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21.10.2022

08:01

Liz Truss

Die Chronik eines Machtverfalls

Von: Torsten Riecke

Die britische Premierministerin Liz Truss gibt auf. Wie konnte es zum Regierungschaos in London kommen und wie geht es jetzt weiter? Die wichtigsten Antworten.

Der Amtssitz der britischen Premierministerin Liz Truss in 10 Downing Street am Donnerstagmorgen. AP

Politischer Herbst in 10 Downing Street: Premierministerin Liz Truss steht vor der Ablösung

Der Amtssitz der britischen Premierministerin Liz Truss in 10 Downing Street am Donnerstagmorgen.

London Die britische Premierministerin Liz Truss steht sechs Wochen nach ihrer Amtsaufnahme bereits vor ihrer Ablösung. Es ist die kürzeste Amtszeit einer Regierungschefin, die es in Großbritannien je gegeben hat. Wie konnte es dazu kommen? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Regierungskrise in London:

Rücktritt von Liz Truss: Warum ist die Regierungskrise in London diese Woche eskaliert?

Zuvor musste sie auf Druck der Finanzmärkte bereits ihren Gesinnungsgenossen Kwasi Kwarteng als Schatzkanzler entlassen. Kwarteng wollte Truss‘ Agenda mit einem Finanzpaket – einem sogenannten „Mini-Haushalt“ – umsetzen.

Warum ist auch Innenministerin Braverman zurückgetreten und was bedeutet das?

Offiziell begründete Truss die Entlassung ihrer Innenministerin mit einem formalen Verstoß Bravermans gegen Geheimhaltungsvorschriften. Tatsächlich waren sich die beiden Frauen politisch uneinig: Truss wollte die Einwanderungsregeln lockern, um mehr Wachstum zu erzeugen. Die Brexit-Anhängerin Braverman war kategorisch dagegen.

Die ehemalige Innenministerin konnte sich mit Liz Truss politisch nicht einigen. AP

Suella Braverman

Die ehemalige Innenministerin konnte sich mit Liz Truss politisch nicht einigen.

Die Premierministerin riskierte mit der Entlassung auch die Unterstützung des rechten Parteiflügels, der sie an die Macht gebracht hat. Die Brexit-Anhänger sahen zudem durch die Berufung des Truss-Kritikers Grant Shapps zum neuen Innenminister ihre nationalistische Agenda in Gefahr.

Shapps ist nach Hunt bereits der zweite Vertreter vom linken Flügel der Tories, der eine Schlüsselposition im Kabinett einnimmt. Dass auch der ehemalige Brexit-Unterhändler und Truss-Vertraute David Frost den Rücktritt der Premierministerin forderte, zeigte, wie brenzlig ihre Lage bereits war.

Was haben die Tumulte im britischen Unterhaus mit der Regierungskrise zu tun?

Die oppositionelle Labour-Partei wollte mit einem Votum über das Fracking den politischen Riss bei den Tories offenlegen. Truss befürwortete das umstrittene Verfahren zur Gasgewinnung, viele ihrer konservativen Parteifreunde sind dagegen.

Der britische Finanzminister gilt als Topkandidat für die Truss-Nachfolge. Reuters

Jeremy Hunt

Der britische Finanzminister gilt als Topkandidat für die Truss-Nachfolge.

Bei der Abstimmung kam es dann nach Angaben von mehreren Abgeordneten zu „Handgreiflichkeiten und Bullying,“ um die parlamentarische Mehrheit der Regierung zu sichern. Am Ende gewann Truss zwar das Votum, verlor durch das Chaos aber weiter an Unterstützung in den eigenen Reihen.

Wer könnte Liz Truss nachfolgen?

Als Favorit für den Topjob galt Finanzminister Jeremy Hunt, der allerdings laut einem Sprecher eine Kandidatur ausschließt. Außerdem werden der frühere Schatzkanzler und Truss-Rivale Rishi Sunak und die konservative Mehrheitsführerin im Unterhaus Penny Mordaunt genannt. Das Problem ist, dass sich der rechte und der linke Parteiflügel bislang nicht auf einen Kandidaten einigen können. Bis zum 28. Oktober soll die Nachfolge von Truss nach dem Willen der Konservativen Agenturen zufolge aber geregelt sein.

Der Oppositionsführer Keith Starmer kündigte noch Rücktrittstag der Premierministerin seine Bereitschaft zur Übernahme der britischen Regierungsgeschäfte an. „Wir stehen bereit, eine Regierung zu formen“, sagte Starmer am Donnerstag dem Sender Sky News.

Auch der Truss-Vorgänger Boris Johnson kündigte am Donnerstang ein Comeback an. Wie ein leitender „Times"-Redakteur auf Twitter schrieb, betrachtet Johnson die Entwicklungen als „Sache von nationalem Interesse“ und bereitet sich auf eine Kandidatur für den Vorsitz der Konservativen Partei vor. Als Vorsitzender der Torys wäre Johnson dann auch britischer Premierminister.

Würden die Probleme Großbritanniens durch einen Regierungswechsel gelöst?

Nein. Wer auch immer die Regierung führt, steht vor einem politisch und wirtschaftlichen Haushaltsdilemma.

Um die Schulden in den Griff zu bekommen, fehlen rund 40 Milliarden Pfund (etwa 47 Milliarden Euro) in der Staatskasse. Diese Lücke kann nur durch weitere Steuererhöhungen oder Einschnitte bei den Ausgaben geschlossen werden.

Beide Wege sind politisch heikel, weil es dafür im Parlament momentan keine Mehrheiten gibt. Finanzminister Hunt will am 31. Oktober einen Weg aus der Zwickmühle aufzeigen und steht dabei unter dem Druck der nervösen Finanzmärkte. Viele Briten erwarten einen Halloween-Schrecken und befürchten eine neue Austeritätspolitik.

Kommt es nach dem Rücktritt von Liz Truss zu Neuwahlen in Großbritannien?

Die Tories haben angesichts ihrer desolaten Lage kein Interesse an frühen Neuwahlen und setzen darauf, den Wahltermin bis Ende 2024 hinauszuzögern. Nachdem die Regierung jedoch zusammengebrochen ist, dürften die Konservativen es schwer haben, den fünften Premier in sechs Jahren ohne ein Wählervotum ins Amt zu bringen.

Erstpublikation am 20.10.22, um 14:44 Uhr.

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