein 43 Jahre alter Lehrer aus der Nähe von Beirut. Der im Hafen arbeitende Charbel Hadsch berichtete, zuerst habe es kleine Explosionen wie Feuerwerk gegeben, dann sei es zu einer riesigen Detonation gekommen, bei der er weggeschleudert worden sei. Seine Kleidung war zerrissen. Andere Augenzeugen erzählten von vielen Menschen, die von umherfliegendem Glas und Trümmern verletzt worden seien. Ein Mitarbeiter des Zivilschutzes sagte, es lägen noch Leichen im Hafen, viele unter Trümmern.

Ein Reuters-Reporter beschrieb einen Feuerball, zerborstene Fensterscheiben und abgerissene Balkone sowie schreiende Menschen, die auf den Straßen umherliefen. Eine weitere Reporterin der Nachrichtenagentur schilderte graue Rauchwolken, dann eine Explosion und Flammen. „Alle Fenster in der Innenstadt sind zerstört“, sagte sie kurz nach der Detonation. „Es herrscht völliges Chaos.“

Nach Angaben aus Sicherheitskreisen waren die Krankenhäuser in Beirut nicht in der Lage, die Zahl der Verletzten zu bewältigen. Einige seien zur Behandlung außerhalb der Stadt gebracht worden. Aus umliegenden Teilen des Landes wie dem Bekaa-Tal wurden Krankenwagen angefordert.

Hinweise auf einen Anschlag oder einen politischen Hintergrund gab es zunächst nicht. Wenige Kilometer vom Ort der Explosion entfernt waren 2005 der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und 21 weitere Menschen bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden. Die Residenz seines Sohns, des früheren Ministerpräsidenten Saad Hariri, wurde bei der Explosion am Dienstag beschädigt.

An diesem Freitag will das UN-Libanon-Sondertribunal in Den Haag sein Urteil gegen vier Angeklagte in dem Fall von 2005 verkünden. Viele im Libanon machen die Führung des Nachbarlandes Syrien für den Anschlag auf Hariri verantwortlich. Er hatte vor seinem Tod den Abzug der damals im Libanon stationierten syrischen Truppen verlangt.

Der Gouverneur von Beirut, Marwan Abbud, brach bei einem Besuch am Explosionsort in Tränen aus. „Beirut ist eine verwüstete Stadt“, sagte er.

Merkel, EU und Politiker weltweit stellen Hilfe in Aussicht

Regierungschef Hassan Diab erklärte den Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer im Gedenken an die Opfer. Präsident Michel Aoun berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Verteidigungsrats ein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich erschüttert gezeigt. „Unsere Gedanken sind bei denen, die Angehörige verloren haben. Den Verletzten wünschen wir eine schnelle Genesung“, zitierte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer die Kanzlerin bei Twitter. „Wir werden dem Libanon unsere Unterstützung anbieten.“

Der Krisenstab habe dazu am Mittwochvormittag getagt, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es gebe verletzte Deutsche. Die genaue Zahl stehe aber noch nicht fest. „Die Lage vor Ort muss als chaotisch bezeichnet werden.“
Ein Sprecher des Innenministeriums ergänzte, das Technische Hilfswerk (THW) werde nach Möglichkeit noch am Mittwoch mit einem 47 Personen starken Team nach Beirut reisen. Es könne bei der Bergung von Verschütteten, Toten und Sachwerten helfen.
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, die Hintergründe der Explosion seien noch unklar. Deutschland habe keine eigenen Erkenntnisse dazu. „Die Corona-Pandemie erschwert natürlich die Zusammenarbeit.“

Die EU hat dem Libanon Beistand in Aussicht gestellt. „Die Europäische Union ist bereit, Hilfe und Unterstützung zu leisten“, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am Dienstagabend mit. Seine Gedanken seien beim libanesischen Volk und den Familien der Opfer.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb: „Die Europäische Union bekundet ihre uneingeschränkte Solidarität und ihre volle Unterstützung für die Familien der Opfer sowie für das libanesische Volk und die libanesischen Behörden.“ Zur möglichen Ursache der Katastrophe äußerten sich die EU-Politiker nicht.

UN-Generalsekretär António Guterres hat mit Bestürzung auf die Explosion reagiert. „Der Generalsekretär drückt den Familien der Opfer sein tiefstes Beileid aus, genauso wie dem Volk und der Regierung“, erklärte ein Sprecher in New York. Guterres wünsche den Verletzten eine schnelle Genesung. Darunter seien auch einige Mitarbeiter der UN, die in dem Land arbeiten. „Die Vereinten Nationen verpflichten sich weiterhin, den Libanon in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen, und helfen aktiv bei der Aufarbeitung dieses Vorfalls“, hieß es weiter.

Große Teile des Hafengeländes sind dem Erdboden gleichgemacht. AFP

Nach der Explosion in Beirut

Große Teile des Hafengeländes sind dem Erdboden gleichgemacht.

Auch die USA haben der libanesischen Bevölkerung Unterstützung in Aussicht gestellt. Die US-Regierung beobachte die Entwicklung genau und stehe bereit, das libanesische Volk zu unterstützen, sich von der Tragödie zu erholen, erklärte US-Außenminister Mike Pompeo. Er sprach allen von der „massiven Explosion“ Betroffenen sein tiefstes Mitleid aus. Ihm sei von den beträchtlichen Schäden berichtet worden. Der Vorfall stelle eine „zusätzliche Herausforderung in einer Zeit der ohnehin tiefen Krise“ dar, erklärte Pompeo.

US-Präsident Donald Trump erklärte unterdessen, dass er einen Anschlag für möglich halte. Seine „Generäle“ gingen angesichts der Art der Explosion davon aus, dass es sich um eine Art Bombe gehandelt haben müsse, sagte Trump im Weißen Haus. Die USA „stehen bereit, dem Libanon zu helfen“, sagte Trump.

Obwohl sich Israel und der Libanon offiziell noch im Krieg befinden, hat auch Israel humanitäre Hilfe angeboten. „Unter Anweisung von Verteidigungsminister Benny Gantz und Außenminister Gabi Aschkenasi hat Israel sich an den Libanon durch internationale diplomatische und Verteidigungs-Kanäle gewandt“, teilten beide Minister in einer gemeinsamen Stellungnahme mit. Der libanesischen Regierung sei „medizinische humanitäre Hilfe“ angeboten worden. Der Libanon und Israel haben keine diplomatischen Beziehungen. Spekulationen, dass Israel hinter der Explosion stecken könnte, räumte Außenminister Aschkenasi aus.

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